917. Sitzung des Bundesrates am 29. November 2013
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik (AS) und der Finanzausschuss (Fz) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
Zur Vorlage allgemein:
- 1. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich den Ansatz der Kommission, im Sinne der "Strategie Europa 2020" die soziale Dimension der Wirtschafts- und Währungsunion mit Hilfe eines Maßnahmenbündels zu stärken.
- 2. Der Bundesrat begrüßt das Ziel der Mitteilung, die soziale Dimension Europas zu stärken, da gerade in Krisenzeiten ein sozial gerecht ausgestaltetes Europa von großer Bedeutung ist.
- 3. Europa steht im Hinblick auf die Bewältigung der sozialen Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise und vor allem der hohen Arbeitslosigkeit von Jugendlichen vor großen sozialen Herausforderungen. Der Bundesrat hält es daher für wesentlich, dass bei der Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion die soziale Dimension sichtbarer wird.
- 4. Soziale Ungleichgewichte, steigende Armut und insbesondere Jugendarbeitslosigkeit gefährden den sozialen Zusammenhalt und damit das "Projekt EU". Die schwerwiegendsten beschäftigungs- und sozialpolitischen Probleme der Mitgliedstaaten sollten zeitnah festgestellt, in ihrem Wirkungszusammenhang analysiert und effizient angegangen werden.
- 5. Der Bundesrat befürwortet daher das Bestreben, Beschäftigungs- und Sozialentwicklungen stärker als bisher in das Europäische Semester einzubeziehen.
- 6. Der Bundesrat stellt fest, dass die Mitteilung vorwiegend auf Analyseinstrumente und die Stärkung des sozialen Dialogs eingeht, aber keinen wirklichen Mehrwert zur Lösung der aktuellen sozialpolitischen Herausforderungen in Europa darstellt. Er legt dar, dass sich die Mitteilung letztlich in technischen Einzelheiten erschöpft und entscheidende Fragen im Hinblick auf die soziale Dimension nicht angesprochen werden. So fehlt die Aussage, dass eine soziale Dimension nur dann erreicht werden kann, wenn es den Mitgliedstaaten mit hoher Arbeitslosigkeit gelingt, insbesondere durch wirksame Strukturreformen zu Wachstum und Beschäftigung zurückzukehren, und es daneben in allen Mitgliedstaaten gelingt sicherzustellen, dass für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer faire Arbeits- und Entlohnungsbedingungen herrschen.
Zum Scoreboard:
- 7. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass ein Scoreboard mit beschäftigungs- und sozialpolitischen Schlüsselindikatoren entwickelt werden soll, mit dessen Hilfe die Leistungen der einzelnen Mitgliedstaaten in diesen Bereichen besser gemessen und verglichen werden können. Er weist darauf hin, dass der Großteil der in der Mitteilung genannten Schlüsselindikatoren bereits in der Vergangenheit - beispielsweise im gemeinsamen Beschäftigungsbericht - verwendet und auch im Rahmen des Europäischen Semesters berücksichtigt wurde. Vor diesem Hintergrund erscheint der konkrete Mehrwert des Scoreboards zweifelhaft. Der Bundesrat bittet die Kommission um ausführlichere Informationen hierzu.
- 8. Vor Einführung eines Scoreboards mit den vorgeschlagenen Schlüsselindikatoren sollte der Verwaltungs- und Kostenaufwand für die Erhebung der Daten gegen den zu erwartenden Nutzen abgewogen werden.
- 9. Keinesfalls darf das Scoreboard zur Reduzierung der Arbeitnehmerrechte führen.
- 10. Im Übrigen sollte eine geschlechtsspezifisch differenzierte Ausweisung der Indikatoren erfolgen.
- 11. Im Hinblick auf das Scoreboard hebt der Bundesrat des Weiteren hervor, dass dieses nach Aussagen der Kommission als eine Art Frühwarnsystem für größere beschäftigungs- und sozialpolitische Probleme der Mitgliedstaaten dienen soll. Aus Sicht des Bundesrates ist es fraglich, ob die ausgewählten Indikatoren zur Erreichung dieses Ziels geeignet sind.
- 12. Der Bundesrat bedauert, dass der Vorschlag zum Scoreboard offensichtlich wegen Zeitdrucks nicht ausreichend im Vorfeld mit einer breiteren Öffentlichkeit diskutiert wurde. Der Bundesrat hat Zweifel, dass das Scoreboard unter diesen Umständen eine breite Akzeptanz finden wird.
Zur Exante-Koordinierung:
- 13. Der Bundesrat weist im Hinblick auf die geplante Exante-Koordinierung von größeren Reformvorhaben darauf hin, dass völlig unklar ist, wie eine solche in die nationalen Entscheidungsprozesse eingebaut werden könnte. Aus Sicht des Bundesrates ist jedenfalls sicherzustellen, dass die Beteiligungsrechte des Bundesrates nicht unterlaufen werden.
Zur größeren Solidarität durch verstärkte Finanzinstrumente:
- 14. Der Bundesrat begrüßt den Aufruf der Kommission, dass der EU-Haushalt zur Entwicklung der sozialen Dimension voll ausgeschöpft werden muss. Aus Sicht des Bundesrates ist es unabdingbar, dass die zur Verfügung stehenden Fördermittel - insbesondere aus dem Europäischen Sozialfonds - besser abgerufen werden. Er ruft die Kommission in diesem Zusammenhang auf, den Aufbau der Strukturen in den Mitgliedstaaten mit besonderen sozialen und wirtschaftlichen Problemlagen stärker zu begleiten und gleichzeitig die bürokratischen Anforderungen nicht zu hoch werden zu lassen.
Zum verstärkten Engagement für Beschäftigung und Mobilität der Arbeitskräfte:
- 15. Der Bundesrat weist darauf hin, dass durch den Ausbau des EURES-Netzwerks zu einer europaweiten Stelle zur Unterstützung der Stellenvermittlung und Personalsuche die Beratungsaufgaben nicht ersetzt oder eingeschränkt werden dürfen. Vielmehr muss auch in Zukunft die Beratungsleistung der EURES-Beraterinnen und -Berater zu praktischen Fragen des Arbeitens und der sozialen Absicherung im Ausland, wie z.B. Arbeitslosigkeit, Krankheit, Besonderheiten bei Leiharbeit, Wiedereingliederungsmaßnahmen, die Absicherung bei Invalidität und Arbeitsunfällen, sowie der Möglichkeiten der beruflichen Weiterbildung im Vordergrund stehen.
- 16. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass ein besseres Zusammenführen der freien Stellen und der verfügbaren Arbeitskräfte über die Grenzen hinweg erfolgen sollte. Er erinnert daran, dass die Länder insbesondere in den Grenzregionen zum Teil durch regionale grenzüberschreitende Einrichtungen, die die Dynamik der grenzüberschreitenden Arbeitsmärkte analysieren und Lösungen für rechtliche Hindernisse der grenzüberschreitenden Mobilität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern entwickeln, sowie durch Rahmenvereinbarungen und Initiativen zur Förderung der grenzüberschreitenden beruflichen Bildung bereits einen wesentlichen Beitrag dazu leisten.
Zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion: ehrgeizige Ziele und sorgfältige Planung:
- 17. Der Bundesrat bekräftigt den Standpunkt der Kommission, dass für eine "grundlegende Vertragsänderung" zur Einführung einer Fiskalkapazität "zur Absorption asymmetrischer Schocks" die Zeit noch nicht reif ist. Weitere politische Integration in der EU und ihre demokratische Legitimität sind unabdingbare Voraussetzungen für die Übertragung von Hoheitsrechten und Solidaritätsbefugnissen auf die EU bzw. die Wirtschafts- und Währungsunion.
Direktzuleitung an die Kommission:
- 18. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
B
- 19. Der Wirtschaftsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.