Der Bundesrat hat in seiner 906. Sitzung am 1. Februar 2013 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat bekräftigt seine Positionen gemäß Ziffer 9 seiner Stellungnahme vom 6. Juli 2012 (BR-Drucksache 277/12(B) ). Die von der Kommission vorgeschlagenen Marktinformationsinstrumente und Sektoruntersuchungen werden weiterhin als systemwidrig und nicht zielführend abgelehnt.
- 2. Er hält eine Übertragung der für Kartellverfahren geltenden Regelungen auf das Beihilferecht für nicht gerechtfertigt. Zwischen dem Kartellrecht und dem Beihilferecht bestehen gravierende Unterschiede. Während das Kartellrecht wettbewerbsverzerrende Verhaltensweisen von Unternehmen verhindern soll, wird im Beihilferecht das Verhalten von Staaten im Hinblick auf seine wettbewerbsverzerrende Wirkung untersucht. Soweit es um das Verhalten von Unternehmen wie Kartellabsprachen, den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung oder Fusionen geht, bedarf es genauer Marktkenntnisse, um die wettbewerbsverzerrende Wirkung beurteilen zu können. Denn hier müssen die komplexen Auswirkungen der Marktstellung und des Verhaltens von Unternehmen im Wettbewerb beurteilt werden. Genauester Marktkenntnisse bedarf bereits die Feststellung, ob ein Unternehmen oder ein Oligopol eine marktbeherrschende Stellung besitzt. Die bei den Missbrauchstatbeständen erforderliche weitere Untersuchung, ob die marktbeherrschende Stellung durch Konditionen, Geschäftsbedingungen etc. im Geschäftsverkehr ausgenutzt wird, ist sehr komplex und nur schwer nachweisbar. Demgegenüber wird im Beihilferecht die wettbewerbliche Auswirkung der Begünstigung eines Unternehmens oder Unternehmenszweigs durch den Staat untersucht. Aus dem Vorliegen einer Begünstigung wird nach der Rechtsprechung des EuGH aber bereits die wettberbsverzerrende Wirkung indiziert. Für die Feststellung einer Begünstigung aus staatlichen Mitteln bedarf es nicht derartig tiefgreifender Marktkenntnisse. Der mit den vorgeschlagenen Markterkundungsinstrumenten oder einer Sektoruntersuchung verbundene Aufwand wäre für die betroffenen Unternehmen unverhältnismäßig.
- 3. Der Bundesrat wendet sich gegen die Artikel 6a, 6b, 7, 10, 20a, 23a und 25 des Verordnungsvorschlags zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 einschließlich der Folgeänderungen und lehnt diesen ab. Die ablehnende Haltung des Bundesrates basiert vor allem auf folgenden Erwägungen:
- - Eine unmittelbare Einholung von Auskünften bei Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen, wie in Artikel 6a des Verordnungsvorschlags vorgesehen, begegnet nach Auffassung des Bundesrates grundsätzlichen Bedenken, da Beihilfeverfahren gegenüber dem Mitgliedstaat eingeleitet und durchgeführt werden. Eine Rechtsgrundlage für Auskunftsersuchen der Kommission gegenüber nicht am Verfahren Beteiligten ist nicht ersichtlich und kann auch nicht durch den vorliegenden Verordnungsvorschlag geschaffen werden. Es ist nicht klar, welche "Rechtsgrundlage" in den Absätzen 3 und 4 des Artikels 6a des Verordnungsvorschlags gemeint ist. Sofern lediglich der Verordnungsvorschlag selbst angeführt werden soll, ist er als Rechtsgrundlage für das Auskunftsersuchen nicht ausreichend.
- - Im Übrigen sind Auskunftsersuchen, die über dasjenige hinausgehen, was im Zusammenhang mit einem konkret anhängigen Beihilfeverfahren zwingend nötig ist, abzulehnen.
Die genannten Maßnahmen würden zu einem erheblichen (Verwaltungs-) Aufwand führen.
Nach Ansicht des Bundesrates wäre ein hinreichender Rechtsschutz nicht sichergestellt. Artikel 6a Absatz 4 des Verordnungsvorschlags verweist in nicht nachvollziehbarer Weise nur für Auskunftsersuchen per Beschluss auf die Möglichkeit, Einspruch zu erheben, obwohl auch für Auskunftsersuchen nach Artikel 6a Absatz 3 des Verordnungsvorschlags Geldbußen bzw. Zwangsgelder vorgesehen sind. Ferner müsste mit einem Einspruch eine aufschiebende Wirkung verbunden sein, so dass keine weiteren Nachteile drohen. Der Bundesrat befürchtet zudem, dass zahlreiche Adressaten eines Auskunftsersuchens oder eines Auskunftsbeschlusses hinsichtlich des Verfahrens überfordert wären und die Wahrnehmung von Rechtsschutz für sie unverhältnismäßig schwer wäre.
Rechtsstaatlich bedenklich erscheint dem Bundesrat zudem, dass für andere Auskunftgeber als die Mitgliedstaaten nach dem Verordnungsvorschlag nicht einmal eine Mindestfrist für die Auskunft gewährleistet wäre.
Die Vorgaben in Artikel 6a Absatz 6 des Verordnungsvorschlags betreffen Interna in den jeweiligen Mitgliedstaaten außerhalb der Zuständigkeit der EU. Überdies müsste der Schutz von insbesondere Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, Berufsgeheimnissen, personenbezogenen Daten und aus sonstigen Gründen vertraulichen Informationen (z.B. Wohl der Allgemeinheit, berechtigte Ansprüche Einzelner, schutzwürdige Interessen Dritter) sichergestellt sein.
- - Hinsichtlich Artikel 6b des Verordnungsvorschlags weist der Bundesrat darauf hin, dass Streitigkeiten, vor allem über die Vollständigkeit der Auskünfte zu erwarten wären. Die Höhe der vorgeschlagenen Geldbußen bzw. Zwangsgelder erscheint unverhältnismäßig hoch, etwaige Abstufungen würden nicht einheitlich durch die Verordnung selbst festgelegt. Unklar ist, ob der Vollzug ausgesetzt wäre, wenn Rechtsschutz ergriffen wird. Aus Sicht des Bundesrates müsste das sichergestellt werden.
- - Der Bundesrat hält Artikel 7 des Verordnungsvorschlags für rechtsstaatlich bedenklich. Ein Schutz der Vertraulichkeit wäre für sämtliche erhaltenen Auskünfte - insbesondere auch derjenigen nach Artikel 6a - sicherzustellen. Teilweise sind nur Geschäftsgeheimnisse erwähnt, erforderlich wäre aber durchgängig ein umfassender Schutz insbesondere von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, Berufsgeheimnissen, personenbezogenen Daten und aus sonstigen Gründen vertraulichen Informationen (z.B. Wohl der Allgemeinheit, berechtigte Ansprüche Einzelner, schutzwürdige Interessen Dritter). Nicht mittragen könnte der Bundesrat ferner eine Veröffentlichung nach einem Monat, ohne dass eine Rechtsschutzmöglichkeit mit aufschiebender Wirkung besteht (vgl. Artikel 7 Absatz 9 Sätze 2 und 3 des Verordnungsvorschlags).
Der Regelungshintergrund von Artikel 7 Absatz 10 Satz 2 des Verordnungsvorschlags ist unklar.
- - Auch Artikel 10 Absatz 1 des Verordnungsvorschlags begegnet aus Sicht des Bundesrates grundsätzlichen Bedenken, zumal nicht festgelegt wird, welche Maßnahmen zur Prüfung der Auskünfte ergriffen werden können. Eine Umgehung des Artikels 6a ist zu befürchten. Artikel 10 Absatz 2 Sätze 3 und 4 ermöglicht eine rechtsstaatlich unangemessene, unbegrenzte Ausweitung des Kreises der Auskunftgeber durch analoge Anwendung der Artikel 6a und 6b.
- - Hinsichtlich Artikel 16 des Verordnungsvorschlags ist für den Bundesrat nicht nachvollziehbar, weshalb die übrigen Absätze des Artikels 7 keine Anwendung finden würden.
- - Auch hinsichtlich Artikel 20a des Verordnungsvorschlags begegnet eine unmittelbare Einholung von Auskünften bei anderen Auskunftgebern als dem Mitgliedstaat nach Auffassung des Bundesrates den oben genannten grundsätzlichen Bedenken. Ferner steht zu befürchten, dass die Kommission außerhalb ihrer Kompetenzen agiert. Die genannten Maßnahmen würden zu einem erheblichen (Verwaltungs-)Aufwand führen. Der Schutz der Vertraulichkeit erscheint nicht ausreichend gewährleistet. Erforderlich wäre ein umfassender Schutz, insbesondere von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, Berufsgeheimnissen, personenbezogenen Daten und aus sonstigen Gründen vertraulichen Informationen (z.B. Wohl der Allgemeinheit, berechtigte Ansprüche Einzelner, schutzwürdige Interessen Dritter).
- - Gegen Artikel 23a des Verordnungsvorschlags bestehen unter den Gesichtspunkten der allgemeinen Rechtsgrundsätze der Gewaltenteilung und der richterlichen Unabhängigkeit grundsätzliche Bedenken. Es ist nicht, wie offenbar von der Kommission angenommen wird, die primäre Aufgabe der nationalen Gerichte, Beihilfenvorschriften zu vollziehen, sondern - auf zulässige Rechtsbehelfe hin - deren Vollzug zu kontrollieren. Dementsprechend lehnt der Bundesrat insbesondere Artikel 23a Absatz 2 ab, der ein eigeninitiatives Recht der Kommission zur Abgabe einer (schriftlichen, u. U. sogar mündlichen) Stellungnahme in konkreten Gerichtsverfahren einschließlich des Rechts, das Gericht um Übermittlung aller für die Beurteilung der Rechtssache notwendigen Schriftstücke zu ersuchen, vorsieht. Für die Regelung einer derartigen prozessualen Sonderstellung der Kommission in einzelstaatlichen Gerichtsverfahren fehlt es zum einen bereits an einer Regelungskompetenz der EU, insbesondere ist insoweit Artikel 109 AEUV nicht einschlägig. Zum anderen ist Artikel 23a sachlich weder gerechtfertigt noch erforderlich. Denn die nationalen Gerichte sind - wie die tägliche Praxis zeigt - ohne Weiteres in der Lage, Recht und Gesetz selbst zu erkennen und anzuwenden sowie die ihnen im Rahmen ihrer rechtsprechenden Tätigkeit obliegenden Verpflichtungen sachgerecht zu erfüllen. Ein informeller Informationsaustausch ist bereits jetzt möglich, ebenso können die nationalen Gerichte bereits jetzt Auskünfte und Stellungnahmen der Kommission einholen. Die Begründung der Kommission zu Artikel 23a vermag - gerade auch vor dem Hintergrund der "Bekanntmachung der Kommission über die Durchsetzung des Beihilfenrechts durch die einzelstaatlichen Gerichte" (2009/C 85/01) - einen Bedarf für diese Regelung nicht darzulegen.
- - Artikel 25 des Verordnungsvorschlags stellt nach Ansicht des Bundesrates in unzureichender Weise nur auf das "Berufsgeheimnis" ab. Erforderlich wäre ein umfassender Schutz, insbesondere von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, Berufsgeheimnissen, personenbezogenen Daten und aus sonstigen Gründen vertraulichen Informationen (z.B. Wohl der Allgemeinheit, berechtigte Ansprüche Einzelner, schutzwürdige Interessen Dritter).
- - Unklar ist für den Bundesrat in Artikel 26 des Verordnungsvorschlags der konkret zur Veröffentlichung vorgesehene Inhalt. Ggf. könnte damit eine rechtsstaatlich bedenkliche "Prangerwirkung" und Verletzung der Vertraulichkeit verbunden sein.