Der Deutsche Bundestag hat in seiner 250. Sitzung am 27. Juni 2013 zu dem von ihm verabschiedeten Gesetz zur Verbesserung der Kontrolle der Vorstandsvergütung und zur Änderung weiterer aktienrechtlicher Vorschriften (VorstKoG) - Drucksachen 17/8989, 17/14214 - den beigefügten Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/14239 angenommen.
Deutscher Bundestag Drucksache 17/14239
17. Wahlperiode
26.06.2013
Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 17/8989, 17/14214 - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2012)
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
- 1. In den letzten 20 Jahren hat der deutsche Gesetzgeber das Corporate Governance System unseres Landes durch zahlreiche gesetzliche Änderungen (ergänzt durch die Empfehlungen der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex) wesentlich verbessert und auf ein international beispielhaftes Niveau gebracht. Das Regelwerk zur Kontrolle und Leitung der börsennotierten Aktiengesellschaften ist engmaschiger geworden, die Arbeit der Aufsichtsräte deutscher Publikumsgesellschaften ist sehr viel professioneller geworden. Der Deutsche Bundestag hat sich deshalb darauf beschränkt, mit den vorgesehenen Neuregelungen des Aktienrechts eher technische Veränderungen und Anpassungen des Aktiengesetzes vorzunehmen. Diese Novelle enthält zudem auch viele Korrekturen und Erleichterungen für die Praxis, die aber nicht den Charakter einer größeren Reform oder Veränderung des Systems tragen.
Obwohl bereits in der 16. Wahlperiode das Thema Vergütung der Vorstände eine erhebliche politische Rolle gespielt hatte, was gegen Ende der Legislatur zu dem Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG, BGBl. 2009 I S. 2509) führte, ist auch zum Ende der 17. Wahlperiode das Thema wieder in den Fokus der Öffentlichkeit und der politischen Auseinandersetzung geraten. Ein Auslöser hierfür war auch die Schweizer Volksinitiative "gegen die Abzockerei" vom 3. März 2013, die zu einem sehr deutlichen Votum über empfundene Missstände bei der Managervergütung geführt und auch die deutsche Diskussion stark beeinflusst hat. Dabei darf man aber nicht übersehen, dass das Schweizerische Vergütungssystem für die Verwaltungsräte nicht vergleichbar ist mit dem Stand der Regelungsdichte zur Vorstandsvergütung im deutschen Aktiengesetz.
Der Deutsche Bundestag nimmt die Sorge, dass bei der Managervergütung das Maß verloren gehe und der innere Zusammenhalt der Gesellschaft gefährdet sei, sehr ernst. Eine nüchterne empirische Betrachtung der Vergütungssituation in Deutschland führt indes zu dem Ergebnis, dass es nur wenige "Ausreißer" gab, die aber von der Öffentlichkeit besonders intensiv wahrgenommen und teilweise als skandalös empfunden wurden.
Um hierauf zu reagieren, zugleich aber unser gewachsenes und über die Jahrzehnte außerordentlich erfolgreiches Corporate Governance System nicht zu beschädigen, wird mit der vorgesehenen Neuregel ung eine moderate Fortentwicklung des sog. Say-onpay-Ansatzes vorgenommen. Dabei geht es nicht darum, den Aufsichtsrat von seiner wichtigen Aufgabe und seiner Pflicht zur Festsetzung der Vorstandsvergütung im Einzelnen und zur Entwicklung der Vergütungsstrategie im Allgemeinen zu entbinden. Es geht vielmehr darum, dass der Aufsichtsrat gegenüber den Eigentümern des U nternehmens stärker Rechenschaft über seine Arbeit ablegen soll. Eine Neuheit dieser Regelung ist nicht nur, dass sie zwingend ausgestaltet ist, sondern vor allem, dass der Hauptversammlung auch feste Höchstbeträge genannt werden müssen. Das bedeutet, dass der Hauptversammlung nicht nur abstrakte V ergütungssysteme mit ihren Komponenten vorgestellt werden, sondern ihr auch vor Augen geführt wird, welche maximalen Gehälter bei diesen Vergütungssystemen möglich sind.
Der Gesetzgeber schafft damit die Basis für eine rationale und ernsthafte Debatte über Höchstvergütungen deutscher Vorstände. Dabei ist verschiedentlich argumentiert worden, der Eigentümer sei der Falsche, um die Vergütung der Vorstände zu bewerten. Die Anteilseigner börsennotierter Gesellschaften seien oftmals institutionelle Anleger aus der ganzen Welt, die keine besondere Sensibilität aufbrächten und kein Interesse daran hätten, die Vorstandsvergütung in einem vernünftigen Maße zu halten. Dem ist entgegenzuhalten, dass in einem System, welches Privateigentum an Produktivmitteln zur Basis hat, prinzipiell der Eigentümer der Richtige ist, die Vergütungsentscheidung für seine Angestellten und Organe zu treffen oder zumindest deren Festsetzung zu kontrollieren. Es ist auch eine Fehlannahme, dass es institutionellen Anlegern gleichgültig sei, wie viel Geld die Vorstände für ihre Leistung beziehen. Kein Anteilseigner, sei er direkter Aktieninhaber oder Sachwalter für die Vermögensinteressen beispielsweise von Rentnern und Kleinanlegern, hat ein Interesse daran, dass das Management sich zu Lasten der Liquidität und letztlich auch zulasten möglicher Dividenden unangemessen bedient. Vielmehr haben alle Investoren ein Interesse an angemessener Vergütung der Organe.
- 2. Allerdings ist das Abstimmungsverhalten von institutionellen Anlegern derzeit häufig schwer aufzuklären. Es ist jedoch politisch und volkswirtschaftlich wünschenswert, dass die institutionellen Anleger ihre Eigentümerrechte aktiv, informiert und verantwortungsbewusst wahrnehmen. Die Frage der Aktivierung der institutionellen Anleger war bereits im Grünbuch der Europäischen Kommission zu Corporate Governance in Finanzinstituten von 2010( KOM (2010) 284) unter Bezugnahme auf den britischen Stewardship Code1 erörtert worden. Die meisten Stellungnahmen der Mitgliedstaaten und interessierten Kreise zu dem anschließenden Grünbuch der Kommission von 2011 (Grünbuch Europäischer Corporate Governance-Rahmen, KOM (2011) 164, Seite 3 ff.) sprachen sich dafür aus, dass institutionelle Anleger (Investmentfonds, Versicherungen etc.) verpflichtet werden sollten, ihre Stimmrechtspolitik und die entsprechenden Aufzeichnungen zu veröffentlichen. Auch in der Literatur wird die Pflicht zur Veröffentlichung von Stimmrechtspolitiken grundsätzlich positiv bewertet. Dies könne insbesondere zur Optimierung der Anlageentscheidung der Endanleger beitragen, den Dialog mit den Emittenten erleichtern und mögliche Interessenkonflikte zu Tage bringen. Auch für die Beantwortung der Frage, wie institutionelle Anleger sich hinsichtlich der Vergütungsentscheidung im Rahmen des neuen Say-onpay positionieren werden, kann Transparenz des Abstimmungsverhaltens einen wichtigen Beitrag leisten. Die Kommission hat mit ihrem Aktionsplan "Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance - ein moderner Rechtsrahmen für engagiertere Aktionäre und besser überlebensfähige Unternehmen" vom 12. Dezember 2012 (KOM (2012) 740/2) hierzu bereits weitere Überlegungen angekündigt.
Die Bundesregierung wird aufgefordert, diesen Diskussionsprozess auf europäischer Ebene aktiv und im obigen Sinne positiv zu begleiten. Dabei ist freilich stets zu berücksichtigen, dass unnötige neue Bürokratie vermieden wird und Transparenz kein Selbstzweck sein darf, ohne dass die offengel egten Daten von den Adressaten auch zur Kenntnis genommen werden.
- 3. Diese Überlegungen zu etwaigen Transparenzpflichten der institutionellen Anleger stehen in einem größeren rechtspolitischen Zusammenhang. Im Verlaufe der Finanzkrise ist eine politische und ökonomische Diskussion zum verantwortungsvollen Verhalten der Anteilseigner unserer großen Publikumsgesellschaften angestoßen worden. Diese Diskussion findet statt auf der Ebene der OECD (Corporate Governance, Value Creation and Growth 2), auf der Ebene der EU-Kommission in dem bereits erwähnten Aktionsplan und sollte auch auf nationaler Ebene verfolgt werden. Wachstum ist einer der entscheidenden Faktoren, um der Finanzkrise und der Staatsschul denkri se zu entkommen. Auch die Corporate Governance als gesetzlicher Rahmen für das Arbeiten von Großunternehmen kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass sich Unternehmen langfristig ausrichten und sich strategisch auf eine nachhaltige Umsatz- und Renditeentwicklung hin orientieren. Dazu sind sicherlich kurzfristig agierende Anleger, die zur Ausnutzung kleinerer Kursschwankungen kaufen und verkaufen, nicht hilfreich. Sie sind aber auch nicht schädlich, solange es genug langfristig engagierte Aktionäre gibt. Zudem tragen sie zur Liquidität der Anlageklasse Aktie bei. Der gesetzliche Corporate Governance-Rahmen ist daher auch unter dem Aspekt zu betrachten, ob er Verhaltensanreize für Anteilseigner bietet. Verantwortungsvolle Aktionäre, die sich langfristig engagieren, sollten einen wirtschaftlichen Vorteil davon haben. Verantwortung ist wohl schwer zu incentivieren, die Langfristigkeit des Anlagehorizonts aber schon eher. In diese Richtung gingen auch die Stellungnahme der Bundesregierung gegenüber der Kommission und die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zum Grünbuch der Kommission "Europäischer Corporate Governance-Rahmen" (Bundestagsdrucksache 17/6506, Seite 6, Nummer 11), in denen der Vorschlag einer Treuedividende zur langfristigen Bindung von Anlegern befürwortet wird. Die Überlegung dabei ist: Wer langfristig in einem Unternehmen investiert ist, wird sich vermutlich auch stärker um dieses Unternehmen und seine langfristig erfolgreiche Entwicklung kümmern.
Die Bundesregierung wird daher aufgefordert, in der nächsten Wahlperiode zusammen mit der EU-Kommission im Rahmen der Umsetzung des Aktionsplans Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance und auch auf nationaler Ebene geeignete Maßnahmen für eine verbesserte Incentivierung des langfristigen Eigentümerengagements bei börsennotierten Aktiengesellschaften zu prüfen.
- 4. Wenn auf die institutionellen Anleger politisch der Druck erhöht wird, ihre Stimmrechte auszuüben, so ist verständlich, dass internationale 1 nvestoren, die hoch diversifizierte A kti enportfol i os halten, sich genötigt sehen, die Vorbereitung der Stimmrechtsausübung zu delegieren und verstärkt auf Stimmrechtsberater (Proxy Advisors) zurückzugreifen. Das ist ökonomisch rational und nicht zu kritisieren. Diese Berater erlangen allerdings durch die Akkumulation von Beratungsaufträgen bezüglich einzelner Emittenten insbesondere auf Märkten mit einem hohen Prozentsatz an internationalen Anlegern erheblichen Einfluss und stellen einen neuen Machtfaktor im Corporate Governance Gefüge dar. Hinzu kommt die hohe Konzentration weniger Anbieter im Wettbewerb, welche duopolartige Züge annimmt. Wenn die Kunden der Stimmrechtsberater aber zugleich beinahe ausnahmslos die Empfehlungen ihrer Berater übernehmen, resultiert daraus eine faktische Stimmrechtsmacht. Diese Macht ist bisher gänzlich unkontrolliert.
Die Bundesregierung wird daher aufgefordert, auf Ebene der Umsetzung des Aktionsplans Europäi sches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance der EU-Kommission aber auch auf nationaler Ebene in der nächsten Wahlperiode Überlegungen dazu anzustellen, ob und welche Maßnahmen zur Begrenzung dieser Einflusskonzentration, zur Vermeidung von Interessenkonflikten und zur Verbesserung der Kommunikation der Beteiligten sinnvoll und erforderlich sind.
- 5. Zuletzt spricht sich der Deutsche Bundestag dafür aus, den Dialog mit der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex zu verstärken. Der Deutsche Corporate Governance Kodex (der "Kodex") stellt wesentliche gesetzliche Vorschriften zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften dar und enthält international und national anerkannte Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung. Der Deutsche Bundestag beabsichtigt, in der nächsten Wahlperiode den Deutschen Corporate Governance Kodex verfassungsfest fortzuentwickeln und den Dialog zur Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex stärker zu pflegen und dazu bei Bedarf deren Vorsitzenden und einzelne Mitglieder zu Ausschusssitzungen einzuladen.
Dabei wird auch zu diskutieren sein, ob die vom Kodex formulierten Empfehlungen zur Verbesserung der Professionalisierung von Aufsichtsräten, insbesondere zur Fortbildungsnotwendigkeit und -pflicht, in der Praxis ausreichend greifen oder ob zusätzliche gesetzgeberische Maßnahmen auf diesem Gebiet erforderlich sind.
- 6. Der Gesetzgeber hat 2003 die zuvor verstreuten Regelungen über die gerichtliche Nachprüfung der Abfindungsleistungen an Minderheitsgesellschafter bei Umstrukturierungsmaßnahmen von Unternehmen in einem neuen Spruchverfahrensgesetz zusammengefasst und mit dem Ziel der Beschleuni gung solcher Verfahren reformiert. Nunmehr sollte geprüft werden, inwieweit dieses Ziel erreicht worden ist. Denn eine unangemessen lange Dauer belastet sowohl Aktionäre als auch Aktiengesellschaften gleichermaßen. Die Bundesregierung wird daher aufgefordert, in der nächsten Wahlperiode zu untersuchen, welche Erfahrungen die Praxis mit dem geltenden Recht gemacht hat und ob es noch Möglichkeiten gibt, durch weitere gesetzliche Bestimmungen die Dauer von Spruchverfahren zusätzlich zu straffen und zu verkürzen.
- 7. Auch hinsichtlich des aktienrechtsbezogenen Umwandlungsrechts ist Reformbedarf zu konstatieren. Dies betrifft namentlich die Ungleichbehandlung der Anteilseigner des übertragenden und übernehmenden Rechtsträgers im Verschmelzungsrecht, die gesetzliche Verpflichtung, als Folge eines Spruchverfahrens etwa zu gewährende zusätzliche Leistungen ausschließlich in Geld statt in Anteilen zu erbringen, und die Ausgestaltung sogenannter Mini-Ausgliederungen nach dem Umwandlungsgesetz. Der Bundestag begrüßt es, wenn die Bundesregierung in der nächsten Wahlperiode einen Gesetzentwurf zur Behebung bestehender Defizite vorlegt.
II. Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf,
den Diskussionsprozess um erhöhte Offenlegungspflichten institutioneller Anleger, insbesondere was ihr Stimmverhalten zum Vergütungssystem betrifft, auf europäischer Ebene aktiv zu begleiten. Dabei ist freilich zu berücksichtigen, dass unnötige neue Bürokratie vermieden wird und Transparenz kein Selbstzweck sein darf;
- - in der nächsten Wahlperiode auf europäischer, aber auch auf nationaler Ebene Maßnahmen zu einer verbesserten Incentivierung des langfristigen Eigentümerengagements bei börsennotierten Aktiengesellschaften zu prüfen;
- - in der nächsten Wahlperiode auf europäischer, aber auch auf nationaler Ebene Überlegungen dazu anzustellen, ob und welche Maßnahmen zur Vermeidung von Interessenkonflikten bei Sti mmrechtsberatern (Proxy Advisors) und zur eventuellen Verbesserung der Kommunikation der Beteiligten sinnvoll und erforderlich sind;
- - in der nächsten Wahlperiode unter Einbeziehung der Erfahrungen der Praxis mit dem geltenden Recht zu untersuchen, ob es noch Möglichkeiten gibt, Spruchverfahren weiter zu beschleunigen.
Berlin, den 25. Juni 2013
Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion Rainer Brüderle und Fraktion
- 1. www.frc.org.uk/Our-Work/Publications/Corporate-Governance/UK-Stewardship-Code-September-2012.aspx
- 2. www.oecd.org/daf/ca/corporategovernanceprinciples/50242938.pdf