Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU),
der Finanzausschuss (Fz),
der Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In),
der Rechtsausschuss (R) und
der Wirtschaftsausschuss (Wi)
empfehlen dem Bundesrat,
zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt
Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, in den Verhandlungen auf europäischer Ebene auch weiterhin nachdrücklich für eine restriktive Handhabung der Vorratsdatenspeicherung einzutreten. Im Verlauf der Beratungen zu dem neuen Telekommunikationsgesetz auf nationaler Ebene sind die mit der Vorratsdatenspeicherung verbundenen Probleme eingehend und unter Mitwirkung aller betroffenen Ressorts diskutiert worden. Im Ergebnis wurde die Vorratsdatenspeicherung abgelehnt. An dieser Haltung sollte auch weiterhin nachhaltig festgehalten werden.
- 2. Der Bundesrat begrüßt die Intention der Richtlinie, nach der die Vorschriften der Mitgliedstaaten über die Pflichten von Anbietern öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder Betreibern eines öffentlichen Kommunikationsnetzes im Zusammenhang mit der Verarbeitung und Vorratsspeicherung bestimmter Daten harmonisiert werden sollen. Dadurch kann sichergestellt werden, dass die Daten zum Zweck der Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von schweren Straftaten wie Terrorismus und Organisierter Kriminalität zur Verfügung stehen. Die Einführung einer solchen Vorratsdatenspeicherung und die Harmonisierung der Vorschriften in den Mitgliedstaaten sind für einen effektiven Einsatz von Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation zu Strafverfolgungszwecken und zur Verhütung von Straftaten dringend erforderlich. Den Sicherheitsbehörden muss die Möglichkeit eröffnet werden, die ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente der Telekommunikationsüberwachung auch anzuwenden. Dies setzt voraus, dass entsprechende Daten nicht nach kurzer Zeit bereits gelöscht werden, bevor die Behörden tätig werden konnten.
- 3. Angesichts der Tatsache, dass die Vorratsdatenspeicherung zu einer generellen Speicherung einer Vielzahl der von den Benutzern erzeugten Daten führt, und zwar unabhängig davon, ob ein Verdacht gegen diese besteht, und angesichts des damit verbundenen Grundrechtseingriffs, ist der Eingriff aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auf ein auch aus praktischer Hinsicht vertretbares Minimum zu reduzieren. Die derzeit im Raum stehende Speicherungsfrist von einem Jahr für Telekommunikationsdaten bewegt sich deutlich außerhalb des Rahmens der Verhältnismäßigkeit. Die von der Bundesregierung bisher in die Diskussion eingebrachte Speicherungsfrist von sechs Monaten für alle Daten trägt zwar dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in erheblichem, jedoch noch nicht in ausreichendem Maße Rechnung.
Der notwendige Ausgleich zwischen den Strafverfolgungsinteressen und den Grundrechten der Betroffenen sollte durch eine Speicherfrist von maximal drei Monaten getroffen werden. Daneben ist zu fordern, dass innerhalb dieser Frist nur diejenigen Telekommunikationsdaten ohne konkrete Zweckbindung vorrätig gehalten werden dürfen, die von den Anbietern elektronischer Kommunikationsdienste oder Betreibern eines öffentlichen Kommunikationsnetzes nach den in Deutschland geltenden gesetzlichen Bestimmungen bereits heute zur Erfüllung bestimmter Zwecke (insbesondere zu Abrechnungszwecken) vorübergehend gespeichert werden dürfen. Abzulehnen ist in diesem Zusammenhang insbesondere die vom Richtlinienvorschlag vorgesehene Verpflichtung zur Speicherung der zur Bestimmung des Standorts mobiler Geräte benötigten Daten. Damit wird nicht nur den betroffenen Grundrechten in ausreichendem Maße Rechnung getragen, sondern auch das mit der Entschädigungsregelung verbundene unkalkulierbare Risiko einer erheblichen Belastung der Staatshaushalte vermieden.
- 4. Der Bundesrat ist darüber hinaus der Auffassung, dass die Vorratsdatenspeicherung neben der Verhütung und Aufklärung von Straftaten von erheblicher Bedeutung auch zum Zwecke der Abwehr von Gefahr für bedeutsame Rechtsgüter erforderlich ist, und zwar für alle Sicherheitsbehörden, die entsprechende Aufgaben erfüllen.
Der Bundesrat hält eine Speicherfrist von mindestens zwölf Monaten für alle ermittlungsrelevanten Verkehrsdaten für unerlässlich, d.h. auch für die Verkehrsdaten, die sich auf die Nutzung des Internets beziehen. Eine effektive Gefahrenabwehr und Strafverfolgung ist darauf angewiesen, dass Verkehrsdaten der Telekommunikation über einen längeren Zeitraum vorgehalten werden. Gerade im Bereich der Internetnutzung stößt selbst eine zwölfmonatige Speicherfrist an Grenzen, weil Tatverdächtige beispielsweise erst zu einem späteren Zeitpunkt des Verfahrens festgestellt werden können. Die weltweite Struktur des Internets wird von Kriminellen gezielt genutzt, um Straftaten unter Einbeziehung von Rechnern im Ausland zu begehen. Die Sicherheitsbehörden können oftmals nicht mit gleicher Geschwindigkeit ermitteln, wie Daten im Internet verschoben werden. Für Ermittlungen im Ausland müssen die entsprechenden zeitintensiven Amts- und Rechtshilfeverfahren beschritten werden. Häufig sind die in Deutschland angefallenen Daten dann bereits wieder gelöscht.
- 5. Der Bundesrat geht davon aus, dass die in Artikel 3 vorgesehene Vorratsdatenspeicherpflicht auch die Verkehrsdaten umfasst, die ohne Zustandekommen einer Kommunikationsverbindung erzeugt werden (fehlgeschlagener Verbindungsaufbau, Daten im so genannten "Standby"-Betrieb). Nur bei Berücksichtigung dieser Anforderungen ist eine Verflechtung in kriminellen oder terroristischen Netzwerken lückenlos feststellbar.
- 6. Diskussionswürdig erscheint die Form der Umsetzung des Vorhabens als Richtlinie. Die Vorratsdatenspeicherung dient der Verhütung und Verfolgung von Straftaten, es ist kein Instrument zum Schutz des Wettbewerbsrechts und der wirtschaftlichen Entwicklung.
- 7. Eine entsprechende Regelung sollte daher auf straf- bzw. sicherheitsrechtliche Kompetenzen der EU in der dritten Säule gestützt werden, sodass ein Rahmene beschluss das zutreffende Instrument wäre.
- 8. Für eine entsprechende Regelung kommen daher auch die straf- bzw. sicherheitsrechtlichen Kompetenzen der EU in der dritten Säule in Betracht, wobei zutreffendes Instrument ein Rahmenbeschluss wäre.
- 9. Die Bundesregierung wird gebeten, darauf hinzuwirken, bei der Diskussion über die Form der Umsetzung des Vorhabens das Urteil des EuGH vom 13. September 2005 (C-176/ 03) zu berücksichtigen, durch das der Rahmenbeschluss des Rates über den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht für nichtig erklärt worden ist, weil er in die nach Artikel 175 EGV der Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten im Bereich der Umweltpolitik übergreife. In seiner Entscheidung betont der EuGH zwar, dass grundsätzlich keine Zuständigkeit der EG für "strafrechtliche Regelungen" bestehe. Allerdings gelte dies nicht, wenn solche Regelungen erforderlich seien, um die "volle Wirksamkeit" ("effet utile") der in einer europäischen Sachpolitik erlassenen Rechtsvorschrift zu gewährleisten, und wenn solche Sanktionen zu diesem Zweck eine "unerlässliche Maßnahme" darstellen.
In der Begründung des vorliegenden Richtlinienvorschlags (BR-Drucksache 723/05 (PDF) , S. 7) fehlt eine ausführliche Erörterung dieses Gesichtspunkts. Es bestehen nicht unerhebliche Zweifel, ob diese Voraussetzungen hier vorliegen. Dies wird bei den Beratungen im Rat einer eingehenden Prüfung bedürfen.
- 10. Bedenken bestehen auch gegen einzelne Punkte der Ausgestaltung in der Richtlinie.
- 11. Hierzu vertritt der Bundesrat folgende Auffassung:
- - In der vorgeschlagenen Richtlinie fehlen erforderliche Regelungen über die Vernichtung der Daten nach Ablauf der Speicherfrist.
- - In der zukünftigen Richtlinie ist sicherzustellen, dass die größtmögliche technische Sicherheit zur Verhinderung von Missbrauch der gespeicherten Daten gewährleistet wird.
- 12. - Der Bundesrat erachtet es nicht als notwendig, dass - wie in Artikel 9 vorgesehen - eine umfangreiche Pflicht zur Erstellung von Statistiken mit einer Vielzahl von Einzelinformationen begründet wird. Hierbei ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass derartige Statistiken mit erheblichem Aufwand verbunden sind, den die betroffenen Verwaltungen nicht leisten können und der in keinem Verhältnis zu dem daraus zu ziehenden Nutzen steht.
- 13. - Die in Artikel 10 vorgesehene Kostenerstattungspflicht der Mitgliedstaaten lehnt der Bundesrat ab.
- 14. - Auf eine Kostenregelung im Sinne des Artikels 10 sollte verzichtet werden.
- 15. Eine so weitgehende Kostenerstattungspflicht könnte insbesondere auch die Kosten für das Vorhalten technischer Einrichtungen umfassen. Kosten für das Vorhalten technischer Einrichtungen stellen jedoch originäre Unternehmenskosten dar und müssen von den Unternehmern selbst getragen werden.
- 16. Die Bundesregierung wird gebeten, darauf hinzuwirken, die Regelung über die Erstattung der Zusatzkosten, die schon für das Vorhalten der technischen Einrichtungen anfallen, zu streichen.
- 17. Selbst wenn die Mitgliedstaaten unterschiedliche Regelungen zu den Kosten treffen, ist dadurch keine den europäischen Binnenmarkt beeinträchtigende Wettbewerbsverzerrung zu erwarten.
- 18. Der Bundesrat gibt zu bedenken, dass bislang nicht abschließend beurteilt werden kann, in welcher Höhe entsprechende Kosten anfallen. Durch die Kostenerstattungspflicht entstehen daher unkalkulierbare Risiken für die betroffenen Haushalte.
Begründung zu Ziffern 2, 6, 8, 9, 11 bis 13, 16 und 18 (nur gegenüber dem Plenum):
In der Stellungnahme des Bundesrates sollte die kritische Position der Länder zu einzelnen Punkten (Kompetenzgesichtspunkte, datenschutzrechtliche Problematik, Kostentragungspflicht) deutlich zum Ausdruck gebracht werden:
- - In der Begründung des Richtlinienvorschlags fehlt bislang eine ausführliche Erörterung der Frage, ob das Vorhaben auf eine Richtlinie gestützt werden kann bzw. ob es - eventuell auf Grund der Rechtsprechung des EuGH zum Umweltstrafrecht (Urteil vom 13. September 2005, C-176/03) - auf einen Rahmenbeschluss gestützt werden muss. Der Bundesrat sollte darauf hinwirken, diese grundsätzliche Frage zu klären, um der Gefahr zu begegnen, dass das Vorhaben zu einem späteren Zeitpunkt vom EuGH für nichtig erklärt wird.
- - Der Richtlinienvorschlag sollte stärker als bisher datenschutzrechtliche Belange berücksichtigen, insbesondere einen angemessenen Ausgleich zwischen Allgemein- und Individualinteressen herstellen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. z.B. die Entscheidung vom 27. Juli 2005 zum Niedersächsischen Polizeigesetz, 1 BvR 668/04; NJW 2005, 2603 ff.) spielt bei der Erhebung der Verbindungsdaten der Telekommunikation und der Standortkennung auf grundrechtlicher Seite eine Rolle, unter welchen Voraussetzungen welche und wie viele Grundrechtsträger wie intensiven Beeinträchtigungen ausgesetzt sind.
Zwar betreffen die Erhebung der Verbindungsdaten der Telekommunikation und die Standortkennung zunächst nur die technische Abwicklung des Telekommunikationsvorgangs. Der Eingriff wiegt aber nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ebenfalls schwer. Verbindungsdaten lassen erhebliche Rückschlüsse auf das Kommunikationsverhalten zu (vgl. auch BVerfGE 107, 299, 318). Die Standortkennung eingeschalteter Mobilfunkendeinrichtungen kann zur Erstellung eines Bewegungsbilds führen, über das ggf. auf Gewohnheiten der betroffenen Personen oder auf Abweichungen hiervon geschlossen werden kann.
Grundrechtlich bedeutsam ist ferner die große Streubreite der Eingriffe. Die Erhebung der Verbindungsdaten kann eine große Zahl von Personen treffen. Erfasst sind nicht nur potenzielle Straftäter, sondern alle, mit denen diese in dem betreffenden Zeitraum Telekommunikationsverbindungen nutzen. Dazu können Personen gehören, die in keiner Beziehung zu einer möglicherweise zu verhütenden oder später zu verfolgenden Straftat stehen, wie etwa Kontakt- und Begleitpersonen.
- - Bislang ist den datenschutzrechtlichen Belangen nicht ausreichend Rechnung getragen worden. Unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben sind Vorschriften über Löschungspflichten unerlässlich.
- - Die Bundesregierung sollte aufgefordert werden, die Regelung über die Erstattung der Zusatzkosten, die schon für das Vorhalten der technischen Einrichtungen anfallen und nach Auskunft der Betreiber einen dreistelligen Millionenbetrag ausmachen dürften, wieder zu streichen.
Der Bundesrat sollte ferner deutlich machen, dass die Länder für eine Kostenübernahme keine finanziellen Spielräume sehen.
B
- 19.
Der Ausschuss für Kulturfragen
empfiehlt dem Bundesrat,
von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.