Der Deutsche Bundestag hat in seiner 181. Sitzung am 16. Juni 2005 zu dem von ihm verabschiedeten
- Entwurf eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes- Drucksachen 015/5316, 015/5728 -
die beigefügten Entschließungen unter Nummer 4 und 5 der Beschlussempfehlung auf Drucksache 015/5728 angenommen.
1. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
- 1. Klinischer Forschung kommt im Gesundheitsbereich eine besondere Bedeutung zu. Sie ist Grundlage für eine evidenzbasierte und qualitätsgesicherte medizinische Versorgung und ist Garant für medizinischen Fortschritt. Selbst die besten erprobten prophylaktischen, diagnostischen und therapeutischen Methoden müssen ständig durch Forschung auf ihre Wirksamkeit, Nebenwirkungen, Leistungsfähigkeit, Verfügbarkeit und Qualität überprüft werden.
Von großer Bedeutung ist die Forschung, die von nicht kommerziellen Akteuren, z.B. wissenschaftlich tätigen Ärzten, initiiert wird. Nicht kommerzielle klinische Studien werden von Universitätskliniken oder sonstigen Krankenhäusern und Versorgungseinrichtungen durchgeführt. Der größte Teil dieser Forschung wird über Haushalts- und/oder Drittmittel (z.B. Stiftungen) ohne Beteiligung der pharmazeutischen Industrie finanziert.
Aus der Sicht der Patienten und Versicherten sind Therapieoptimierungsstudien, die Entwicklung neuer therapeutischer Prinzipien und Ansatzpunkte für Therapeutika, die Prävention von Volkskrankheiten, die Aufdeckung ggf. vorhandener Nebenwirkungen oder Indikationserweiterungen besonders wichtig. Optimierte medizinische Verfahren kommen den Patienten unmittelbar zugute.
Die Richtlinie 2001/20/EG schreibt vor, dass auch nicht kommerzielle klinische Forschung im Rahmen Guter Klinischer Praxis (Good Clinical Practice - GCP) stattfinden muss. Danach müssen Therapieoptimierungsstudien denselben Standards hinsichtlich der Prozess- wie Ergebnisqualität entsprechen wie andere klinische Studien auch.
Der Deutsche Bundestag begrüßt grundsätzlich die mit der Umsetzung der Richtlinie 2001/20/EG gesetzlich verankerten Regelungen, da hiermit eine deutliche Anhebung der Standards klinischer Prüfungen verbunden ist. Dies betrifft insbesondere die Sicherheit von Patienten oder Probanden und die Qualität der erhobenen Daten.
Der Deutsche Bundestag begrüßt weiterhin, dass im Rahmen des 12. Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes, des 14. Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes sowie der GCPVerordnung in Übereinstimmung mit europäischem Recht Vereinfachungen und Erleichterungen für klinische Prüfungen vorgesehen sind, die von Hochschulen ohne industrielle Sponsoren durchgeführt werden.
Hervorzuheben sind u. a. folgende Maßnahmen:
- - Bestimmte Herstellungsschritte bedürfen keiner Herstellungserlaubnis nach § 13 AMG. Dies sind z.B. das Ändern der Kennzeichnung, das Ab- oder Umfüllen, soweit dies in einer Krankenhausapotheke oder krankenhausversorgenden Apotheke zur Anwendung in den von ihnen versorgten Krankenhäusern erfolgt.
- - Die Anforderungen an die Kennzeichnung der Prüfpräparate wurden erheblich vereinfacht. So müssen zugelassene Prüfpräparate, die ohne zusätzliche Herstellungsmaßnahmen bei klinischen Prüfungen verwendet werden, auf den Behältnissen und äußeren Umhüllungen nicht besonders gekennzeichnet werden ( § 5 Abs. 8 GCP-V). Im Hinblick auf den Schutz des Prüfungsteilnehmers unverzichtbare Angaben können auch in einem Begleitdokument aufgeführt werden (§ 5 Abs. 1 GCP-V). Bei nicht zugelassenen Prüfpräparaten können die meisten Angaben in einem Begleitdokument gemacht werden ( § 5 Abs. 2 GCP-V).
- - Erhebliche Erleichterungen sind für die Unterlagen vorgesehen, die zur Genehmigung der klinischen Prüfung eingereicht werden müssen ( § 7 Abs. 5 GCP-V).
- - Hinsichtlich der Häufigkeit des Monitoring trifft die GCP-Verordnung selbst- keine Festlegungen. In der "Leitlinie zur Guten Klinischen Praxis" wird dazu dem Sponsor auferlegt, die klinischen Prüfungen angemessen zu überwachen, woraus sich ein zu gestaltender Freiraum ergibt.
- - Für die Einfuhr von Prüfpräparaten aus Drittstaaten ist für eine ordnungsgemäße (GMP-gerechte) Herstellung kein Einfuhrzertifikat nach § 72a AMG durch die Behörde notwendig.
- 2. Die prinzipielle Gleichberechtigung der verschiedenen Therapierichtungen und die Notwendigkeit von Erhalt und Fortentwicklungsmöglichkeiten insbesondere von Arzneimitteln der homöopathischen und der anthroposophischen Therapierichtungen muss gewahrt werden. Die europäischen Regelungen der geänderten Richtlinie 2001/83/EG decken die nationalen Besonderheiten und Traditionen im Bereich der besonderen Therapierichtungen nicht umfassend ab.
Der Deutsche Bundestag begrüßt in diesem Zusammenhang, dass im 14. Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes ergänzende Bestandsschutzregelungen für homöopathische Arzneimittel aufgenommen wurden.
- 3. In Zukunft ist zu erwarten, dass nicht nur zur Senkung der Therapiekosten, sondern auch zur Verbesserung der Anwendungssicherheit - die therapiegerechte Versorgung mit individuell durch Einzelverblistern verpackten Arzneimitteln für den angepassten Bedarf des Patienten zunehmen wird. Im Rahmen der individuellen Versorgung von Heimbewohnern gibt es dazu einen Modellversuch. Die in § 4 AMG zur Umsetzung europäischen Rechts vorgesehene Erweiterung des Fertigarzneimittelbegriffs würde diese neue Form der Versorgung tangieren. Deshalb ist in § 21 AMG eine Ausnahmeregelung vorgesehen. Nach Beendigung des Modellversuchs bedarf es einer eingehenden Prüfung der gewonnenen Erfahrungen unter besonderer Berücksichtigung von Sicherheits- und Haftungsfragen sowie unter dem Gesichtspunkt fairer Wettbewerbsbedingungen für die Anbieter.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
- 1. die maßgeblichen Akteure im Wissenschaftsbetrieb über die in der GCP-Verordnung verankerten Erleichterungen für nicht kommerzielle klinische Prüfungen aufzuklären. In der Praxis kann es sich nachteilig auf die Patientinnen und Patienten auswirken, wenn die Möglichkeiten der GCP-Verordnung nicht ausgeschöpft werden. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung weiterhin auf, die bestehenden Rahmenbedingungen für solche Studien zu überprüfen und gegebenenfalls weiter zu vereinfachen, wenn dies fachlich vertretbar und mit dem europäischen Recht vereinbar ist;
- 2. zusammen mit den beteiligten Fachgesellschaften, Ärzte-, Patienten- und Herstellerverbänden sowie den beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte angesiedelten Arzneimittelkommissionen D und C Regelungskonzepte zu prüfen und fortzuentwickeln, die den Erhalt und die Weiterentwicklung von Arzneimitteln der homöopathischen und der anthroposophischen Therapierichtungen entsprechen. Eine besondere Relevanz hat hierbei die Weiterentwicklung nationaler Besonderheiten (Tiefpotenzen D1-D3 und Ampullen), die seit Jahrzehnten in Deutschland bekannt und bewährt sind. Dies könnte im Rahmen einer Weiterentwicklung des europäischen Rechts oder der Implementierung einer nationalen Regelung erfolgen;
- 3. nach Beendigung des Modellversuches unter besonderer Berücksichtigung von Sicherheits- und Haftungsfragen sowie unter dem Aspekt fairer Wettbewerbsbedingungen der Anbieter gegebenenfalls die erforderlichen gesetzgeberischen Maßnahmen zu ergreifen, um die dann notwendigen Rahmenbedingungen für eine neue Form (die therapiegerechte Versorgung mit individuell durch Einzelverblistern verpackten Arzneimitteln für den angepassten Bedarf des Patienten) der Versorgung zu schaffen.
2. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
- 1. In Deutschland werden jährlich einige Tausend klinische Studien durchgeführt. Nur ca. 50 Prozent der Studien sind öffentlich bekannt. Ein Grund dafür ist, dass Forscherinnen und Forscher in Deutschland nicht gesetzlich dazu verpflichtet sind, ihre Studie in einem öffentlich zugänglichen Register zu registrieren oder. die Ergebnisse zu publizieren. Die fehlende Transparenz zu in Deutschland durchgeführten Studien, zu Studienart und Probanden und zu Studienergebnissen betrifft politische Entscheidungsträger, Patientinnen und Patienten, Forscherinnen und Forscher, pharmazeutische Hersteller, Ethikkommissionen und die interessierte Öffentlichkeit gleichermaßen.
Eine Registrierung von klinischen Studien ist u. a. notwendig, weil
- - die Berichterstattung über Studienergebnisse, positive und negative, vervollständigt werden muss, die selektive Veröffentlichung von Studien zu einer Überschätzung der Wirksamkeit und zu einer nterschätzung der Risiken führt, überflüssige Forschung am Menschen unethisch ist und vermieden werden muss,
- - Patientinnen und Patienten sowie Ärztinnen und Ärzte die Möglichkeit erhalten müssen, sich über 1aufende Studien zu einzelnen Erkrankungen zu informieren, Patientinnen und Patienten sowie die behandelnden Ärztinnen und Ärzte über die besten Behandlungsmöglichkeiten in bestimmten klinischen Situationen besser informiert sein müssen,
- - Informationen über den aktuellen Stand der klinischen Forschung Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zeitnah zugänglich sein müssen.
Es bestehen zwar bereits internationale Register, die aber entweder nicht öffentlich zugänglich sind, nur Studien mit zugelassenen Arzneimitteln umfassen oder wegen der Freiwilligkeit der Registrierung unvollständig sind.
Eine Registrierungspflicht besteht derzeit lediglich für das nicht-öffentliche Studienregister der Europäischen Kommission EudraCT, das im Jahr 2004 eingerichtet wurde. Auf die Datenbank haben lediglich die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMEA) und die Europäische Kommission Zugriff. Die Europäische Kommission hat außerdem die Einrichtung eines öffentlich zugänglichen Registers angekündigt, in das klinische Prüfungen mit bereits in der Gemeinschaft zugelassenen Arzneimitteln aufgenommen werden (EuroPharm). Forscherinnen und Forscher sowie Patientinnen und Patienten, die an der Entwicklung neuer Wirkstoffe Interesse haben, werden von dem neuen Register daher nur sehr wenig profitieren.
Auch Ansätze, die Publikation von Studienergebnissen an die vorherige Registrierung der Studie zu binden, sind nicht ausreichend. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa die Hälfte aller klinischen Studien nicht publiziert wird. Dies trifft insbesondere auf Studien mit negativen oder unspektakulären Ergebnissen und abgebrochene Studien zu. Das Nicht-Veröffentlichen von Studienergebnissen hat zur Folge, dass die Erkenntnisse für die Fachwelt verloren gehen. Um Redundanzen zu vermeiden, Ressourcen zu sparen und Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer nicht ungerechtfertigt Risiken und Belastungen auszusetzen, müssen Studienvorhaben publik werden.
In anderen Ländern, auch EU-Mitgliedstaaten, gibt es derartige implementierte oder im Aufbau begriffene öffentliche Register. Zu erwähnen sind die Register in Großbritannien, Frankreich, Italien und den Niederlanden.
Der Deutsche Bundestag begrüßt die im Rahmen des 12. Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vorgenommene Einrichtung einer Kontaktstelle beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte für Probandinnen und Probanden sowie die Möglichkeit für Ethikkommissionen, von der zuständigen Bundesoberbehörde Informationen über andere klinische Prüfungen zu erhalten, die für die Begutachtung einer klinischen Prüfung von Bedeutung sind. Dies sind erste Schritte auf dem Weg zu mehr Transparenz über klinische Studien.
- 2. Möglichkeiten zur Stärkung des Preiswettbewerbs bei den wirkstoffgleichen Arzneimitteln müssen ausgeschöpft werden. Überzogene Rabattgewährungen zwischen den Handelsstufen, die nicht den Endverbrauchern und Kostenträgern zu gute kommen, sind nicht akzeptabe1. Solche Vorgänge vermindern die Wirtschaftlichkeitspotentiale und schwächen den Preiswettbewerb im Generikamarkt. Der Deutsche Bundestag erwartet in diesem Zusammenhang von den gesetzlichen Krankenkassen, dass sie von ihren Möglichkeiten zum Abschluss von Rabattvereinbarungen für Arzneimittel mit pharmazeutischen nternehmen Gebrauch machen. Ziel muss es dabei sein, Wirtschaftlichkeitspotentiale zu erschließen und die Beitragszahler zu entlasten.
- 3. Eine umfangreiche Information der Patientinnen und Patienten ist im Falle der Verordnung eines neuen Arzneimittels, über das noch keine Langzeitstudien vorliegen, in der Praxis nicht immer ausreichend gewährleistet. In anderen Mitgliedstaaten der Europäischen nion werden solche neuen Arzneimittel mit besonderen Symbolen gekennzeichnet, um die Anwender auf den Zulassungsstatus hinzuweisen.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
- 1. ein unabhängiges, öffentlich zugängliches, vollständiges und fortlaufend aktualisiertes nationales Studienregister mit validen Informationen über alle klinischen Prüfungen beim Menschen zu initiieren. Dazu gehören neben Prüfungen von Arzneimitteln alle weiteren therapeutischen oder diagnostischen Verfahren und epidemiologischen Untersuchungen.
Das Register soll Öffentlichkeit, Forschung, Ethikkommissionen, Fachgesellschaften, Ärztinnen und Ärzten sowie Patientinnen und Patienten über Zahl und Art der Prüfungen informieren, indem alle geplanten, 1aufenden, abgebrochenen oder abgeschlossenen klinischen Prüfungen erfasst werden. Neben wissenschaftlichen Beschreibungen sollen allgemein verständliche, deutschsprachige Informationen für Patientinnen und Patienten sowie die sie behandelnden Ärztinnen und Ärzte, einschließlich Informationen zu Teilnahmemöglichkeiten, Studiendesign und Studienergebnissen, bereitgestellt werden. Auf eine Kompatibilität und Einbindung in entstehende internationale Register (z.B. das Register der WHO) sollte geachtet werden.
Sollte die Errichtung eines nationalen Registers für alle klinische Studien zeitnah aufgrund der bislang fehlenden gesetzgeberischen Kompetenz des Bundes für Studien jenseits von Studien mit Arzneimitteln und Medizinprodukten nicht zu realisieren sein, wird die Bundesregierung gebeten, als ersten Schritt ein Register für Studien mit Arzneimitteln und Medizinprodukten zu initiieren;
- 2. auch bei künftigen Gesetzgebungsvorhaben dem Ziel einer wirtschaftlichen Arzneimittelversorgung Rechnung zu tragen;
- 3. zu prüfen, ob und in welcher Form Maßnahmen ergriffen werden können, die im Falle der Verordnung eines Arzneimittels, über das noch keine Langzeitstudien vorliegen, zu einer besseren Information von Patientinnen und Patienten beitragen können.