860. Sitzung des Bundesrates am 10. Juli 2009
A.
- 1. Der Rechtsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Gesetz zu verlangen, dass der Vermittlungsausschuss gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes mit dem Ziel der Aufhebung der Gesetzesbeschlüsse des Deutschen Bundestages einberufen wird.
- Bei Annahme von Ziffer 1 entfällt Ziffer 3
Begründung
- Verwertung von Daten in strafrechtlichen Ermittlungs- und Gerichtsverfahren - Todesstrafenproblematik
Nach Artikel 13 des Abkommens dürfen die Vertragsparteien Informationen, die sie nach diesem Abkommen gewonnen haben, für den Zweck ihrer strafrechtlichen Ermittlungen verarbeiten. Dies gilt zum einen für die Daten, die aus elektronischen Abfragen in der DNA- bzw. Fingerabdruckdatei erlangt wurden. Diesbezüglich besteht eine gewisse justizielle Kontrolle, da weitere personenbezogene Daten nur nach den Vorschriften über die Rechtshilfe weitergegeben werden sollen.
Demgegenüber können nach Artikel 10 des Abkommens zum Zwecke der Verhinderung terroristischer Straftaten auch ohne Ersuchen personenbezogene Daten übermittelt werden, soweit dies erforderlich ist, weil bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass
- a) der Betroffene terroristische Straftaten oder Straftaten, die mit Terrorismus oder einer terroristischen Gruppe oder Vereinigung im Zusammenhang stehen begehen wird, oder
- b) eine Ausbildung zur Begehung der unter Buchstabe a genannten Taten durchläuft oder durchlaufen hat.
Die zunächst für präventive Zwecke übermittelten Daten dürfen gemäß Artikel 13 Absatz 1 Buchstabe a für den Zweck strafrechtlicher Ermittlungen verwendet werden. Für die Verwendung darüber hinaus, also z.B. für "strafrechtliche Gerichtsverfahren", ist die Zustimmung "der Vertragspartei" erforderlich.
Zum einen ist problematisch, dass die im Ermittlungsverfahren erlangten Erkenntnisse zu weiteren Beweisen führen können, die dann im Strafverfahren ohne Weiteres verwendet werden. Erheblichen Bedenken begegnet zum anderen, dass nach § 3 des Umsetzungsgesetzes über die Erteilung der Zustimmung nach Artikel 13 Absatz 1 Buchstabe d und Absatz 2 des Abkommens und damit über die Zustimmung zur zweckändernden Verwendung der Daten und zur Weitergabe der Daten an Dritte das Bundeskriminalamt entscheidet. Handelt es sich um Daten, die dem Bundeskriminalamt von einer anderen innerstaatlichen Stelle übermittelt worden sind, entscheidet das Bundeskriminalamt über die Erteilung der Zustimmung im Benehmen mit dieser Stelle. Ein justizielles Ersuchen ist danach - auch für die Verwendung der Erkenntnisse über die in Artikel 13 Absatz 1 Buchstabe a genannten Zwecke hinaus und damit z.B. auch für die Zwecke strafrechtlicher Gerichtsverfahren - nicht vorgesehen. Dies widerspricht dem Grundsatz der Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft und der bisherigen Zuständigkeitsverteilung im Bereich der Rechtshilfe.
Dies hat im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika umso mehr Bedeutung, als nach Artikel 102 i.V.m. Artikel 2 Absatz 1 GG deutsche Ermittlungsergebnisse für ausländische Strafverfahren nur zur Verfügung gestellt werden dürfen, wenn gewährleistet ist, dass diese Ermittlungsergebnisse nicht zum Zweck der Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe verwertet werden.
In der Denkschrift zum Umsetzungsgesetz wird darauf hingewiesen, dass nach Artikel 10 Absatz 4 die übermittelnde Behörde nach Maßgabe des für sie geltenden innerstaatlichen Rechts verbindliche Bedingungen für die Verwendung der übermittelten Daten durch die empfangende Behörde festlegen kann, etwa dass die Daten binnen einer bestimmten Frist zu löschen sind und nicht zur Verhängung der Todesstrafe verwandt werden dürfen. Es begegnet Bedenken, dass die zu übermittelnden Daten zwar aus strafrechtlichen Ermittlungsverfahren der Länder resultieren können, die Justizbehörden jedoch keinen Einfluss darauf haben, ob die Übermittlung der Daten unter der genannten Bedingung erfolgt.
- Datenschutzrechtliche Bedenken
Darüber hinaus begegnet das Abkommen erheblichen datenschutzrechtlichen Bedenken.
Mit dem Abkommen wird ein gegenseitiger Online-Zugriff auf Fundstellendatensätze von daktyloskopischen Daten und DNA-Profilen im hit/nohit-Verfahren nach dem Muster des Prümer Vertrages vereinbart. Zudem werden dessen Regelungen über den Austausch personenbezogener Daten zur Verhinderung terroristischer Straftaten weitgehend übernommen. Das als Bedingung für diese umfangreichen Zugriffs- und Übermittlungsbefugnisse im Prümer Vertrag geschaffene Datenschutzregime wird indes nicht übertragen. Da das Abkommen auch keinen Verweis auf andere Datenschutzregelwerke enthält zu deren Einhaltung sich die Vertragsparteien verpflichten ist maßgeblich, ob es selbst einen angemessenen Datenschutz gewährleistet. Dies ist nicht der Fall.
Die Voraussetzungen, unter denen ein Datenaustausch erlaubt ist, sind nicht klar definiert. Der Datenaustausch wird allgemein zur Bekämpfung terroristischer Straftaten und schwerwiegender Kriminalität zugelassen.
Welche Straftaten darunter konkret zu verstehen sind, wird nicht festgelegt.
Es erfolgt lediglich ein Verweis auf das jeweilige nationale Recht.
Damit können die Vereinigten Staaten von Amerika einseitig eine Entscheidung über die Relevanz der abgerufenen Daten treffen. Artikel 10 Absatz 3 sieht zwar eine Notifizierung der Straftaten vor. Diese kann jedoch jederzeit einseitig von einer Vertragspartei geändert werden, was zumindest für den automatisierten Zugriff auf die Dateien des anderen Vertragsstaates Bedeutung hat.
Unzureichend sind auch die Vorschriften über die weitere Verwendung der übermittelten Daten. Nach dem Zweckbindungsgrundsatz dürfen personenbezogene Daten nur für bereichsspezifisch und präzise festgelegte Zwecke gespeichert werden und nur im Rahmen dieser Zwecke verwendet werden. Das Abkommen trägt diesem Grundsatz nicht ausreichend Rechnung.
Insbesondere gestattet Artikel 13 Absatz 1 die Weiterverarbeitung in nichtstrafrechtlichen Gerichts- und Verwaltungsverfahren sowie - bei vorheriger Zustimmung der anderen Vertragspartei - für jeden anderen Zweck. Im letztgenannten Fall ist die Zustimmung an keinerlei Bedingungen geknüpft.
Das Abkommen legt keine verbindlichen Löschungs- bzw. Prüffristen fest.
Artikel 11 Absatz 2 sieht lediglich vor, die übermittelten Daten so lange aufzubewahren als dies für den jeweiligen Zweck nötig ist. Für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union sind solche Fristen vorgegeben.
Für die Betroffenen sieht das Abkommen praktisch keine Datenschutzrechte vor. Artikel 11 Absatz 3 schließt subjektive Rechte "aus diesem Abkommen" ausdrücklich aus und verweist lediglich auf die Voraussetzungen im Recht der jeweiligen Vertragspartei. In den Vereinigten Staaten von Amerika werden aber Datenschutzrechte, wie sie in der Europäischen Union allen Menschen zustehen, ausschließlich Bürgern der Vereinigten Staaten und dort wohnenden Ausländern gewährt. Anderen Personen stehen Rechtsansprüche auf Auskunft, Berichtigung, Sperrung oder Löschung nicht zu. Außerdem besteht in den Vereinigten Staaten von Amerika keine unabhängige Datenschutzkontrolle. Insbesondere vor diesem Hintergrund sind die im Abkommen enthaltenen weiten Öffnungsklauseln für die Weiterverwendung der ausgetauschten Daten sowie der Verzicht auf Höchstspeicherfristen aus datenschutzrechtlicher Sicht nicht akzeptabel.
§ 5 Absatz 1 des Umsetzungsgesetzes, der dem Betroffenen ein Recht auf Geltendmachung der völkerrechtlichen Ansprüche der Bundesrepublik nach Artikel 14 einräumt, stellt keine ausreichende Kompensation für das Fehlen subjektiver Rechte dar. Insbesondere genügt ein "Verlangen" nach Berichtigung, Sperrung oder Löschung personenbezogener Daten nicht.
Erforderlich ist eine bindende Verpflichtung der Vertragsparteien zur unverzüglichen Berichtigung, Sperrung oder Löschung, die vom Betroffenen unmittelbar eingefordert werden kann.
Schließlich lässt Artikel 12 in bedenklicher Weise die Übermittlung von personenbezogenen Daten besonderer Kategorien zu. Die Voraussetzungen der Regelung sind nicht hinreichend bestimmt. Es wird eine "besondere Relevanz" der Daten gefordert, ohne dass dieser unbestimmte Rechtsbegriff definiert wird. Der Übermittlungszweck wird in keiner Weise präzisiert, sondern es wird pauschal auf "die Zwecke dieses Abkommens" verwiesen. Auch die in Artikel 12 aufgezählten Datenkategorien sind zu weit gefasst. Sie entsprechen zwar dem Standardkatalog der allgemeinen Datenschutzgesetze. Dabei bleibt jedoch unberücksichtigt, dass die Zweckbestimmung dieser Gesetze wesentlich breiter gefasst ist. Artikel 12 zielt hingegen ausschließlich auf den konkreten Zweck ab, terroristische Straftaten nach Artikel 10 zu verhindern. Es ist nicht erkennbar, welche Relevanz Daten über die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft, die Gesundheit oder das Sexualleben hierfür haben könnten.
B.
- 2. Der federführende Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Gesetz einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen.
C.
- 3. Der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfiehlt dem Bundesrat ferner, folgende Entschließung zu fassen:
- Ziffer 3 entfällt bei Annahme von Ziffer 1
Der Bundesrat begrüßt die Entschließung des Bundestags. Der Bundesrat erwartet, dass die Bundesregierung bei der Durchführung des Abkommens auf die Einhaltung eines hohen Datenschutzniveaus hinwirkt und die Aspekte, die der Bundesrat in seinem Beschluss zum Gesetzentwurf kritisch geltend gemacht hat bei künftigen Verhandlungen berücksichtigt.
Begründung
Der Bundesrat hat am 15.05.09 zu dem Gesetzentwurf ausführlich Stellung genommen (Drs. 331/09(B) ) und darauf hingewiesen, dass der in dem Abkommen vom 1. Oktober 2008 vorgesehene intensive Austausch personenbezogener Daten insbesondere eine umfassende Auseinandersetzung mit dem verfassungsrechtlich geschützten Recht auf informationelle Selbstbestimmung voraussetzt. Er hatte dabei vor allem auf den problematischen Zuschnitt von Artikel 12 des Abkommens hingewiesen, mit dem an die Übermittlung von personenbezogenen Daten besonderer Kategorien strengere Anforderungen geknüpft werden sollten, aber die Voraussetzungen nicht hinreichend bestimmt worden waren. Er hat desweiteren darauf aufmerksam gemacht, dass das Abkommen keine verbindlichen Löschungs- bzw. Prüffristen festlegt und auch eine verbindliche Definition der schwerwiegenden Kriminalität sowie der terroristischen Straftaten fehlt.
Der Bundesrat hat aber auch anerkannt, dass eine partnerschaftliche Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit anderen Staaten von wesentlicher Bedeutung ist und will das Inkrafttreten des Abkommens nicht verzögern.
Andererseits muss das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewahrt bleiben.