- Vorschlag für eine Entscheidung des Rates zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Funktionsweise des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken auf die Europäische Zentralbank
KOM (2009) 500 endg.; Ratsdok. 13645/09 Drucksache: 737/09 (PDF) und - Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung einer Europäischen Bankaufsichtsbehörde
KOM (2009) 501 endg.; Ratsdok. 13652/09 Drucksache: 738/09 (PDF) und - Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung
KOM (2009) 502 endg.; Ratsdok. 13653/09 Drucksache: 739/09 (PDF) und - Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung einer Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde
KOM (2009) 503 endg.; Ratsdok. 13654/09 Drucksache: 740/09 (PDF)
Der Bundesrat hat in seiner 863. Sitzung am 6. November 2009 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat hält eine stabilitätsorientierte Reform der Finanzmarktaufsicht in Europa für erforderlich. Er unterstützt die Vorschläge der Kommission zur Einrichtung eines Europäischen Systems der Finanzaufsichtsbehörden und begrüßt das geplante Europäische Finanzaufsichtssystem ("European System of Financial Supervisors"/ESFS) als ein europäisches Netz, in dem die nationalen Behörden mit den drei neuen europäischen Aufsichtsbehörden für Banken, Versicherungen und betriebliche Altersversorgung sowie für Wertpapiere ("European Supervisory Authorities"/ESA) sowie mit dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) koordiniert zusammenarbeiten werden.
- 2. Mit dem ESFS greift die Kommission die mit der Krise zutage getretenen Fragen auf und sucht gleichzeitig die nötige Balance zwischen lokaler Aufsicht und Koordination auf europäischer Ebene.
- 3. Der Bundesrat begrüßt die Einrichtung des ESRB. Die Finanzkrise hat gezeigt, dass es neben der Mikroaufsicht der nationalen Behörden über die einzelnen Finanzinstitute einer Makroaufsicht durch eine gesonderte Institution bedarf, die im Sinne eines Frühwarnsystems Entwicklungen und Tendenzen beobachtet und bewertet, um Systemrisiken zu vermeiden oder einzudämmen. Seine hochrangige Besetzung wird Gewähr dafür bieten, dass seine Ratschläge und Empfehlungen gehört und beachtet werden. Durch die enge Anbindung des Ausschusses und seines Sekretariates an die Europäische Zentralbank (EZB) und die Verpflichtung der anderen im Aufsichtssystem Beteiligten zur Zusammenarbeit ist sichergestellt, dass dem Ausschuss alle notwendigen Informationen und die erforderliche Unterstützung zur Verfügung stehen.
Mit der Errichtung der drei neuen Europäischen Aufsichtsbehörden wird ein weiterer notwendiger Schritt getan, um zum einen grenzüberschreitende Finanzinstitute effektiver und intensiver beaufsichtigen zu können und um zum anderen für eine einheitliche Anwendung und für eine Durchsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften zu sorgen.
Der Bundesrat begrüßt, dass mit der engen Anbindung des ESRB und des Sekretariats an die EZB und die Errichtung der Europäischen Versicherungsaufsichtsbehörde in Frankfurt am Main eine Aufwertung des Finanzstandorts Deutschland verbunden ist. Er bittet die Bundesregierung, sich in den weiteren Beratungen für eine Beibehaltung dieser Standortentscheidungen einzusetzen.
- 4. Im ESRB sollten alle Gruppen der Finanzinstitute angemessen vertreten sein. Dies ist nach Auffassung des Bundesrates für den Bereich der Versicherungen und der betrieblichen Altersversorgung nicht ausreichend sichergestellt, da lediglich ein Vertreter der Versicherungsaufsichtsbehörden dem Gremium angehört. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, in den weiteren Verhandlungen darauf hinzuwirken, dass der Versicherungsbereich eine stärkere Repräsentanz in den Gremien erhält. Dies könnte zum Beispiel auch durch die Einrichtung eines beratenden Fachausschusses für Versicherungen erfolgen.
- 5. Der Europäische Rat hat im Juni 2009 Inhalt und Grenzen für den von allen Mitgliedstaaten mitgetragenen Reformprozess für die Finanzaufsicht festgelegt. Die Aufgaben und Befugnisse der ESA und ihr Zusammenwirken mit den nationalen Aufsehern sollten so eng wie möglich entlang dieser Leitlinien ausgestaltet sein. Insbesondere die nachfolgend genannten Punkte sollten unter diesem Gesichtspunkt überprüft werden.
- 6. Nach der geplanten Schutzklausel können Mitgliedstaaten Maßnahmen der ESA mit Auswirkungen auf ihre haushaltspolitischen Zuständigkeiten nicht selbst verhindern. Vielmehr sind sie auf eine qualifizierte Mehrheit im ECOFIN-Rat angewiesen. Die ESA darf unter anderem in Situationen, in denen die Stabilität des Finanzsystems in Teilen der EU gefährdet ist ("Krisenfall"), direkte Weisungen an die nationalen Aufseher erteilen. In diesen Situationen sind Auswirkungen auf den Staatshaushalt immer möglich. Mit der Schutzklausel entsteht in diesen Fällen ein Ungleichgewicht zu Lasten der nationalen Haushalte, zumal Begriffe wie "haushaltspolitische Zuständigkeiten" nicht definiert sind. In Anbetracht möglicher Auswirkungen für die Staatshaushalte sollten das direkte Weisungsrecht der ESA und die Schutzklausel neu austariert werden.
- 7. Mit dem direkten Weisungsrecht der ESA gegenüber den Finanzinstituten vor Ort (so genanntes Durchgriffsrecht) wird auf europäischer Ebene eine vom Europäischen Rat nicht vorgesehene Befugnis geschaffen. Zweck des Durchgriffsrechts ist die Kontrolle der Weisungen an die nationalen Aufseher. Ausgehend vom Grundsatz der Subsidiarität hatte der Europäische Rat die laufende Aufsicht allein auf nationaler Ebene postuliert. Ein direkter Durchgriff schafft bei den Instituten erhebliche Unsicherheiten. Zudem hält das EU-Recht mit dem Vertragsverletzungsverfahren ein Verfahren zur Kontrolle mitgliedstaatlichen Handelns bereit. Einer zusätzlichen Kontrollbefugnis, die parallel bemüht werden kann, bedarf es nicht.
- 8. Die Verordnungsvorschläge eröffnen der Kommission die Möglichkeit, die Inhalte der technischen Standards, die weitreichende Auswirkungen auf den Finanzmarkt haben, außerhalb demokratischer Verfahren festzusetzen. Der Bundesrat bittet deshalb die Bundesregierung, im weiteren Verfahren darauf zu achten, dass die Entwicklung der technischen Standards nicht dem demokratischen Gesetzgebungsprozess entzogen wird und unter Beteiligung des Rates und des Europäischen Parlaments erfolgt.
- 9. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung ferner, in den weiteren Verhandlungen darauf hinzuwirken, dass die Behörde, die nach Artikel 7 (vgl. BR-Drucksachen 738/09 (PDF) , 739/09 (PDF) , 740/09 (PDF) ) technische Standards vorgelegt hat, durch die Kommission zur Stellungnahme aufgefordert werden muss, falls die Kommission den Vorschlag lediglich teilweise annimmt oder ändert. Damit soll sichergestellt werden, dass die Behörde die Gelegenheit erhält, gegenüber der Kommission auf mögliche Auswirkungen der Änderungen hinzuweisen, bevor die Standards durch die Kommission veröffentlicht werden.
- 10. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass in Artikel 9 die Absätze 6 und 7 (vgl. BR-Drucksachen 738/09 (PDF) , 739/09 (PDF) , 740/09 (PDF) ) gestrichen werden sollten. Die dort für die Kommission und die Behörde vorgesehenen Möglichkeiten, unmittelbar gegenüber Finanzinstituten Einzelentscheidungen treffen zu können, greifen zu weit in die Zuständigkeit der nationalen Aufsichtsbehörden ein. Der Bundesrat hält diese Entscheidungsrechte mit Blick auf die haushaltspolitischen Auswirkungen in den Mitgliedstaaten für bedenklich, solange die Frage einer möglichen Lastenverteilung nicht geregelt ist. Dies hat auch der Europäische Rat im Juni 2009 angemerkt. Die genannten Entscheidungsbefugnisse stehen zudem im Widerspruch zu dem Gesamtkonzept, nach dem die operative Aufsicht bei den nationalen Aufsichtsbehörden verbleiben soll. Neben der bereits bestehenden Möglichkeit der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens wird die Bundesregierung gebeten zu prüfen, ob statt der in den Absätzen 6 und 7 vorgeschlagenen Regelung eine kurzfristige Beschlussfassung durch den ECOFIN vorgesehen werden sollte, deren Nichtbeachtung vom Mitgliedstaat zu begründen wäre.
- 11. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, auf eine Ergänzung des Artikels 10 (vgl. BR-Drucksachen 738/09 (PDF) , 739/09 (PDF) , 740/09 (PDF) ) hinzuwirken. Dieser sieht vor, dass die Kommission gegenüber einer europäischen Aufsichtsbehörde das Bestehen einer Krise feststellen kann mit der Folge, dass sodann die Behörde gegenüber den nationalen Aufsichtsbehörden und in bestimmten Fällen unmittelbar gegenüber den Finanzinstituten Entscheidungen erlassen kann. Die Kommission kann diese Entscheidung aus eigener Initiative oder auf Ersuchen einer ESA, des Rates oder des ESRB treffen. Um sicherzustellen, dass der Kommission vor einer solchen Entscheidung alle erforderlichen Informationen zur Verfügung stehen, sollte eine vorherige Anhörung des ESRB und des Gemeinsamen Ausschusses vorgesehen werden. Zudem sollte die Kommission die Entscheidung unverzüglich dem ECOFIN mitteilen.
- 12. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung darauf hinzuwirken, dass in die Verordnungen zur Errichtung der Europäischen Aufsichtsbehörden jeweils ein Verfahren zur Klärung der Auslegung und Anwendung von Gemeinschaftsrecht im Einzelfall auf Initiative einer nationalen Aufsichtsbehörde aufgenommen wird. Dies ist erforderlich, da durch die Verordnung die europäische Behörde zur verbindlichen Auslegung der Anwendung des Gemeinschaftsrechts ermächtigt wird. Die europäische Behörde kann im Extremfall eine Einzelfallentscheidung - gerichtet an den Finanzmarktteilnehmer, soweit die Vorschriften direkt anwendbar sind - treffen. Auch wenn die zuständige nationale Aufsichtsbehörde ein Verhalten als mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar einstuft und eine entsprechende Genehmigung erteilt, besteht für Finanzmarktteilnehmer keine Rechtssicherheit, da die europäische Behörde im Zweifel unmittelbar an den Finanzmarktteilnehmer herantreten kann. Folglich ist es erforderlich, dass die Möglichkeit besteht, bereits im Vorfeld Rechtssicherheit und damit auch Investitionssicherheit zu schaffen. Daher sollte, um zusätzlich auch eine mögliche Haftung des jeweiligen Rechtsträgers der nationalen Aufsichtsbehörde zu minimieren, ein Verfahren zur verbindlichen Klärung von Gemeinschaftsrecht bereits vor dessen Anwendung geschaffen werden.
- 13. Die Einrichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde für den Bereich der betrieblichen Altersversorgung wird vom Bundesrat grundsätzlich begrüßt.
- 14. Vor dem Hintergrund der Finanzkrise ist die von der Kommission an den Tag gelegte Eile bei der Errichtung eines Europäischen Finanzaufsichtssystems verständlich. Da sich die nationalen Aufsichten im Bereich der betrieblichen Altersversorgungen jedoch bislang weitestgehend bewährt haben, ist es fraglich, ob diese Eile auch bei der Einrichtung der Finanzaufsicht in der betrieblichen Altersversorgung geboten ist. Dem Bundesrat erscheint es angezeigt, die Einrichtung einer Finanzaufsicht in der betrieblichen Altersversorgung und die Festlegung von Kompetenzen dieser Aufsicht erst in einem zweiten Schritt, nach der Einrichtung einer Bankenaufsicht, vorzunehmen.
- 15. Für den Fall, dass bereits jetzt aus übergeordneten Gemeinschaftsinteressen eine Europäische Finanzaufsicht für die betriebliche Altersversorgung errichtet werden soll, sind aus Sicht des Bundesrates insbesondere folgende Regelungen des Verordnungsvorschlags in BR-Drucksache 739/09 (PDF) änderungsbedürftig:
- - Die Aufsicht sollte sich auf eine Rechtsaufsicht beschränken. Die Aufsichtsbehörde darf nicht über neue Kompetenzen (z.B. "technische Standards", zu denen auch Sterbetafeln gehören sollen) Einfluss auf das nationale Arbeits- und Sozialrecht erhalten.
- - Angesichts der national sehr verschiedenen Systeme sollten Einzelfallentscheidungen der Europäischen Aufsichtsbehörde gegenüber nationalen Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung ausgeschlossen werden; vielmehr sollte die Kompetenz zu Einzelfallentscheidungen bei den nationalen Aufsichtsbehörden bleiben, die Kenntnis von den nationalen Besonderheiten und Gegebenheiten der betrieblichen Altersversorgung haben.
- - Die Kompetenzen der Europäischen Aufsichtsbehörde zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen nationalen Aufsichtsbehörden dürfen nicht dazu führen, dass sie über nationales Arbeits- und Sozialrecht bestimmt.
- - Das Aufsichtsrecht darf nicht von der Aufsichtsbehörde geschaffen werden, sondern muss Ergebnis eines transparenten Gesetzgebungsprozesses demokratisch legitimierter Gremien sein.