966. Sitzung des Bundesrates am 23. März 2018
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Finanzausschuss (Fz) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat stellt fest, dass Deutschland dem Prozess der Europäischen Einigung viel zu verdanken hat. Ein starkes und geeintes Europa ist für Deutschland der beste Garant für eine gute Zukunft in Frieden, Freiheit und Wohlstand. Um dieses Ziel zu erreichen, hält der Bundesrat es für notwendig, die EU in ihrer Handlungsfähigkeit zu stärken.
- 2. Die Kommission hat mit ihrer Mitteilung eine beschreibende Übersicht über die nach ihrer Auffassung notwendigen Elemente einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) vorgelegt. Die Übersicht baut insbesondere auf den bereits vorliegenden Reflexionspapieren auf und enthält auch einen Fahrplan zur Vollendung der WWU bis zum Jahr 2025. Mit der gleichzeitigen Vorlage weiterer Papiere werden einige Elemente in konkretisierender Weise beschrieben. Der Bundesrat sieht in der Mitteilung eine gute Grundlage für die Entwicklung einer Gesamtstrategie zur Vollendung der WWU.
- 3. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich, dass die Kommission die WWU zu vertiefen und die Handlungsfähigkeit des europäischen Währungsraums zu stärken beabsichtigt. Der Bundesrat unterstützt die eigenverantwortliche Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten der Eurozone sowie das Bestreben, mit Hilfe des EU-Haushalts die europäische Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz zu stärken und neue Wachstumsimpulse zu schaffen. Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) soll als Instrument genutzt werden, um Krisen unter klaren Reformauflagen zu überwinden.
- 4. Der Bundesrat befürwortet spezifische Haushaltsmittel für wirtschaftliche Stabilisierung und soziale Konvergenz sowie für die Unterstützung von Strukturreformen in der Eurozone.
- 5. Aus Sicht des Bundesrates ist die Eurozone nachhaltig zu stärken und zu reformieren, so dass der Euro globalen Krisen besser standhalten kann. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt bleibt dabei auch in Zukunft der Kompass. Stabilität und Wachstum bedingen einander und bilden eine Einheit. Zugleich muss aus Sicht des Bundesrates auch künftig das Prinzip gelten, dass Risiko und Haftungsverantwortung verbunden sind. Der Bundesrat vertritt die Auffassung, dass fiskalische Kontrolle, wirtschaftliche Koordinierung in der EU und der Eurozone sowie der Kampf gegen Steuerbetrug und aggressive Steuervermeidung vorangetrieben werden müssen.
- 6. Aus Sicht des Bundesrates ist der ESM zu einem parlamentarisch kontrollierten Europäischen Währungsfonds weiterzuentwickeln, der im Unionsrecht verankert sein sollte. Die Rechte der nationalen Parlamente bleiben davon unberührt.
- 7. Der Bundesrat bekräftigt, dass eine Letztsicherung für den europäischen Bankenabwicklungsfonds im Rahmen eines ESM zu einer Vergemeinschaftung der Risiken führen würde und daher abzulehnen ist.
- 8. Der Bundesrat stellt fest, dass es Ziel der Bankenunion und insbesondere des "Single Resolution Fund" (SRF) ist, möglichst kein Steuergeld für die Rettung privater Banken bereit zu stellen. Der ESM kommt dafür nicht in Frage, da er mit Steuergeld gespeist wird. Stattdessen sind eine konsequente Abwicklung insolventer Banken und ein Abbau der hohen Staatsverschuldung in einigen Mitgliedstaaten voranzutreiben.
- 9. Der Bundesrat bekräftigt, dass die europäischen Fiskalregeln vereinfacht und unabhängiger überwacht werden müssen. Der die Kommission beratende Europäische Fiskalausschuss muss gestärkt und vollkommen unabhängig werden, da die Regeln (insbesondere nationale Schuldenbremsen) in der Vergangenheit aufgeweicht wurden und folgenschwere Konsequenzen nach sich gezogen haben.
- 10. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, dass die sogenannte Nichtbeistands-Klausel ("Nobail-out-Regel"), nach welcher die Mitgliedstaaten der Eurozone nicht verpflichtet werden dürfen, für die Schulden anderer Mitgliedstaaten aufzukommen, wieder glaubwürdig umgesetzt wird.
- 11. Der Bundesrat lehnt die gemeinsame Schuldenfinanzierung von EU-Mitgliedstaaten ab. Nicht gemeinsame Schulden, sondern gemeinsame Werte halten die Staaten der EU zusammen.
- 12. Der Bundesrat fordert, dass ESM-Programme auch in Zukunft stärker an die Umsetzung von Reformen geknüpft werden. Die Überwachung muss durch den ESM selber, keinesfalls jedoch durch die Kommission erfolgen, die sich als supranationale Behörde nicht als geeignet erwiesen hat, Anordnungen an die Mitgliedstaaten zweckmäßig und effektiv durchzusetzen.
- 13. Der Bundesrat unterstützt die zur Stärkung der europäischen Finanzmärkte initiierte Schaffung einer Banken- und einer Kapitalmarktunion. Der Bundesrat lehnt jedoch eine Vergemeinschaftung der Einlagensicherung ab und setzt sich dafür ein, die nationalen Verantwortlichkeiten zu stärken.
- 14. Der Bundesrat lehnt weitere Umverteilungsinstrumente zur Förderung von Strukturreformen ab, wenn sie die nationale Verantwortung weiter schwächen. Strukturreformen sind primär Aufgabe der Mitgliedstaaten und müssen von diesen umgesetzt werden. Der Bundesrat lehnt weitere Umverteilungsinstrumente zur Förderung der Euro-Einführung in weiteren Mitgliedstaaten ab. Hier sollte keine künstliche Dynamik geschaffen werden. Die Mitgliedschaft in der Eurozone sollte bereits genug Anreize für Strukturreformen bieten.
- 15. Der Bundesrat lehnt die Schaffung eines europäischen Wirtschafts- und Finanzministers ab. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt bzw. der Fiskalpakt als dessen Weiterentwicklung geben bereits heute einen geeigneten Rahmen vor, innerhalb dessen die Mitgliedstaaten agieren können. Der Vorschlag der Kommission hin zu einer stärkeren Zentralisierung (bei der Kommission) und die Vermischung von Verantwortlichkeiten können bestehende finanzpolitische Zielkonflikte zwischen den Mitgliedstaaten nicht auflösen, sondern verlagern diese nur auf eine andere Entscheidungsebene, für die eine demokratische Kontrolle fehlt. Im bisherigen System ist diese über die Beteiligung der jeweiligen nationalen Parlamente gewährleistet. Auch der Grundsatz der Einheit von Handlungskompetenz und finanzieller Verantwortung wird gefährdet und damit die fiskalische Disziplin der Mitgliedstaaten weiter geschwächt. Gerade die Kommission stand in der Vergangenheit stets für eine Politik der Kompromisse zu Lasten der - zwischen den Mitgliedstaaten vertraglich vereinbarten - stabilitätsorientierten Haushaltspolitik. Eine "Quasi-Integration" der Zuständigkeit für die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Eurozone bei der Kommission würde diese Tendenz weiter verstärken.
- 16. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, die Bedingungen für Innovation und Investitionen innerhalb der Eurozone zu verbessern und fordert dazu auf, das Klima für private und öffentliche Investitionen auch im europäischen Kontext zu verbessern und den freien Kapitalverkehr innerhalb der Eurozone weiter zu kräftigen.
- 17. Nach Auffassung des Bundesrates bedarf es eingehender und ergebnisorientierter Erörterungen, um zu einer für alle Mitgliedstaaten zustimmungsfähigen und deren grundlegende Belange berücksichtigenden Architektur der WWU zu kommen. Daraus folgt ein umfangreicher Abstimmungsprozess mit entsprechendem Zeitbedarf.
- 18. Nach Auffassung des Bundesrates sollte der Abstimmungsprozess möglichst bis zu den Europawahlen im Jahr 2019 abgeschlossen sein und zu einem Konsens unter den Mitgliedstaaten geführt haben, damit diese grundlegende Reform für die Bürgerinnen und Bürger erkennbar und nachvollziehbar wird.
- 19. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, alle für die WWU notwendigen gesetzlichen Regelungen im Gesamtzusammenhang zu betrachten, da viele Teilelemente der Reform im Sinne kommunizierender Röhren mit anderen Teilelementen zusammenhängen. Insofern sind die vorliegenden Vorschläge auch im Zusammenhang mit den noch zu erwartenden Vorschlägen zu bewerten. Eine rechtliche Implementation sollte daher erst in Kenntnis aller Teile der Reform erfolgen.
- 20. Der Bundesrat weist vorsorglich darauf hin, dass das Zustimmungsrecht des Bundesrates nach Artikel 23 Grundgesetz zu wahren ist.
- 21. Zu den vorgelegten Papieren der Kommission bezüglich der konkretisierenden Einzelvorschläge nimmt der Bundesrat gesondert Stellung.
- 22. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.