Empfehlungen der Ausschüsse
Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts

860. Sitzung des Bundesrates am 10. Juli 2009

Der Rechtsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Gesetz zu verlangen, dass der Vermittlungsausschuss gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes aus folgenden Gründen einberufen wird:

1. Zu Artikel 1 Nummer 4a (§ 117 Absatz 4, 5 StPO), Nummer 9a (§ 140 Absatz 1 Nummer 4, Absatz 3 Satz 2 StPO), Nummer 9b (§ 141 Absatz 1, 3 Satz 4, Absatz 4 StPO)

Artikel 1 Nummer 4a, 9a und 9b ist zu streichen.

Begründung

Das bisherige Recht der Pflichtverteidigerbeiordnung gemäß den §§ 140, 141 StPO ist beizubehalten.

Die Bestimmung des § 140 Absatz 1 Nummer 4 StPO- neu sieht vor, dass dem Beschuldigten ab dem Vollstreckungsbeginn von Untersuchungshaft gemäß den §§ 112, 112a StPO oder einstweiliger Unterbringung gemäß § 126a oder § 275a Absatz 5 StPO ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist. Einer solchen Regelung bedarf es nicht.

Schon nach der bisherigen Rechtslage kann dem Beschuldigten gemäß § 141 Absatz 3 StPO auf Antrag der Staatsanwaltschaft ein Verteidiger während des Vorverfahrens bestellt werden, wenn nach ihrer Auffassung die Mitwirkung eines Verteidigers nach § 140 Absatz 1 oder 2 StPO in dem Verfahren notwendig sein wird.

Überdies ist dem Beschuldigten gemäß § 140 Absatz 1 Nummer 5 StPO stets ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn er sich mindestens drei Monate aufgrund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befunden hat und nicht mindestens zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung entlassen wird.

Die vorgesehene Erweiterung der Pflichtverteidigerbeiordnung erscheint weder verfassungsrechtlich noch europarechtlich geboten.

Es muss bezweifelt werden, dass die beabsichtigte Erweiterung der Pflichtverteidigerbeiordnung zu einer nachhaltigen Vermeidung von Untersuchungshaft führt. Weit angelegte und repräsentative Untersuchungen hierzu wurden bislang nicht durchgeführt. Überdies dient die Pflichtverteidigerbeiordnung nicht in erster Linie dem Ziel, Untersuchungshaft zu vermeiden oder zu beenden.

Hierfür bietet sich vielmehr eine gegebenenfalls zu fördernde Einbeziehung der sozialen Dienste der Justiz, namentlich der Haftentscheidungshilfe, an.

Vielmehr ist zu befürchten, dass durch eine Erweiterung der Pflichtverteidigerbeiordnung finanzielle Mehrbelastungen auf die Länder in nicht unerheblicher Höhe zukämen. Dies erscheint angesichts der aktuellen Haushaltslagen derzeit nicht vertretbar.

Bei der Streichung der Änderungen in den §§ 117, 141 StPO handelt es sich um nicht mehr erforderliche Folgeänderungen zu § 140 Absatz 1 Nummer 4 StPO- neu.

2. Zu Artikel 1 Nummer 5 (§ 119 Absatz 2 Satz 2, 3 - neu - , 4 - neu - , 5 - neu - StPO)

Artikel 1 Nummer 5 § 119 Absatz 2 ist wie folgt zu ändern:

Begründung

Nach dem Gesetz kann das Gericht die Ausführung der Anordnungen widerruflich auf die Staatsanwaltschaft übertragen. Diese bleibt solange für die auf sie übertragene Ausführung der Überwachungsanordnungen zuständig, bis das Gericht die Übertragung widerruft. Damit würde - entgegen der bisherigen bewährten Praxis - die Zuständigkeit mit der Erhebung der Anklage nicht mehr von Gesetzes wegen auf das Gericht übergehen.

Diese Regelung ist abzulehnen. Bis zur Anklageerhebung sollte das Gericht regelhaft die Ausführung auf die Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens übertragen. Mit Erhebung der Anklage aber geht die Verfahrensherrschaft von der Staatsanwaltschaft auf das erkennende Gericht über, das im Regelfall ab diesem Zeitpunkt über größere Sachnähe verfügt und daher die angeordneten Überwachungsmaßnahmen am effektivsten und mit der für Haftsachen gebotenen besonderen Beschleunigung wird durchführen können. Es besteht daher kein Anlass, auch nach Anklageerhebung die weitere Ausführung der Anordnungen grundsätzlich der Staatsanwaltschaft aufzuerlegen. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass die Staatsanwaltschaft keine rechtliche Möglichkeit hat, den Widerruf der Übertragung durchzusetzen. Daher sollte bis zur Anklageerhebung die Staatsanwaltschaft regelmäßig mit der Ausführung der Anordnungen befasst sein, während ab diesem Zeitpunkt per Gesetz ein Übergang auf das Gericht erfolgen sollte.

Sofern in Einzelfällen auch nach der Anklageerhebung die Staatsanwaltschaft aufgrund besonderer Umstände die Überwachungsmaßnahmen sachgerechter ausführen kann als das erkennende Gericht, sollte die Möglichkeit vorgesehen werden im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft die Ausführung der Anordnungen auf diese zu übertragen. Voraussetzung hierfür sollte aber die Zustimmung der Staatsanwaltschaft sein.

Die Stelle, die die Anordnungen ausführt, soll sich der Hilfe anderer Behörden bedienen können. Wie in der Begründung des Gesetzentwurfs zutreffend dargestellt, ist insbesondere im Zusammenhang mit der Überwachung der Besuche und der Telekommunikation eine Einbindung der Vollzugsanstalt geboten. Das Gesetz geht aber von dem Fall aus, dass stets die Staatsanwaltschaft die ausführende Stelle ist und stellt nur ihr ihre Ermittlungspersonen und die Vollzugsanstalt zur Seite. Dabei lässt es aber unbeachtet, dass auch das Gericht schon nach dem Gesetz mit der Ausführung der Überwachungsmaßnahmen befasst sein kann und nach der hier vorgeschlagenen Änderung ab Anklageerhebung auch regelmäßig befasst sein sollte. Daher sollte vorgesehen werden, dass sich Staatsanwaltschaft und Gericht jeweils der Hilfe der Vollzugsanstalt und die Staatsanwaltschaft darüber hinaus auch der ihrer Ermittlungspersonen bedienen können.

3. Zu Artikel 3 Nummer 3 ( § 89c JGG), Nummer 7 ( § 110 Absatz 2 JGG)

Artikel 3 ist wie folgt zu ändern:

Begründung

Der Bund besitzt nicht die Gesetzgebungskompetenz, den Vollzug der Untersuchungshaft an jungen Untersuchungsgefangenen zu regeln.

Die §§ 89c und 110 Absatz 2 JGG- neu regeln, dass die Untersuchungshaft an zur Tatzeit jugendlichen oder heranwachsenden Beschuldigten zum einen nach besonderen Vorschriften und zum anderen nach Möglichkeit in den für junge Gefangene vorgesehenen Einrichtungen vollzogen wird.

Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 GG ist für den Bereich der Untersuchungshaft nach der Föderalismusreform beschränkt. Nach eigener Auffassung des Bundes umfasst sie neben der Untersuchungshaft selbst also insbesondere den Voraussetzungen, unter denen sie angeordnet werden kann, diejenigen Regelungen, die der ordnungsgemäßen Durchführung des Strafverfahrens, mithin der Abwehr von Flucht, Verdunkelungs-und Wiederholungsgefahren, dienen (BT-Drs. 016/11644, S. 12).

Der Regelungszweck der §§ 89c und 110 Absatz 2 JGG- neu ist nicht die Sicherung des Strafverfahrens. Es geht vielmehr darum sicherzustellen, dass junge Untersuchungsgefangene soweit möglich von schädlichen Einwirkungen abgeschirmt und in ihrer jeweiligen persönlichen Entwicklung gefördert oder jedenfalls nicht über Gebühr gehemmt werden. Dies sind Fragen der inhaltlichen Ausgestaltung ("wie") des Untersuchungshaftvollzugs, also klassische Vollzugsfragen.

Entgegen der von der Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates geäußerten Auffassung (BT-Drs. 016/11644, S. 47) handelt es sich beim Vollzug der Untersuchungshaft an jugendlichen, heranwachsenden und erwachsenen Beschuldigten auch nicht um verschiedene Maßnahmetypen, wie dies bei Jugend- und Freiheitsstrafe der Fall ist, sondern um ein rechtlich einheitlich geregeltes Instrument zur Verfahrenssicherung, das lediglich für die einzelnen Altersstufen vollzuglich unterschiedlich ausgestaltet ist beziehungsweise werden kann. Ziel der Untersuchungshaft ist in jedem Fall ausschließlich die Sicherung des Strafverfahrens sowie der Strafvollstreckung (vgl. Ostendorf, JGG, 7. Auflage, § 93 Rnr. 6).

Das Gebot der besonderen ("erzieherischen") Ausgestaltung des Vollzugs der Untersuchungshaft an jungen Gefangenen leitet sich dabei entgegen der Auffassung der Bundesregierung nicht aus dem Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts ab. Dieser setzt eine rechtskräftige Verurteilung der jungen Gefangenen, mithin die gerichtliche Feststellung eines Erziehungsbedarfs, voraus.

Vielmehr trifft den Staat die Verpflichtung, im Sinne des allgemeinen vollzuglichen Gegensteuerungsgrundsatzes schädlichen Folgen des Untersuchungshaftvollzugs entgegenzuwirken. Dies gilt in besonderer Weise für junge Untersuchungsgefangene. Auf sie wirkt die Freiheitsentziehung in einer Lebensphase ein die noch der Entwicklung einer eigenständigen, sozialverantwortlichen Persönlichkeit dient. Aus diesem Grund übernimmt der Staat eine besondere Verantwortung für die Entwicklung dieser Gefangenen. Dieser Verantwortung durch eine angemessene Gestaltung des Untersuchungshaftvollzugs gerecht zu werden, ist Aufgabe des jeweiligen Landesgesetzgebers.