Der Bundesrat hat in seiner 886. Sitzung am 23. September 2011 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
Zum Gesetzentwurf insgesamt
Der Bundesrat lehnt den Entwurf eines Gesetzes über die geodätischen Referenzsysteme, -netze und geotopographischen Referenzdaten des Bundes (Bundesgeoreferenzdatengesetz - BGeoRG) ab.
Begründung:
Der Gesetzentwurf begegnet insbesondere aus fachlichen und finanzpolitischen Gründen sowie aus Gründen der Deregulierung erheblichen Bedenken. Nach Auffassung des Bundesrates begegnet er darüber hinaus verfassungsrechtlichen Bedenken.
- a) Die Bestimmungen des Gesetzentwurfs betreffen Daten, die definitions- und inhaltsgleich mit in Länderzuständigkeit erhobenen, gehaltenen und bereitgestellten Daten des amtlichen Vermessungswesens sind, sowie auch unmittelbar "Daten des amtlichen Vermessungswesens, an denen der Bund die Nutzungsrechte hat" (vgl. § 1 Absatz 1 und § 2 BGeoRG-E).
Zu den Daten des amtlichen Vermessungswesens gehören die amtlichen Geobasisdaten. Amtliche Geobasisdaten sind u.a. die Daten der Digitalen Landschafts- und Geländemodelle, der Digitalen Orthophotos, des Landeskartenwerks sowie des geodätischen Raumbezugs. Die ausschließliche Aufgaben- und Gesetzgebungskompetenz für die Erhebung, Führung und Bereitstellung dieser Daten liegt nach Artikel 30, 70 GG bei den Ländern. Dies war bisher zwischen Bund und Ländern unstrittig und wird durch die Beschlusslage der Arbeitsgemeinschaft der Vermessungsverwaltungen der Länder der Bundesrepublik Deutschland (AdV), der drei Bundesressorts als Mitgliedsverwaltungen angehören, bestätigt. Aufgrund von Verwaltungsvereinbarungen überlassen die Länder dem Bund kontinuierlich die amtlichen digitalen Geobasisdaten zur nichtkommerziellen Nutzung bei der Wahrnehmung seiner öffentlichen nationalen und internationalen Aufgaben.
- b) Ziel des Gesetzentwurfs ist die Schaffung einer verbindlichen Grundlage für die Standardisierung von geodätischen Referenzsystemen, -netzen und geotopographischen Referenzdaten sowie für Qualitätsmaßstäbe, die sich auf diese Daten beziehen, für die Bundesverwaltung (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf unter A.I und A. II.1). Diese Daten sollen über die Nutzung im Bundesbereich hinaus auch den Behörden der Länder, der Wirtschaft, der Gesellschaft und der Wissenschaft in der erforderlichen Qualität bereitgestellt werden (vgl. § 1 Absatz 1 BGeoRG-E). Die Standardisierung für die Bundesverwaltung wird dem auf Bundesebene errichteten Interministeriellen Ausschuss für Geoinformationswesen (IMAGI) übertragen. Nach § 6 Absatz 2 Satz 2 BGeoRG-E soll die Festlegung der qualitativen und technischen Vorgaben im Benehmen mit den Vermessungsverwaltungen der Länder erfolgen.
Der vom Gesetzentwurf verwendete Begriff der "geotopographischen Referenzdaten" ist mit dem Begriff der Geobasisdaten inhaltlich deckungsgleich. Entsprechend wurde in den ersten Entwurfsfassungen dieser Begriff sowohl im Titel ("Bundesgeobasisdatengesetz") als auch im Text verwendet. Die begriffliche Anpassung erfolgte im weiteren Verlauf nach einhelliger Ablehnung der Verwendung des Begriffs "Geobasisdaten" durch die Länder, jedoch ohne inhaltliche Änderung.
Seit 1948 ist die bundesweite Standardisierung der Erfassung und Führung der Geobasisdaten sowie der Zugriffs- und Vertriebsmethoden, die Bereitstellung einer Infrastruktur für die Geobasisdaten als einer wichtigen Komponente insbesondere für moderne E-Government-Architekturen und die Errichtung eines Geobasisinformationssystem nach den Bedürfnissen von Politik, Wirtschaft und Verwaltung Aufgabe der AdV. Die AdV nimmt diese Aufgabe mit hohem Engagement erfolgreich wahr. Die aktuellen internationalen Standards werden eingehalten. Den Nutzeranforderungen, auch denen des Bundes, wird weitestgehend Rechnung getragen. Weitergehende Anträge hat der Bund bisher auch nicht in die AdV eingebracht.
Die von dem Gesetzentwurf beabsichtigte autonome Festlegung von Standards für den Bundesbereich, die nicht zwingend den Standards der AdV entsprechen, führt auf Dauer zur Konkurrenz von ähnlichen Datensätzen zum gleichen Inhalt und zum Aufbau einer mit den Ländern konkurrierenden Erzeugungs-, Nutzungs- und Vertriebsstruktur beim Bund. Dies ist volkswirtschaftlich und aus Gründen des Ressourcen schonenden Einsatzes von Steuermitteln nicht akzeptabel. Ein mit den Standards der AdV nicht synchrones Konkurrenzsystem hätte gravierende Auswirkungen auf den Geodatenmarkt als Ganzes und beträfe auch die Einnahmen bei Bund und Ländern. Die Länder müssten mit nicht unerheblichen Einnahmeverlusten rechnen. Der Gesetzentwurf widerspricht damit auch den Grundsätzen einer Geodateninfrastruktur, wie sie insbesondere durch die Richtlinie 2007/2/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2007 zu Schaffung einer Geodateninfrastruktur in der Europäischen Gemeinschaft (INSPIRE) auch in Deutschland von Bund und Ländern verbindlich aufgebaut wird.
- c) Folgt man der Begründung des Gesetzentwurfs, wonach dieser lediglich das bundesverwaltungsinterne Ziel verfolgt, geotopographische Referenzdaten (Geobasisdaten) für Zwecke der Bundesverwaltung zu standardisieren bzw. aufzubereiten, so ist hierfür ein Gesetz nicht zwingend erforderlich. Die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für das Erfordernis eines Gesetzes sind, soweit nur verwaltungsinterne Prozesse geregelt werden sollen, eindeutig nicht gegeben. Bund und Länder tragen gemeinsam Verantwortung für die Gesetzgebungskultur in der Bundesrepublik Deutschland. Der Erlass eines nicht erforderlichen Gesetzes, dessen Zweck auch auf andere Weise erreicht werden könnte, widerspricht dem von Bund und Ländern gemeinsam verfolgten Ziel der Deregulierung.
- d) Nach Auffassung des Bundesrates bestehen gegen den Gesetzentwurf auch verfassungsrechtliche Bedenken.
- aa) Ein ausdrücklicher Kompetenztitel, der dem Bund die Erhebung (vgl. § 1 Absatz 2 und § 3 Absatz 2 BGeoRG-E) und Bearbeitung von Daten im Sinne von § 2 BGeoRG-E im Rahmen der ausschließlichen bzw. der konkurrierenden Gesetzgebung zuweist, ist nach Auffassung des Bundesrates nicht ersichtlich.
Soweit sich die Bundesregierung in ihrer Begründung auf eine Vielzahl der dem Bund zugewiesenen Kompetenztitel beruft, bei der die Aufgabenerledigung die Nutzung von Geobasisdaten erfordere, geht dies fehl. Die Erhebung und Bearbeitung von Geobasisdaten lässt sich insoweit unter keine der genannten sachlichen Kompetenzen subsumieren. Das BGeoRG-E selbst enthält keine Regelungen, die sich spezifisch mit den herangezogenen Sachmaterien beschäftigen. Der bloße Umstand, dass Geobasisdaten für die Erledigung der genannten sachlichen Bundeskompetenzen von Nutzen sind, wirkt ebenso wenig kompetenzbegründend wie die Tatsache, dass das Bundesamt für Kartographie und Geodäsie aufgrund der bestehenden Verwaltungsvereinbarung mit den Ländern bereits im Besitz von Geobasisdaten ist.
- bb) Auch eine ungeschriebene Gesetzgebungskompetenz kann der Bund für seinen Gesetzentwurf nach Auffassung des Bundesrates nicht in Anspruch nehmen.
- aaa) Die Voraussetzungen für eine Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs liegen nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wäre hierfür Voraussetzung, dass eine dem Bund ausdrücklich zugewiesene Materie verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne dass zugleich eine nicht ausdrücklich zugewiesene Materie mit geregelt wird, wenn also ein Übergreifen in nicht ausdrücklich zugewiesene Materien unerlässliche Voraussetzung für die Regelung einer ausdrücklich zugewiesenen Bundeskompetenz ist (BVerfG NJW 1999, 841). Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Regelungen des Gesetzentwurfs sind nicht zwingend erforderlich, um von den in der Gesetzesbegründung der Bundesregierung genannten Kompetenzen Gebrauch machen zu können.
- bbb) Auch die Voraussetzungen einer ungeschriebenen Annexkompetenz des Bundes liegen nicht vor. Die Annexkompetenz begründet eine Zuständigkeit auch für solche Fragen, die bei der Vorbereitung und Durchführung einer bestimmten zugewiesenen Sachmaterie entstehen können. Da aber auch im Falle der Inanspruchnahme einer Annexkompetenz der Regelungsschwerpunkt des Bundesgesetzes auf dem Gebiet der ausdrücklich zugewiesenen Bundeskompetenz und nicht auf der kraft Annex hinzukommenden Kompetenz liegen darf, scheidet eine ungeschriebene Gesetzgebungskompetenz kraft Annex in vorliegendem Fall aus.
- cc) Soweit der Gesetzentwurf die gesetzliche Legitimation für das bereits existierende Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG, bis 1997 Institut für Angewandte Geodäsie -IfAG -) als selbstständige Bundesoberbehörde schaffen soll, fehlt es nach Auffassung des Bundesrates auch insoweit an einer Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Nach Artikel 87 Absatz 3 Satz 1 GG kann der Bund Bundesoberbehörden nur errichten, wenn ihm für deren Angelegenheiten auch die Gesetzgebungskompetenz zusteht. Dies ist aber nicht der Fall. Die Erhebung anwendungsneutraler geotopographischer Referenzdaten fällt in die Gesetzgebungskompetenz der Länder. Außerdem gebietet das Rechtsstaatsprinzip eine hinreichend klare und in sich widerspruchsfreie Bestimmung der Verwaltungszuständigkeit. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Kompetenzverteilung nach Artikel 30 und 83 ff. GG, die eine wichtige Ausformung des bundesstaatlichen Prinzips und zugleich ein Element zusätzlicher Gewaltenteilung ist. Eine Doppelzuständigkeit von Bund und Ländern ist verfassungsrechtlich unzulässig (BVerfGE 104, 249, 266 f.; BVerfG, 1 BvR 2456/06 vom 12. November 2008, Absatz-Nr. 48, DVBl. 2009, 642, 645 = http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk081112_1bvr245606.html). Für die Errichtung einer Bundesoberbehörde, die ebenfalls mit der Erhebung geotopographischer Referenzdaten beauftragt werden soll (vgl. § 3 Absatz 2 BGeoRG-E), ist daher kein Raum.
- aa) Ein ausdrücklicher Kompetenztitel, der dem Bund die Erhebung (vgl. § 1 Absatz 2 und § 3 Absatz 2 BGeoRG-E) und Bearbeitung von Daten im Sinne von § 2 BGeoRG-E im Rahmen der ausschließlichen bzw. der konkurrierenden Gesetzgebung zuweist, ist nach Auffassung des Bundesrates nicht ersichtlich.