Land Brandenburg
Potsdam, den 14. November 2012
Chef der Staatskanzlei
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Winfried Kretschmann
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierungen von Brandenburg, Bremen, Baden-Württemberg, Hamburg und Rheinland-Pfalz haben beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates - Öffentlich geförderte Beschäftigung neu gestalten zuzuleiten.
Ich bitte, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung auf die Tagesordnung der Bundesratssitzung am 23. November 2012 zu setzen und anschließend den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Albrecht Gerber
Entschließung des Bundesrates - Öffentlich geförderte Beschäftigung neu gestalten
Der Bundesrat möge folgende Entschließung fassen:
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, verlässliche Rahmenbedingungen für die Ausgestaltung sozialversicherungspflichtiger öffentlich geförderter Beschäftigung zu schaffen, die folgenden qualitativen Anforderungen entsprechen:
- - Einsatz öffentlich geförderter Beschäftigung im Rahmen individueller Integrationsstrategien. Voraussetzung ist ein qualitatives Profiling, das sicherstellt, dass diejenigen Arbeitslosen gefördert werden, die in absehbarer Zeit nicht in reguläre Beschäftigung vermittelt werden können - gesicherte Finanzierung unter Nutzung der durch die Beschäftigung eingesparten passiven Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Passiv-Aktiv-Transfer)
- - Abschluss von Arbeitsverhältnissen unter Vereinbarung des tariflichen Arbeitsentgelts oder, wenn eine tarifliche Regelung keine Anwendung findet, des für vergleichbare Tätigkeiten ortsüblichen Arbeitsentgelts
- - Sozialversicherungspflicht der Beschäftigung ohne Beiträge zur Arbeitslosenversicherung - Flankierung der Beschäftigung durch Begleitmaßnahmen zur Unterstützung sozialer Stabilisierung und zur Steigerung der Beschäftigungsfähigkeit
- - individuelle überjährige Gestaltung der Beschäftigungsdauer für jene Personen, denen der Übergang in reguläre Beschäftigung nicht gelingt
- - größtmögliche inhaltliche Nähe zu regulären Beschäftigungsverhältnissen
- - statt Regelungen zu Zusätzlichkeit, öffentlichem Interesse und Wettbewerbsneutralität gleichberechtigten Zugang zu öffentlich geförderter Beschäftigung für alle Arbeitgeber gleichermaßen durch Ausgestaltung des Lohnkostenzuschusses als Minderleistungsausgleich unter Beachtung des Wettbewerbsrechts; jährliche Prüfung und Anpassung des Minderleistungsausgleichs
- - Beteiligung der örtlichen Beiräte.
Begründung:
Auch bei guter wirtschaftlicher Situation und steigendem Fachkräftebedarf gibt es eine Gruppe von Arbeitslosen, bei denen eine Integration in reguläre Beschäftigung in absehbarer Zeit nicht gelingen wird. Im System der Grundsicherung für Arbeitsuchende wächst gerade im konjunkturellen Aufschwung der Anteil der weder mittel- noch unmittelbar"marktgängigen" Leistungsbeziehenden; für diese Zielgruppe ist Handlungsbedarf angezeigt. Der Einsatz des üblichen, auf schnelle Integration in reguläre Beschäftigung ausgerichteten Instrumentariums bleibt in solchen Fällen ohne Erfolg. Ursächlich hierfür sind nicht allein Defizite im Bereich von Fachkompetenz, Selbständigkeit und sozialer Kompetenz, sondern auch gesundheitliche und soziale Probleme sowie ein regional unterschiedlich ausgeprägtes Angebot insbesondere an Einfacharbeitsplätzen. Für diese Arbeitslosen bedarf es im Rahmen langfristig angelegter individueller Integrationsstrategien zur Erfüllung des im SGB II und SGB III verankerten Integrationsauftrages des Angebotes von öffentlich geförderten Beschäftigungsmöglichkeiten. Deren Ziel ist es, die Beschäftigungsfähigkeit der Teilnehmenden zu erhalten, zu stärken bzw. wiederherzustellen. Auf diese Weise können Integrationshemmnisse abgebaut und perspektivisch die Grundlagen für eine Integration in reguläre Beschäftigung geschaffen werden. Darüber hinaus wird gesellschaftliche Teilhabe für einen Personenkreis ermöglicht, der durch die Dauer der Arbeitslosigkeit oft am Rande der Gesellschaft steht.
Öffentlich geförderte Beschäftigung kann ihre arbeitsmarktpolitische Zielsetzung nur dann verwirklichen, wenn eine qualitätsgerechte Ausgestaltung gesichert ist. Die Arbeitsverhältnisse müssen in Bezug auf Arbeitsgestaltung, Entlohnung und Inhalte eine größtmögliche Nähe zur regulären Beschäftigung ermöglichen, um einerseits Stigmatisierungen zu vermeiden und andererseits die Integrationschancen zu erhöhen. Da aufgrund der individuellen Defizite der Zielgruppe allein durch die Beschäftigung selbst die arbeitsmarktpolitische Zielsetzung in der Regel nicht erreicht werden kann, sind entsprechende Begleitmaßnahmen vorzusehen, die sowohl sozialpädagogische Interventionen ermöglichen, als auch die Kompetenzentwicklung unterstützen. Ein solcher Ansatz öffentlich geförderter Beschäftigung ist jedoch nur dann wirksam, wenn sowohl für die Beschäftigung selbst als auch für die Begleitmaßnahmen eine langfristig gesicherte Finanzierungsbasis geschaffen wird. Um dies zu realisieren, ist neben einem Finanzierungsanteil aus dem Eingliederungsbudget auch die Aktivierung der durch die Beschäftigung eingesparten passiven Leistungen des Arbeitslosengeldes II erforderlich. Nur über diesen Finanzierungsmechanismus kann auch bei knappen Eingliederungsmitteln gewährleistet werden, dass öffentlich geförderte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nicht, wie gegenwärtig, als "zu teuer" auf der Strecke bleibt. Gleichzeitig wird durch den geforderten Einsatz von knappen Eingliederungsmitteln gewährleistet, dass die Nutzung öffentlich geförderter Beschäftigung arbeitsmarktpolitisch als sinnvoll und notwendig begründet sein muss.
Öffentlich geförderte Beschäftigung in der sozialversicherungspflichtigen Form ist auf eine klar definierte Zielgruppe von Langzeitarbeitslosen zu beschränken. Jugendliche und junge Erwachsene (U25) sollten grundsätzlich nicht in sozialversicherungspflichtig öffentlich geförderter Beschäftigung tätig werden. Für diese Zielgruppe hat der Erwerb von Schulabschlüssen und die Aufnahme einer berufsqualifizierenden Ausbildung Vorrang. Neben der sozialversicherungspflichtigen öffentlich geförderten Beschäftigung bedarf es aufgrund der starken Differenzierung innerhalb der Gruppe der Langzeitarbeitslosen weiterhin des Angebots von Arbeitsgelegenheiten ( § 16d SGB II), bei denen die Wiederherstellung der Beschäftigungsfähigkeit arbeitsloser Menschen im Sinne einer Heranführung an den Arbeitsmarkt im Fokus steht. Allerdings bedarf es auch hier einer Förderung, die neben dem unmittelbaren Arbeitseinsatz auch die sozialpädagogische, berufsorientierende und qualifizierende Begleitung der Teilnehmenden aus einer Hand ermöglicht.
Die aktuellen gesetzlichen Regelungen zur öffentlich geförderten Beschäftigung werden in wesentlichen Punkten den dargestellten Anforderungen nicht gerecht und können damit die erforderlichen Wirkungen nicht erzeugen. Im Ergebnis bedarf es einer umfassenden Überarbeitung des gesetzlichen Instrumentariums für öffentlich geförderte Beschäftigung.