Der Hessische Ministerpräsident Wiesbaden, 7. Oktober 2014
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Stephan Weil
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Hessische Landesregierung hat in ihrer Sitzung am 6. Oktober beschlossen, gemeinsam mit dem Freistaat Bayern dem Bundesrat die anliegende Entschließung des Bundesrates zur Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission über das Transparenz-Register für Organisationen und selbständige Einzelpersonen, die sich mit der Gestaltung und Umsetzung von EU-Politik befassen (EU-Transparenzregister) zuzuleiten.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen, mit dem Ziel, die Vorlage in der Sitzung des Bundesrates am 7. November 2014 abschließend zu beraten.
Mit freundlichen Grüßen
Volker Bouffier
Entschließung des Bundesrates zur Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission über das Transparenzregister für Organisationen und selbstständige Einzelpersonen, die sich mit der Gestaltung und Umsetzung von EU-Politik befassen (EU-Transparenzregister)
Der Bundesrat möge beschließen:
I.
- 1. Der Bundesrat stellt fest, dass das im Jahr 2011 von Europäischer Kommission und Europäischem Parlament eingerichtete Transparenzregister durch die "Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission über das Transparenzregister für Organisationen und selbstständige Einzelpersonen, die sich mit der Gestaltung und Umsetzung von EU-Politik befassen" n.F. ersetzt wird, die am 20. Tag nach dem Tag ihrer Veröffentlichung im EU-Amtsblatt in Kraft getreten ist (Nr. 38 der Vereinbarung).
- 2. Der Bundesrat anerkennt das Transparenzregister als gemeinsames Instrument der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments, mit dessen Hilfe die Tätigkeit von Interessenvertretern, die außerhalb des europäischen Gesetzgebungsprozesses stehen, auf europäischer Ebene erfasst und kontrolliert werden soll.
- 3. Der Bundesrat bewertet jedoch die nun erstmals vorgenommene Ausdehnung des Anwendungsbereiches auf "regionale Behörden und ihre Vertretungen" - in der Bundesrepublik Deutschland sind dies die deutschen Länder -, die bisher vom Anwendungsbereich des Registers ausdrücklich ausgenommen waren, unter verschiedenen Gesichtspunkten kritisch.
- 4. Der Bundesrat betont, dass die Ausdehnung des Anwendungsbereichs langfristig nicht zur Gleichstellung der regionalen Behörden und ihrer Vertretungen mit Lobbygruppen aus Wirtschaft und Gesellschaft führen darf. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass von den regionalen Behörden und ihren Vertretungen nicht erwartet wird, dass sie sich registrieren lassen, sie dies jedoch auf Wunsch tun können. Nichtsdestotrotz unterstreicht der Bundesrat, dass diese Regelung nicht dazu führen darf, dass regionale Behörden und ihre Vertretungen schon jetzt bei der Umsetzung der Vereinbarung faktisch verpflichtet werden könnten, sich registrieren zu lassen.
II.
- 5. Der Bundesrat erkennt deshalb bereits in der Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf Regionen und ihre Vertretungen einen Widerspruch zur Gewährleistung der Struktursicherung der Mitgliedstaaten, die die EU und ihre Organe in Art. 4 Abs. 2 EUV übernommen haben:
- 6. Der Bundesrat verweist mit Nachdruck auf Art. 4 Abs. 2 EUV. Danach achtet die Union die nationale Identität der Mitgliedstaaten, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich der lokalen und regionalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt. Die "verfassungsmäßigen Strukturen" sind in der Bundesrepublik Deutschland gleichbedeutend mit der Verfassungsidentität, deren unantastbarer Kerngehalt sich aus Art. 23 Abs. 1 S. 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG ergibt.
- 7. Der Bundesrat betont, dass nach Art. 79 Abs. 3 Var. 2 GG den deutschen Ländern die grundsätzliche Mitwirkung bei der Gesetzgebung garantiert ist. Hiervon werden auch die Mitwirkungsrechte der deutschen Länder in Angelegenheiten der Europäischen Union nach Art. 23 Abs. 4 GG erfasst, soweit es im Rahmen einer Kompetenzverschiebung zu Lasten der Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes und damit um einen Ausgleich für die Beteiligung der Länder an der Gesetzgebung des Bundes geht.
- 8. Der Bundesrat weist nachdrücklich darauf hin, dass die Länder in Deutschland in Bereichen, die nicht der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes unterfallen und für die der Bund nicht im Rahmen der sog. konkurrierenden Gesetzgebung von seiner Zuständigkeit Gebrauch gemacht hat, gemäß Art. 70 Abs. 1 GG für die Gesetzgebung zuständig sind.
- 9. Der Bundesrat unterstreicht, dass nach Art. 23 Abs. 6, 7 GG i.V. mit dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBLG) die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, - wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der deutschen Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind - vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter übertragen wird. Dies ist der Ausgleich für die Übertragung von Gesetzgebungszuständigkeiten der deutschen Länder auf die europäische Ebene.
- 10. Der Bundesrat weist daher mit Nachdruck darauf hin, dass die deutschen Länder selbst Teil der europäischen Gesetzgebung sind.
- 11. Der Bundesrat betont, dass die deutschen Länder darüber hinaus weitere staatliche Aufgaben wahrnehmen. Nach Art. 83 GG führen die Länder die Bundesgesetze grundsätzlich als eigene Angelegenheit aus. Hierzu zählen auch solche Gesetze, die auf europarechtliche Vorgaben zurückgehen.
- 12. Der Bundesrat stellt heraus, dass die deutschen Länder Handelnde im europäischen Institutionengefüge sind: Sie sind Akteure im Ausschuss der Regionen, dessen Rechte im europäischen Gesetzgebungsprozess durch den Vertrag von Lissabon gestärkt worden sind. So statuiert z.B. Art. 8 Abs. 2 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit erstmals die Möglichkeit für den Ausschuss der Regionen, Subsidiaritätsklage vor dem EuGH gegen jene Gesetzesvorhaben zu erheben, bei denen der Ausschuss der Regionen gehört werden muss. Der Intention des Vertrages von Lissabon, den europäischen Gesetzgebungsprozess durch Stärkung des Ausschusses der Regionen bürgernäher zu gestalten, liefe es zuwider, die Regionen - und damit die deutschen Länder - selbst über den Umweg des Transparenzregisters im EU-Gesetzgebungsprozess zu behindern.
- 13. Der Bundesrat sieht daher in der Einbeziehung der deutschen Länder in den Anwendungsbereich des Transparenzregisters eine Überschreitung der Grenzen des Art. 4 Abs. 2 EUV und einen Widerspruch zu den in I.2. festgelegten Grundsätzen, wonach beim Betrieb des Registers die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechtes, zu denen Art. 4 Abs. 2 EUV gehört, zu achten sind.
III.
- 14. Vor diesem Hintergrund bedauert der Bundesrat außerordentlich, dass die bislang existierende Anwendungsbereichsausnahme geändert wurde und erwartet, dass bei der Durchführung der interinstitutionellen Vereinbarung über das Transparenzregister die deutschen Länder ihrer institutionellen Rolle entsprechend behandelt werden.
- 15. Darüber hinaus fordert der Bundesrat, diejenigen Regionen und ihre Vertretungen, die staatliche Funktionen wahrnehmen und deren Bestand zur nationalen Identität der jeweiligen Mitgliedstaaten i.S. des Art. 4 Abs. 2 EUV gehört, anlässlich der für 2017 geplanten Überarbeitung der interinstitutionellen Vereinbarung über das Transparenzregister wieder aus dem Anwendungsbereich des Registers herauszunehmen.
- 16. Der Bundesrat bittet Europäische Kommission und Europäisches Parlament keine Initiativen zu ergreifen, die in Richtung einer verpflichtenden Registrierung von regionalen Behörden und ihren Vertretungen gehen.
IV.
- 17. Der Bundesrat bittet Kommission und Europäisches Parlament überdies zu prüfen, ob die obigen Ausführungen auch auf die Behörden auf subnationaler Ebene, wie beispielsweise lokale und kommunale Behörden oder Städte bzw. deren Vertretungsbüros, Verbände oder Netzwerke, von denen erwartet wird, dass sie sich registrieren lassen, sinngemäß anwendbar sind, so dass auch diese Behörden aus dem Anwendungsbereich des Registers herausgenommen werden müssen.
- 18. Der Bundesrat bedauert in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass von den genannten Behörden auf subnationaler Ebene eine Registrierung erwartet wird, an deren Nichterfüllung Sanktionen geknüpft werden können.
- 19. Der Bundesrat weist diesbezüglich auf die besondere Bedeutung der kommunalen Ebene in der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland hin. Städte, Gemeinden und Landkreise nehmen einen beträchtlichen Teil der hoheitlichen Aufgaben innerhalb der Bundesrepublik Deutschland wahr.
- 20. Der Bundesrat betont, dass Gemeinden und Gemeindeverbände in Deutschland Träger der Selbstverwaltung sind (Art. 28 Abs. 2 GG) . Als solche sind sie aber keine Vereinigung Privater, sondern, auch wenn sie aus deren hierarchischer Verwaltungsstruktur ausgegliedert sind, mit besonderen verfassungsmäßigen Rechten ausgestattete Teile der Länder und damit Teil der öffentlichen Gewalt i.S. des Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG. Auch ihre Rechtssetzungstätigkeit ist dem Bereich der öffentlichen Verwaltung zugeordnet (vgl. BVerfGE 83, 37 [54]). Der Zweck des Transparenzregisters greift daher allenfalls bei der Tätigkeit kommunaler Wirtschaftsunternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit.
- 21. Die Rechtstellung der Gemeinden und Gemeindeverbände im institutionellen Gefüge steht nach Auffassung des Bundesrates einer Behandlung ähnlich der von Lobbygruppen aus Wirtschaft und Gesellschaft entgegen. Viele der in II. 5-13 genannten rechtlichen Vorgaben lassen sich auf die Kommunen zumindest sinngemäß übertragen.
V.
- 22. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich für die Ziele dieser Entschließung auf europäischer Ebene nachdrücklich einzusetzen.
VI.
- 23. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Europäische Kommission.
- 24. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an das Europäische Parlament.