904. Sitzung des Bundesrates am 14. Dezember 2012
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Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Ausschuss für Frauen und Jugend (FJ) und der Rechtsausschuss (R) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Absicht der Kommission, vermittels einer verbindlichen Quotenvorgabe ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis bei der Besetzung von nicht geschäftsführenden Direktoren bzw. Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften herzustellen.
- 2. Der Bundesrat stellt fest, dass die Motive und Ziele des Richtlinienvorschlags im Einklang mit den Beweggründen stehen, die der Beschlussfassung des Bundesrates über die Einführung einer nationalen Quotenregelung - Entwurf eines Gesetzes zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien (GlTeilhG), BR-Drucksache 330/12(B) - zugrunde lagen.
- 3. Der Bundesrat hebt hervor, dass die Einschätzung der Kommission zur Ungeeignetheit von Selbstverpflichtungslösungen durch die nationale Entwicklung bestätigt wird. So beträgt der Anteil an weiblichen Aufsichtsratsmitgliedern in börsennotierten Unternehmen nach dem aktuellen Womenon-Board-Index der Initiative Frauen in die Aufsichtsräte e.V. (FidAR) lediglich 15,32 Prozent; auf Eignerseite sind es sogar nur 10,63 Prozent. Über zehn Jahre nach Abschluss der Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft haben nach Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung e.V. mehr als ein Viertel der Aufsichtsräte von TOP-200- Unternehmen kein einziges weibliches Aufsichtsratsmitglied.
- 4. Der Bundesrat hebt ferner hervor, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene ein staatliches Hinwirken auf die Gleichstellung von Männern und Frauen erfordern. Ebenso, wie im Recht der EU insbesondere die Gleichstellung von Frauen und Männern zu den Grundwerten und Kernzielen zählt, die in Artikel 2 und Artikel 3 Absatz 3 Satz 4 EUV verankert sind, und Artikel 8 AEUV die EU dazu verpflichtet, bei allen ihren Tätigkeiten darauf hinzuwirken, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern, hält auf nationaler Ebene Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes den Staat dazu an, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken.
- 5. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass die Anstrengungen für eine gleichberechtigte Beteiligung von Frauen in den Führungspositionen der Wirtschaft und speziell für eine messbare Erhöhung der Frauenquote in den Aufsichtsräten großer Aktiengesellschaften nicht nur der Initiative der Mitgliedstaaten überlassen bleiben, sondern auf die europäische Ebene ausgedehnt werden sollten.
- 6. Der Bundesrat hält es daher für unabdingbar, dass die Kommission sich des Themas nunmehr auf europäischer Ebene annimmt.
- 7. Im Hinblick auf die genannten Vertragstexte sowie auf die in Artikel 23 Absatz 1 Charta der Grundrechte der EU (GRC) enthaltene Verpflichtung zur Sicherstellung der Gleichheit von Frauen und Männern und die in Artikel 23 Absatz 2 GRC ausdrücklich zugelassene Einführung spezifischer Vergünstigungen für das unterrepräsentierte Geschlecht bietet Artikel 157 Absatz 3 AEUV die Rechtsgrundlage für die in der vorgeschlagenen Richtlinie gewählten Maßnahmen. Zutreffend weist die Kommission darauf hin, dass der Vorschlag die Kriterien erfüllt, die der EuGH für die Zulässigkeit von positiven Maßnahmen zur Herstellung einer faktischen Gleichstellung entwickelt hat.
- 8. Die von der Kommission dargestellte unterschiedliche Rechts- und Rechtswirklichkeitsentwicklung in den Mitgliedstaaten ist bereits als solche unter dem Blickwinkel des europarechtlichen Gleichbehandlungsgebots zu beenden, da der Umsetzungsstand in einem zentralen Handlungsfeld der EU nicht in einem solch hohen Maße von den nationalen Grenzen abhängig sein darf.
- 9. Darüber hinaus weist die Kommission zutreffend darauf hin, dass die zunehmende Rechtszersplitterung auch den Binnenmarkt beeinträchtigt. Der Bundesrat teilt die Einschätzung der Kommission, nach der die in dieser Frage grundlegend verschiedenen nationalen Rechtsordnungen Auslandsinvestitionen oder grenzüberschreitende Gründungen von Tochtergesellschaften erschweren.
- 10. Der Bundesrat teilt darüber hinaus die Auffassung der Kommission, nach der die unterschiedlichen Anforderungen in den Mitgliedstaaten an die Transparenz der Auswahlentscheidungen die erwünschte grenzüberschreitende Tätigkeit der am besten qualifizierten Frauen erschweren.
- 11. Der Bundesrat stimmt der Kommission auch insoweit zu, als fundamental unterschiedliche nationale Regelungen grenzüberschreitende Kapitalanlagen erschweren.
- 12. Ergänzend weist der Bundesrat darauf hin, dass die Quotenvorgabe speziell für Aufsichtsräte durch ihren Ansatz an der Spitze des Unternehmens eine Änderung der Unternehmenskultur und damit eine Geschlechtergerechtigkeit im gesamten Wirtschaftsleben bewirken soll. Insbesondere bei den durch den Richtlinienvorschlag erfassten großen börsennotierten Kapitalgesellschaften wird die Unternehmenskultur aber oftmals nicht rein national geprägt. Eine Einflussnahme im gesamten Binnenmarkt ist daher ungleich effektiver zur Erreichung des Handlungsziels als ein Flickenteppich disparater nationaler Regelungen.
- 13. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission das Rechtsinstrument der Richtlinie gewählt hat, um so den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zur näheren Ausgestaltung des unmittelbar anwendbaren Rechts zu eröffnen.
- 14. Die Bundesregierung wird aufgefordert für eine Klarstellung dahingehend einzutreten, dass die zur Auffüllung des Qualifikationsbegriffs gemäß Artikel 4 verwendeten "objektiven Kriterien" diskriminierungsfrei sein müssen. Dies bedeutet, dass sie sich auch nicht mittelbar diskriminierend gegenüber dem unterrepräsentierten Geschlecht auswirken dürfen. Die Transparenz der Kriterien und Verfahren soll nach dem Willen der Kommission vielmehr Frauen den Zugang zu Führungspositionen erleichtern, männerdominierten Führungskulturen entgegenwirken, Vielfalt ermöglichen und zu sachkundigerer und soliderer Entscheidungsfassung führen.
Begründung (nur für das Plenum):
Nach der Rechtsprechung des EuGH und dem erstmals in der Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates niedergelegten Verbot der mittelbaren Diskriminierung sind auch dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien und Verfahren untersagt, wenn sie de facto einen höheren Anteil der Angehörigen eines Geschlechts benachteiligen. Die Verpflichtung von Unternehmen, in denen der Anteil des unterrepräsentierten Geschlechts unter dem definierten Mindestanteil liegt, vorab festgelegte, klare, neutral formulierte und eindeutige Kriterien für die Auswahlverfahren einzuführen, zielt darauf ab, bisher offensichtlich Frauen ausschließende intransparente Kriterien und Verfahren zu beenden. Damit wird es bei der nunmehr geforderten Festlegung von Kriterien und Verfahren darauf ankommen, das vorhandene große Potenzial hoch qualifizierter Frauen besser als bisher auszuschöpfen. Eine einseitige Orientierung zur Ausfüllung der Qualifikation an typisch männlichen Lebensmustern und Erwerbsbiografien, die weibliche Kandidaten von vorneherein überwiegend ausschließen beziehungsweise benachteiligen müsste, verbietet sich deshalb gleichermaßen aus rechtlichen Gründen wie auch aus der Intention der Richtlinie.
- 15. Der Bundesrat betont insoweit besonders, dass der Sanktionenkatalog in Artikel 6 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags nach der Begründung der Kommission nicht abschließend sein soll. Der Bundesrat sieht daher die Rechtsfolgenanordnung im Entwurf des GlTeilhG als mit dem Richtlinienvorschlag vereinbar an.
B
- 16. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik und der Wirtschaftsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.