Der Bundesrat hat in seiner 927. Sitzung am 7. November 2014 die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefasst.
Anlage
Entschließung des Bundesrates zur Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission über das Transparenzregister für Organisationen und selbstständige Einzelpersonen, die sich mit der Gestaltung und Umsetzung von EU-Politik befassen (EU-Transparenzregister)
I
- 1. Der Bundesrat stellt fest, dass das im Jahr 2011 von Kommission und Europäischem Parlament eingerichtete Transparenzregister durch die "Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission über das Transparenzregister für Organisationen und selbstständige Einzelpersonen, die sich mit der Gestaltung und Umsetzung von EU-Politik befassen" (neue Fassung) ersetzt wird, die am 20. Tag nach dem Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft getreten ist (Nummer 38 der Vereinbarung).
- 2. Der Bundesrat erkennt das Transparenzregister als gemeinsames Instrument der Kommission und des Europäischen Parlaments an, mit dessen Hilfe die Tätigkeit von Interessenvertreterinnen und -vertreter, die außerhalb des europäischen Gesetzgebungsprozesses stehen, auf europäischer Ebene erfasst und kontrolliert werden soll.
- 3. Der Bundesrat bewertet jedoch die nun erstmals vorgenommene Ausdehnung des Anwendungsbereiches auf "regionale Behörden und ihre Vertretungen" - in der Bundesrepublik Deutschland sind dies die deutschen Länder -, die bisher vom Anwendungsbereich des Registers ausdrücklich ausgenommen waren, unter verschiedenen Gesichtspunkten kritisch.
- 4. Er betont, dass die Ausdehnung des Anwendungsbereichs langfristig nicht zur Gleichstellung der regionalen Behörden und ihrer Vertretungen mit Lobbygruppen aus Wirtschaft und Gesellschaft führen darf. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass von den regionalen Behörden und ihren Vertretungen nicht erwartet wird, dass sie sich registrieren lassen, sie dies jedoch auf Wunsch tun können. Nichtsdestotrotz unterstreicht der Bundesrat, dass diese Regelung nicht dazu führen darf, dass regionale Behörden und ihre Vertretungen schon jetzt bei der Umsetzung der Vereinbarung faktisch verpflichtet werden könnten, sich registrieren zu lassen.
II.
- 5. Der Bundesrat erkennt deshalb bereits in der Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf Regionen und ihre Vertretungen einen Widerspruch zur Gewährleistung der Struktursicherung der Mitgliedstaaten, die die EU und ihre Organe in Artikel 4 Absatz 2 EUV übernommen haben:
- 6. Er verweist mit Nachdruck auf Artikel 4 Absatz 2 EUV. Danach achtet die Union die nationale Identität der Mitgliedstaaten, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich der lokalen und regionalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt. Die "verfassungsmäßigen Strukturen" sind in der Bundesrepublik Deutschland gleichbedeutend mit der Verfassungsidentität, deren unantastbarer Kerngehalt sich aus Artikel 23 Absatz 1 Satz 3 in Verbindung mit Artikel 79 Absatz 3 des Grundgesetzes ergibt.
- 7. Der Bundesrat betont, dass nach Artikel 79 Absatz 3
- 2. Alternative des Grundgesetzes den deutschen Ländern die grundsätzliche Mitwirkung bei der Gesetzgebung garantiert ist. Hiervon werden auch die Mitwirkungsrechte der deutschen Länder in Angelegenheiten der Europäischen Union nach Artikel 23 Absatz 4 des Grundgesetzes erfasst, soweit es im Rahmen einer Kompetenzverschiebung zu Lasten der Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes und damit um einen Ausgleich für die Beteiligung der Länder an der Gesetzgebung des Bundes geht.
- 8. Der Bundesrat weist nachdrücklich darauf hin, dass die Länder in Deutschland in Bereichen, die nicht der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes unterfallen und für die der Bund nicht im Rahmen der sogenannten konkurrierenden Gesetzgebung von seiner Zuständigkeit Gebrauch gemacht hat, gemäß Artikel 70 Absatz 1 des Grundgesetzes für die Gesetzgebung zuständig sind.
- 9. Er unterstreicht, dass nach Artikel 23 Absatz 6 und 7 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBLG) die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der EU zustehen, - wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der deutschen Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind - vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen wird. Dies ist der Ausgleich für die Übertragung von Gesetzgebungszuständigkeiten der deutschen Länder auf die europäische Ebene.
- 10. Der Bundesrat weist daher mit Nachdruck darauf hin, dass die deutschen Länder selbst Teil der europäischen Gesetzgebung sind.
- 11. Er betont, dass die deutschen Länder darüber hinaus weitere staatliche Aufgaben wahrnehmen. Nach Artikel 83 des Grundgesetzes führen die Länder die Bundesgesetze grundsätzlich als eigene Angelegenheit aus. Hierzu zählen auch solche Gesetze, die auf europarechtliche Vorgaben zurückgehen.
- 12. Der Bundesrat stellt heraus, dass die deutschen Länder Handelnde im europäischen Institutionengefüge sind: Sie sind Akteure im Ausschuss der Regionen (AdR), dessen Rechte im europäischen Gesetzgebungsprozess durch den Vertrag von Lissabon gestärkt worden sind. So statuiert zum Beispiel Artikel 8 Absatz 2 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit erstmals die Möglichkeit für den AdR, Subsidiaritätsklage vor dem EuGH gegen jene Gesetzesvorhaben zu erheben, bei denen der AdR gehört werden muss. Der Intention des Vertrages von Lissabon, den europäischen Gesetzgebungsprozess durch Stärkung des AdR bürgernäher zu gestalten, liefe es zuwider, die Regionen - und damit die deutschen Länder selbst über den Umweg des Transparenzregisters im EU-Gesetzgebungsprozess zu behindern.
- 13. Der Bundesrat sieht daher in der Einbeziehung der deutschen Länder in den Anwendungsbereich des Transparenzregisters eine Überschreitung der Grenzen des Artikels 4 Absatz 2 EUV und einen Widerspruch zu den in Abschnitt I Ziffer 2 festgelegten Grundsätzen, wonach beim Betrieb des Registers die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechtes, zu denen Artikel 4 Absatz 2 EUV gehört, zu achten sind.
III.
- 14. Vor diesem Hintergrund bedauert der Bundesrat außerordentlich, dass die bislang existierende Anwendungsbereichsausnahme geändert wurde, und erwartet, dass bei der Durchführung der interinstitutionellen Vereinbarung über das Transparenzregister die deutschen Länder ihrer institutionellen Rolle entsprechend behandelt werden.
- 15. Darüber hinaus fordert der Bundesrat, diejenigen Regionen und ihre Vertretungen, die staatliche Funktionen wahrnehmen und deren Bestand zur nationalen Identität der jeweiligen Mitgliedstaaten im Sinne des Artikels 4 Absatz 2 EUV gehört, anlässlich der für 2017 geplanten Überarbeitung der interinstitutionellen Vereinbarung über das Transparenzregister wieder aus dem Anwendungsbereich des Registers herauszunehmen.
- 16. Er bittet die Kommission und das Europäische Parlament, keine Initiativen zu ergreifen, die in Richtung einer verpflichtenden Registrierung von regionalen Behörden und ihren Vertretungen gehen.
IV.
- 17. Der Bundesrat bittet die Kommission und das Europäische Parlament überdies zu prüfen, ob die obigen Ausführungen auch auf die Behörden auf subnationaler Ebene, wie beispielsweise lokale und kommunale Behörden oder Städte bzw. deren Vertretungsbüros, Verbände oder Netzwerke, von denen erwartet wird, dass sie sich registrieren lassen, sinngemäß anwendbar sind, so dass auch diese Behörden aus dem Anwendungsbereich des Registers herausgenommen werden müssen.
- 18. Der Bundesrat bedauert in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass von den genannten Behörden auf subnationaler Ebene eine Registrierung erwartet wird, an deren Nichterfüllung Sanktionen geknüpft werden können.
- 19. Er weist diesbezüglich auf die besondere Bedeutung der kommunalen Ebene in der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland hin. Städte, Gemeinden und Landkreise nehmen einen beträchtlichen Teil der hoheitlichen Aufgaben innerhalb der Bundesrepublik Deutschland wahr.
- 20. Der Bundesrat betont, dass Gemeinden und Gemeindeverbände in Deutschland Träger der Selbstverwaltung sind (Artikel 28 Absatz 2 des Grundgesetzes). Als solche sind sie aber keine Vereinigung Privater, sondern, auch wenn sie aus deren hierarchischer Verwaltungsstruktur ausgegliedert sind, mit besonderen verfassungsmäßigen Rechten ausgestattete Teile der Länder und damit Teil der öffentlichen Gewalt im Sinne des Artikels 1 Absatz 3 und des Artikels 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Auch ihre Rechtsetzungstätigkeit ist dem Bereich der öffentlichen Verwaltung zugeordnet (vgl. BVerfGE 83, 37 [54]). Der Zweck des Transparenzregisters greift daher allenfalls bei der Tätigkeit kommunaler Wirtschaftsunternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit.
- 21. Die Rechtstellung der Gemeinden und Gemeindeverbände im institutionellen Gefüge steht nach Auffassung des Bundesrates einer Behandlung ähnlich der von Lobbygruppen aus Wirtschaft und Gesellschaft entgegen. Viele der in Abschnitt II Ziffern 5 bis 13 genannten rechtlichen Vorgaben lassen sich auf die Kommunen zumindest sinngemäß übertragen.
V.
- 22. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich für die Ziele dieser Entschließung auf europäischer Ebene nachdrücklich einzusetzen.
VI.
- 23. Der Bundesrat übermittelt diese Entschließung direkt an die Kommission.
- 24. Der Bundesrat übermittelt diese Entschließung direkt an das Europäische Parlament.