Der Bundesrat hat in seiner 848. Sitzung am 10. Oktober 2008 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat verweist auf seine Stellungnahme vom 6. Juli 2007 (vgl. BR-Drucksache 251/07(B) , Ziffern 13 bis 19).
- 2. Er teilt das Anliegen der Kommission, die Zusammenarbeit in der Forschung in Europa, insbesondere angesichts weltweiter gemeinsamer Herausforderungen, wie z.B. Alterung, Klimawandel und Energie noch effizienter zu gestalten. Ein solches Vorgehen könnte insgesamt zur Effektivierung der europaweiten Forschungs- und Technologieförderung beitragen.
- 3. Der Bundesrat unterstützt daher die Anregung, angesichts der globalen Herausforderungen vorrangige Themenbereiche für eine bessere Abstimmung und Koordinierung zu identifizieren. Er steht dem Bemühen um Instrumente, die der besseren Transparenz zur eventuellen Öffnung nationaler Programme durch die Mitgliedstaaten in eigener Verantwortung dienen, positiv gegenüber. Gemeinsame Roadmaps und transparentere Beteiligungsbedingungen könnten Beispiele für Instrumente einer verbesserten gemeinsamen Programmplanung in den identifizierten Themenbereichen sein.
- 4. Deutschland ist im Bereich der Forschungs- und Technologieförderung gut aufgestellt und verfügt aufgrund seiner FuE-Intensität in entscheidenden Bereichen über beachtliche eigene Potentiale. Entsprechende Förderprogramme werden von einer Vielfalt von Förderinstitutionen des privaten und öffentlichen Sektors sowie auf unterschiedlichen staatlichen Ebenen entwickelt und umgesetzt.
- 5. Weite Teile der Forschungsfinanzierung in Deutschland sind dabei in ihrer Schwerpunktsetzung und Vergabe durch die Scientific Community gesteuert, beispielsweise über die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Gerade in Bezug auf internationale Vernetzungsprozesse ist ein Erfolg ohne Antrieb durch die Scientific Community schwer vorstellbar.
- 6. Für den Bundesrat ist daher die Identifizierung geeigneter Themen topdown nur in einer sehr generellen Art und Weise denkbar. Die Identifizierung tatsächlich geeigneter Initiativen erscheint nur in enger Abstimmung mit den direkt betroffenen Forschungs- und Technologie-Fördereinrichtungen bzw. Forschungseinrichtungen erreichbar.
- 7. Der Bundesrat betont, dass auch bei einer stärkeren europäischen Zusammenarbeit nationale und regionale Programme nicht entbehrlich werden. Sie sind zur Abdeckung eigener Bedarfe weiterhin erforderlich und vor allem dann das beste Mittel, wenn ein europaweites Vorgehen keine Mehrwerte erbringen würde. Die in den Ländern überwiegend zum Einsatz kommenden Förderinstrumente (u. a. Stiftungen, Förderung von Einzelvorhaben, Förderung von Forschungsprofilen der Hochschulen, Grundfinanzierung von wirtschaftsnahen Forschungsinstituten) sind in der Regel nicht für eine gemeinsame Programmplanung geeignet.
- 8. Der Bundesrat hebt vor dem Hintergrund des gerade neu gestalteten 7. Rahmenprogramms für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration (7. FRP) hervor: Die europäische Forschungspolitik findet ihren Ort und ihren Ausdruck in den Forschungsrahmenprogrammen. Weitere Integrationsbemühungen durch die Gemeinschaft und die entsprechende strategische Ausrichtung sollten in erster Linie in die Gestaltung der Durchführung des 7. FRP und in die Planung zukünftiger Forschungsrahmenprogramme einfließen.
- 9. Der Bundesrat weist die pauschale Kritik an der fehlenden Koordinierung der Forschungsprogramme der Mitgliedstaaten zurück. Es existieren vielfältige Beispiele für erfolgreiche grenzüberschreitende Zusammenarbeit und exzellente Forschung, die zum Teil auch von der Kommission selbst zitiert werden (CERN, EUREKA, COST, etc.). Für zahlreiche Förderinstrumente, z.B. im 7. FRP, wird die Kofinanzierung zwingend vorausgesetzt. Insoweit wird auch schon jetzt ein erkennbarer Teil der nationalen Forschungsbudgets gemeinschaftlich, binational oder multinational gesteuert. In die Ausgabenberechnung für FuE der Mitgliedstaaten fließt zudem die institutionelle Grundfinanzierung anteilmäßig mit ein. Auf diese Institutionen greifen aber auch die Gemeinschaftsinitiativen und -programme zurück. Von daher geben die von der Kommission gewählten Vergleichszahlen ein ungenaues Bild.
- 10. Der Bundesrat spricht sich vor diesem Hintergrund dagegen aus, dass die Kommission im Gesamtprozess der Identifizierung von vorrangigen Themenbereichen für die gemeinsame Programmplanung, der Entwicklung von Forschungsplänen und der Initiierung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten eine zentrale Rolle erhält, da es vorwiegend um den Einsatz von ausschließlich nationalen und regionalen Fördermitteln geht.
- 11. Deshalb lehnt der Bundesrat den von der Kommission vorgeschlagenen Ansatz ab, eine Koordinierung der nationalen Forschungsförderung unter strukturierender Steuerung der Gemeinschaft auch in Fällen zu ermöglichen, in denen die Gemeinschaft keinen eigenen Beitrag erbringt. Aus Sicht der Länder bietet ein solches Vorgehen keinen Mehrwert im Vergleich zu einer von den Mitgliedstaaten selbständig verantworteten Öffnungspolitik oder zwischenstaatlich vereinbarten, auf Wechselseitigkeit beruhenden Programmgestaltungen.
- 12. Dem vorliegenden Vorschlag der Kommission zufolge verblieben den nationalen und regionalen Förderinstitutionen, die ihre Fördermittel einbringen sollen, bloße Konsultativrechte. Diese Kritik wird auch nicht dadurch entkräftet, dass laut Vorschlag der Kommission eine Beteiligung an der gemeinsamen Programmplanung freiwillig ist und die Mitgliedstaaten im Rat über die von der Kommission vorgelegten Konzepte und Pläne beschlussfassen.
- 13. Maßnahmen zugunsten einer effizienteren Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten müssen das Subsidiaritätsprinzip beachten, das auch im Forschungsbereich gilt. Der in der Mitteilung enthaltene Vorschlag einer Gemeinschaftsbeschlussfassung zur Lenkung eines Teils der mitgliedstaatlichen Forschungsbudgets ohne Beitrag der Gemeinschaft überdehnt die Methode der offenen Koordinierung. Die Betonung der Freiwilligkeit und der "variablen Geometrie" ändern hieran nichts. Die deutschen Länder wollen sich aufgrund ihres Beitrags zur Forschungsförderung der Mitwirkung bei einer effizienteren Zusammenarbeit in Europa nicht entziehen. Das bedeutet aber auch, dass die Eckpunkte des Vorgehens die Grundlagen des Gemeinschaftsrechts beachten und den Kriterien der Wechselseitigkeit und der Ausgewogenheit folgen müssen. Der Bundesrat fordert daher die Bundesregierung auf, bei der Umsetzung der Leitideen des Grünbuchs "Europäischer Forschungsraum" insgesamt auf Wege und Instrumente hinzuwirken, die die gemeinsamen Ziele voranbringen und gleichwohl das Subsidiaritätsprinzip beachten.
- 14. Der Bundesrat sieht anderenfalls mit Sorge die Schmälerung der Möglichkeit einer effektiven Standortpolitik. Regional verankerte kleinere Themen, wie z.B. die Küsten- oder die Lawinenforschung, die landesseitig nicht finanziert werden können und auf eine Unterstützung durch den Bund angewiesen sind, geraten bei einer zu großen Dominanz EU-gelenkter Themen künftig aus dem Blick.
- 15. Der Bundesrat lehnt des Weiteren die von der Kommission vorgeschlagene Vereinheitlichung von finanziellen und wissenschaftlichen "Spielregeln" für die Koordinierung von nationalen und regionalen Förderprogrammen ab. Es muss den unmittelbar an einer konkreten grenzüberschreitenden Programmplanung beteiligten Förder- und Forschungseinrichtungen überlassen bleiben, die verbindlichen Regeln ihrer Zusammenarbeit festzulegen. Nur so können die erforderliche Flexibilität und die Berücksichtigung von Besonderheiten im Einzelfall gewährleistet werden. Wünschenswert wäre stattdessen die Vorlage von unverbindlichen Musterlösungen, z.B. für die Gestaltung von Förderbestimmungen, welche die Kompatibilität mit den jeweiligen nationalen Regelungen sicherstellen.
- 16. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, insbesondere gegenüber der Kommission darauf hinzuwirken, dass die künftige Entwicklung gerade beschlossener Initiativen, wie des Europäischen Instituts für Innovation und Technologie (EIT), mit aller Kraft unterstützt und begleitet wird, ehe die Kommission dem immer gleichen Kreis betroffener Akteure und Akteursgemeinschaften weitere konkrete Koordinierungsmaßnahmen andient. Gleiches gilt für die neuen Initiativen nach Artikel 169 und 171 EGV, wie etwa das Programm Eurostars oder die Gemeinsamen Technologieinitiativen. Dabei ist es wenig erheblich, ob die beispielhaft genannten Netzwerke nun "Public-Private" organisiert sind oder wie im vorliegenden Fall der gemeinsamen Programmplanung "Public-Public". Erhebliche Überschneidungen zwischen den Instrumenten sind wahrscheinlich bzw. bereits absehbar. Auch aus diesem Grund hält der Bundesrat weitergehende Festlegungen erst nach einer gründlichen Evaluierung der in den letzten Jahren beschlossenen Initiativen und Instrumente für vernünftig. Eine zentrale Kompetenz der Gemeinschaft für die Koordinierung nationaler und regionaler Programme ohne eigene Finanzierungsbeiträge dürfte ggf. vorhandene Realisierungsprobleme bei den Gemeinschaftsinstrumenten nicht beheben, sondern noch vermehren.
- 17. Der Bundesrat spricht sich zudem dafür aus, die weiteren Überlegungen der Kommission auf der Basis der Evaluation bereits eingeführter Maßnahmen wie ERA-Nets aufzubauen. Über diese schließen sich bereits jetzt Forschungs- und Technologiefördereinrichtungen grenzüberschreitend zusammen und realisieren gemeinsame Ausschreibungen. Somit kann sichergestellt werden, dass die Bündelung der Ressourcen zu einer Effizienzsteigerung und zu einem europäischen Mehrwert führen wird. Darüber hinaus muss abgewartet werden, ob sich die neu geschaffenen Initiativen nach Artikel 169 und 171 EGV bewähren. Erst dann hält der Bundesrat weitergehende Festlegungen für vernünftig.
- 18. Gibt es den Willen der Mitgliedstaaten zur gemeinsamen Programmplanung, etwa im Bereich der Erforschung der Alzheimer-Krankheit, ließe sich dies über das erprobte Instrument der ERA-Nets realisieren. Solange die Potenziale dieses Instruments nicht voll ausgeschöpft sind, ist die Einführung zusätzlicher Koordinierungsinstrumente nicht geboten.
- 19. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die bestehenden und angekündigten neuen Berichtspflichten und Indikatorensysteme einen nicht gerechtfertigten zusätzlichen Bürokratieaufwand mit sich bringen bzw. bringen werden. Bereits jetzt ist der Administrationsaufwand teilweise höher als das monetäre Projekt-Budget und der zu erwartende Mehrwert. Um schwierige Abstimmungsprozesse im Nachhinein zu vermeiden, sollte vor neuen Beschlüssen dieser Art mehr Transparenz über die Anpassung der erwarteten Zahlen zu den schon vorhandenen Berichtspflichten erreicht werden. Es steht andernfalls zu befürchten, dass immer erheblichere Anteile der zur Verfügung stehenden Mittel nicht unmittelbar der Forschung und Entwicklung zugute kommen.
- 20. Selbstverständlich ist Innovations- und Forschungspolitik ein zentraler Bereich einer Politik für mehr Wachstum und Beschäftigung. In dieser Hinsicht ergänzen sich die EU-Politiken in den Bereichen FuE und Innovation einerseits und die Kohäsionspolitik andererseits bei der Aufgabe, das Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Union zu fördern. Die europäische Forschungsförderung, gleich, ob national oder gemeinschaftlich, wird ihren Beitrag im globalen Wettbewerb allerdings nur leisten können, wenn sie in erster Linie dem Kriterium der Exzellenz in der Forschung verpflichtet bleibt. Diesen Ansatz gilt es zu stärken.
- 21. Die Kommission beabsichtigt, den Rat um Benennung hochrangiger Vertreter zu bitten, die im Rahmen der Koordinierungsmaßnahmen tätig werden sollen. Soweit in der Fortentwicklung des Vorschlags die Absicht der Kommission bestehen bleibt, den Rat um Benennung der Vertreter zu bitten, appelliert der Bundesrat an die Bundesregierung, bei Benennungen und bei der Identifizierung von Themenbereichen die Länder einzubeziehen. Er verweist in diesem Zusammenhang auf den erheblichen Anteil der Länder an den Ausgaben für Forschung und Entwicklung, insbesondere mit Blick auf die gemeinsame Forschungsförderung von Bund und Ländern in Deutschland. Das Vorgehen sollte in geeigneten Gremien, auch in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK), zwischen Bund und Ländern erörtert werden.
- 22. Auf der Grundlage der gemeinsamen Ziele bittet der Bundesrat daher die Bundesregierung, gegenüber der Kommission darauf hinzuwirken, dass für die Ausarbeitung des Vorgehensmodells zur Gemeinsamen Programmplanung wegen seiner möglichen künftigen erheblichen Auswirkungen auf die nationale Forschungsförderung ein realistischer Zeitplan zugrunde gelegt wird. Die Kommission sollte gebeten werden, ein Vorgehensmodell für die Themenidentifikation vorzulegen, das offen für die Beteiligung durch die Scientific Community ist und offen bleibt für eigene Schwerpunktsetzungen der jeweils konkret und selbstverantwortet sich vereinbarenden Mitgliedstaaten. Die Kommission sollte fernerhin gebeten werden, bezüglich des Gesamtverfahrens einen überarbeiteten Vorschlag zu unterbreiten, der die Verantwortung der Mitgliedstaaten für ihre nationale Forschungsförderung respektiert, gleichwohl durch Schaffung besserer Transparenz zur Identifikation geeigneter Plattformthemen beiträgt. Dieses Vorgehen sollte unterstützt werden durch die Evaluation der bisherigen gemeinsamen Initiativen zur Verbindung von gemeinschaftsfinanzierter und nationaler Forschungsförderung im 7. FRP und der Identifikation möglicher Hemmnisse. Der Zeitplan sollte Rücksicht nehmen auf die gerade in der Startphase befindlichen großen Gemeinschaftsinitiativen, wie die bevorstehende Ausschreibung von Knowledge and Innovation Communities.
- 23. Der Bundesrat bittet ferner, darauf hinzuwirken, dass auf einheitliche "wissenschaftliche und finanzielle" Spielregeln für die Gemeinsame Programmplanung verzichtet wird, damit eine freie Vereinbarung von Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls weiter möglich bleibt.