Antrag des Landes Baden-Württemberg
Entschließung des Bundesrates - Betreuungsgeld stoppen, Bundesmittel zum Ausbau der Kleinkindbetreuung aufstocken

Staatsministerium Baden-Württemberg Stuttgart, den 9. November 2011
Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei

An den Präsidenten des Bundesrates Herrn Ministerpräsidenten Horst Seehofer

Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierung Baden-Württembergs hat beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates - Betreuungsgeld stoppen, Bundesmittel zum Ausbau der Kleinkindbetreuung aufstocken zuzuleiten.

Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 23 Absatz 3 in Verbindung mit § 15 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der Sitzung des Bundesrates am 25. November 2011 aufzunehmen und sie anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Klaus-Peter Murawski

Entschließung des Bundesrates - Betreuungsgeld stoppen, Bundesmittel zum Ausbau der Kleinkindbetreuung aufstocken

Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf,

Begründung:

§ 16 Absatz 4 SGB VIII enthält die Ankündigung, dass ab 2013 eine monatliche Zahlung (z.B. Betreuungsgeld) für diejenigen Eltern eingeführt werden soll, die ihre Kinder von ein bis zu drei Jahren nicht in Einrichtungen betreuen lassen wollen oder können. Ein solches Betreuungsgeld würde schätzungsweise etwa 2 Mrd. Euro jährlich kosten.

Verschiedene Studien belegen, dass die Einführung einer solchen Leistung sozial-, integrations- und gleichstellungspolitisch verfehlt und verfassungsrechtlich problematisch wäre. Der Gesetzgeber würde damit finanzielle Anreize schaffen, die Bildungsbeteiligung von Kindern und die Erwerbstätigkeit von Eltern zu verringern statt zu erhöhen.

Nach einer Expertise von Prof. Dr. Margarete Schuler-Harms mit dem Titel "Verfassungsrechtlich prekär" von September 2010 verfestige das Betreuungsgeld, das für den Verzicht auf die Inanspruchnahme eines Kinderbetreuungsplatzes gezahlt werden soll, die traditionelle Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern und laufe somit dem Gleichstellungsgebot des Grundgesetzes zuwider (vgl. S. 22 des Gutachtens). Der Gesetzgeber müsse Impulse vermeiden, "die Familienmitglieder zu einem riskanten Entscheidungsverhalten zu veranlassen" (S. 25 des Gutachtens). Die Inanspruchnahme des Betreuungsgeldes würde Eltern von Erwerbstätigkeit fernhalten und einer erhöhten Armutsgefährdung aussetzen. Diese Expertise macht zudem deutlich, dass das von Befürworterinnen und Befürwortern des Betreuungsgeldes ins Feld geführte Argument der Wahlfreiheit nicht überzeugt. Vielmehr werde "die,Wahlfreiheit" von Eltern, die ihr Kind selbst betreuen, durch die Bereitstellung eines umfangreicheren öffentlich geförderten Angebots an Kinderbetreuung und einen individuellen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz nicht verringert, sondern erhöht" (S. 23 des Gutachtens).

Das Rechtsgutachten von Prof. Dr. Ute Sacksofsky, M. P. A. (Harvard) mit dem Titel "Vereinbarkeit des geplanten Betreuungsgeldes nach § 16 Abs. 4 SGB VIII [Achtes Buch Sozialgesetzbuch] mit Art. 3 und Art. 6 GG" von Oktober 2010 kommt zu dem Schluss, dass die geplante Einführung des Betreuungsgeldes "gegen den Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG und gegen den Verfassungsauftrag zur Förderung der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG verstößt" (S. 15 des Gutachtens), da es zum einen keine Gründe gebe, die es rechtfertigen würden, dass die Familienförderung auf bestimmte Typen beschränkt werden kann und zum anderen die traditionelle Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern verfestigt würde.

Das Betreuungsgeld ist auch sozial- und bildungspolitisch äußerst kritisch zu bewerten, wie der Thüringer Kindersozialbericht von 2009 verdeutlicht. Mit der Einführung eines Landeserziehungsgeldes in Thüringen wurde "ein starker Anreiz gerade für ökonomisch schwächere Familien geschaffen, ihre Kinder nicht in eine vorschulische Bildungseinrichtung zu bringen" (S. 55 des Berichts). Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln weist darauf hin, dass das Betreuungsgeld die Familienarmut erhöhen würde und dies den Kinderinteressen zuwiderlaufe (Stellungnahme vom 4. Juli 2011).

Die Bundesregierung sollte daher auf die geplante Einführung eines Betreuungsgeldes verzichten und sich stattdessen finanziell stärker an einem bedarfsgerechten und qualitativ hochwertigen Angebot an Bildungs- und Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren beteiligen. Nur so kann echte Wahlfreiheit für Familien hergestellt werden.