Stellungnahme des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts

Der Bundesrat hat in seiner 836. Sitzung am 21. September 2007 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Zu Artikel 1 Nr. 48 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc (§ 64 Abs. 2 Satz 4 BVG)

In Artikel 1 Nr. 48 Buchstabe b ist Doppelbuchstabe cc zu streichen.

Begründung

Das Bundesversorgungsgesetz (BVG) wird nach dessen § 7 Abs. 2 nicht angewendet auf Kriegsopfer, die aus derselben Ursache einen Anspruch auf Versorgung gegen einen anderen Staat besitzen, es sei denn, dass zwischenstaatliche Vereinbarungen etwas anders bestimmen.

Wird Versorgung trotz Erfüllung dieses Ausschlusstatbestandes erbracht, so ist dies rechtswidrig und kann gegebenenfalls unter den Voraussetzungen des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X, hier insbesondere §§ 45, 48) korrigiert werden. Ist eine Korrektur z.B. wegen Verstreichens einer Frist oder bestehenden Vertrauensschutzes nicht möglich, greift in der Regel § 48 Abs. 3 SGB X, wonach die erbrachte Leistung der Höhe nach "eingefroren" wird. Der Bestandsschutz bezieht sich dabei nur auf den Geldbetrag, nicht auf den Status, Versorgungsberechtigter nach dem BVG zu sein. Derartige Fälle sind im Zuständigkeitsbereich des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales Fulda, das die Auslandsversorgung in Südosteuropa durchführt, im Zuge des Zerfalls des ehemaligen Vielvölkerstaates Jugoslawien aufgetreten. Die von der Bundesregierung beabsichtigte Regelung zielt darauf ab, die "eingefrorene" Leistung durch Anrechnung der von einem anderen Staat erbrachten Versorgung abzuschmelzen.

Hiergegen bestehen erhebliche rechtliche und tatsächliche Bedenken:

Es ist davon auszugehen, dass die Betreffenden gegen die beabsichtigte Anrechnung bzw. Zahlungseinstellung Rechtsbehelfe einlegen und gegen die Widerspruchsbescheide Klage erheben werden. Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, dass die hessische Sozialgerichtsbarkeit einen Verstoß gegen das grundgesetzliche Verbot des Einzelfallgesetzes (Artikel 19 Abs. 1 GG) feststellt, da die in Rede stehende Gesetzesänderung nur bestimmte Personen trifft und treffen will. Entsprechend ihrer Begründung wird sie ausschließlich auf im Zuständigkeitsbereich der hessischen Versorgungsverwaltung angesiedelte (ca. 250) Fälle der Auslandsversorgung angewendet werden, in denen die verfahrensrechtlichen Korrekturmöglichkeiten (erfolglos) ausgeschöpft worden sind.

In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass es sich um einen Fall der "unechten Rückwirkung" handelt, die ausnahmsweise unzulässig ist, wenn das Gesetz einen Eingriff vornimmt, mit dem der/die Betreffende nicht rechnen musste und deshalb bei seinen/ihren Dispositionen nicht berücksichtigen konnte. Der Vertrauensschutz des o. g. Personenkreises dürfte auf Grund zahlreicher, gegen die Verwaltung entschiedener Gerichtsverfahren als nachhaltig gestärkt zu bewerten sein.

Auch in gesetzessystematischer Hinsicht erscheint die beabsichtigte Anrechnungsklausel fragwürdig. In Verbindung mit ihr sollen Verwaltungsakte nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X erteilt werden. Wie aber kann § 64 Abs. 2 Satz 4 SGB X-E gegebenenfalls zur Ausgestaltung eines Eingriffs in die Bestandskraft eines Bescheides nach § 48 Abs. 3 SGB X herangezogen werden, wenn das BVG wegen Erfüllung des Ausschlusstatbestandes des § 7 Abs. 2 BVG gar nicht auf die betreffende Person anwendbar ist?

Vor dem Hintergrund der vorstehend aufgeführten Zweifel hinsichtlich der Erreichung des Zieles, eine Doppelversorgung von Kriegsopfern zu verhindern, kann der immense finanzielle und personelle Aufwand, den die beabsichtigte Gesetzesänderung für das Land Hessen bedingte, nur als unverantwortlich bewertet werden. Ganz abgesehen von den jährlich durchzuführenden Einkommensermittlungen im südosteuropäischen Ausland und der im Anschluss daran erforderlichen Bescheiderteilung schlügen auch die zu erwartenden Prozesskosten in Höhe von wenigstens 5 000 EURO pro Fall zu Buche.

2. Zu einem modernen Gewaltopferentschädigungsrecht

Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, zusammen mit den Ländern ein Konzept für ein zukunftsfähiges und den Anforderungen an ein Gewaltopferrecht gerecht werdendes Entschädigungsrecht unter Berücksichtigung der EU-Richtlinie 2004/80/EG zu entwickeln und einen entsprechenden Gesetzentwurf zu erarbeiten.

Ein modernes soziales Gewaltopferentschädigungsrecht soll den Betroffenen zügig und unbürokratisch Hilfe und Unterstützung bei durch Gewalttaten verursachte oder hervorgerufene körperliche oder seelische Erkrankungen und ihren Auswirkungen anbieten. Gewaltopfer sollen einen sofortigen Anspruch auf medizinische Behandlung durch besonders im Umgang mit körperlich oder seelisch Geschädigten erfahrene Therapeuten erhalten. Die Leistungen des Opferentschädigungsrechts sind einfach und übersichtlich zu gestalten.

In diesem Zusammenhang soll auch geprüft werden, ob Opfer von Auslandsstraftaten in geeigneter Weise in den Schutzbereich des Opferentschädigungsrechtes einbezogen werden sollen.

Ein zustimmungsfähiger Gesetzentwurf ist möglichst bis zum Ablauf des Kalenderjahres 2008 vorzulegen.

Begründung

Die Koppelung des Rechts der Entschädigung für Opfer von Gewalttaten an das System des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), das primär auf die Bedürfnisse der Kriegsopfer zugeschnitten war, ist nicht mehr zeitgemäß und praktikabel. Für die Opfer von Gewalttaten ist deshalb ein neues Entschädigungsrecht zu schaffen, damit der Staat auch in Zukunft seiner besonderen Verantwortung gegenüber Gewaltopfern gerecht werden kann. Durch das Entschädigungsrecht ist Opfern von Gewalttaten unbürokratisch, umfassend und zügig Hilfe zu leisten, um die gesundheitlichen Folgen einer Gewalttat zu beseitigen oder angemessen auszugleichen.