Der Bundesrat hat in seiner 892. Sitzung am 10. Februar 2012 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat erkennt an, dass der Europäische Fonds für die Anpassung an die Globalisierung (EGF) in der Vergangenheit auch in Deutschland Unterstützung bei großen Entlassungsereignissen geleistet hat.
- 2. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass der EGF nach dem Vorschlag der Kommission in der künftigen Förderperiode 2014 - 2020 weitergeführt werden soll. Er nimmt auf seine vorherigen kritischen Stellungnahmen Bezug und betont abermals, dass der EGF nicht zu einem allgemeinen Hilfsinstrument zur Begleitung des Strukturwandels entwickelt werden sollte (insbesondere BR-Drucksachen 054/09(B) und 214/06(B) ). Er sieht insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität und mit Blick auf den Europäischen Sozialfonds für ein weiteres ständiges strukturpolitisches Instrument im Gefüge von europäischer Kohäsionspolitik und nationaler Arbeitsmarktpolitik keinen Bedarf. Der Bundesrat hat hervorgehoben, dass es in der Verantwortung der Mitgliedstaaten liegt, die richtigen flankierenden sozial-, bildungs- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zu treffen (BR-Drucksache 694/10(B) ), und vor der Entscheidung über eine weitere Zukunft des EGF eine vorherige Evaluation gefordert (BR-Drucksache 667/10(B) ).
- 3. Darüber hinaus schlägt die Kommission vor, den EGF als ständige Einrichtung außerhalb des EU-Haushalts zu etablieren und auszudehnen. Die Veranschlagung der EGF-Mittel außerhalb des Finanzrahmens widerspricht der Haushaltssystematik und trägt nicht zur Transparenz des EU-Finanzsystems bei. Dadurch wird das langwierige, komplexe Verfahren fortgeschrieben, unter dem die Effektivität des EGF bereits jetzt leidet, da jede Auszahlung von Kommission, Rat und Europäischem Parlament verabschiedet werden muss. Der Bundesrat weist zudem darauf hin, dass der Verordnungsvorschlag für die nächste Förderperiode nicht nur eine Fortführung der ursprünglichen Regelungen vorsieht, sondern auch eine Fortführung der krisenbedingten Ausnahmevorschrift. Der Bundesrat ist hingegen nach wie vor der Auffassung, dass mit dem Beginn der neuen Strukturfondsperiode der EGF nicht als gesondertes Förderinstrument weitergeführt werden sollte.
- 4. Stattdessen sollte der EGF in die Strukturfonds integriert werden, um antizipierende Investitionen zu ermöglichen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern dazu verhelfen, neue Fähigkeiten für zukunftsfähige Beschäftigungsverhältnisse zu erlangen.
- 5. Der Vorschlag zur Verstetigung des EGF begegnet auch Bedenken unter den Gesichtspunkten der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. Die geplante Fortführung der krisenbedingten Ausnahmevorschrift auch in der Förderperiode 2014 - 2020 verstetigt die Anwendung des EGF in Fällen krisenbedingter Entlassungen und berührt damit die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Arbeitsmarktpolitik. Arbeitsmarktpolitik ist Sache der Mitgliedstaaten und kann von den Mitgliedstaaten effektiver und erfolgreicher betrieben werden. Auch die Tatsache, dass der EGF das bisher zur Verfügung stehende Finanzierungspotenzial nicht ausgeschöpft hat, zeigt, dass der EGF als Systemleistung nicht erforderlich ist und den Mitgliedstaaten schon bislang ein ausreichendes Instrumentarium zur Abfederung arbeitsmarktpolitischer und sozialer Krisen zur Verfügung steht. Zudem fehlen in dem Vorschlag der Kommission Ausführungen zum Mehrwert der Neuerungen bezogen auf die Ausweitung des Adressatenkreises und die Eingriffsschwelle gegenüber den aktuell bestehenden Regelungen zum EGF.
- 6. Dahingehend begegnet der Vorschlag auch inhaltlichen Bedenken. Der Bundesrat stellt fest, dass die Kommission mit dem Vorschlag den EGF erweitern will, um Hilfestellungen für Landwirte zur Anpassung an neue Marktlagen zu ermöglichen. Er weist darauf hin, dass die von der Kommission vorgesehenen Maßnahmen und die Förderbedingungen allenfalls für Spezialbereiche, keinesfalls jedoch zum Ausgleich von umfänglichen und dauerhaft veränderten neuen Marktlagen geeignet sind. Auch wäre die Mittelausstattung des Fonds hierfür bei Weitem nicht ausreichend. Der Bundesrat sieht die Erweiterung des Anwendungsbereichs des EGF auf den Landwirtschaftssektor und weitere Zielgruppen kritisch. Er kritisiert insbesondere die Ausweitung auf neue Gruppen von "Begünstigten", wie unter anderem Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter, Selbstständige und Landwirtinnen und Landwirte sowie deren Familienangehörige. Zudem sollen auch passive Leistungen wie Beihilfen zum Lebensunterhalt gewährt werden.
- 7. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Öffnung des EGF für die Landwirtschaft einseitige Liberalisierungsangebote in landwirtschaftliche Handelsabkommen weder rechtfertigen kann noch darf.
- 8. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.