A. Problem und Ziel
- Gemäß § 4a des Tierschutzgesetzes ist das betäubungslose Schlachten von Tieren grundsätzlich verboten. Die Behörde darf jedoch eine Ausnahmegenehmigung für das betäubungslose Schächten erteilen, um den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften zu entsprechen, denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaften das betäubungslose Schächten vorschreiben (siehe hierzu Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Juni 1995).
- Das Schächt-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Januar 2002 hat die damalige Rechtslage verändert: Die Behörde musste danach eine Ausnahmegenehmigung zum betäubungslosen Schächten von Tieren erteilen, wenn ein Antragsteller persönlich der Überzeugung war, dass der Glaube oder seine Glaubensvariante das betäubungslose Schächten erfordere.
- Am 17. Mai 2002 hat der Deutsche Bundestag mit dem Zusatz "und die Tiere" im Artikel 20a die Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz beschlossen. Die Verfassungsänderung war nach jahrelangen ergebnislosen Auseinandersetzungen erst nach dem Schächt-Urteil bei allen Bundestagsfraktionen konsensfähig. Der Bundestag wollte damit insbesondere im Hinblick auf die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen nach § 4a Tierschutzgesetz eine neue Auslegungspraxis ermöglichen, die nicht bei den Genehmigungsvoraussetzungen des Schächt-Urteils stehen bleibt.
- Soweit aus dem Staatsziel Tierschutz zwar kein generelles Schächtverbot herzuleiten sein sollte, wäre das Vorliegen "zwingender religiöser Gründe" objektiv erforderlich. Eine bloße individuelle Entscheidung jedes Antragstellers, ob er betäubungslos schächtet oder nicht, ist bei der Kollision von Verfassungsgütern nicht ausreichend.
- Im Verwaltungsvollzug hat es sich als schwierig herausgestellt, durch deutsche Behörden, namentlich die Veterinärämter, festzustellen, ob und in welchem Rahmen Gläubige wegen ihres Glaubens in Bezug auf die Schächtfrage "überprüfungsbedürftig" sein sollen. Andererseits könnte ein gesetzliches Totalverbot des Schächtens von Tieren auf verfassungsrechtliche Bedenken stoßen, da der Konflikt zwischen unterschiedlichen Verfassungsgütern - auf der einen Seite die Religionsfreiheit, auf der anderen Seite das sittliche Rechtsgut des Tierschutzes - nach dem Maßstab "praktischer Konkordanz" zu lösen ist.
- Eine bundesweit einheitliche Lösung ist in dieser wichtigen Frage, die auch viele Bürgerinnen und Bürger bewegt, von grundsätzlicher Bedeutung. Der Bundesrat hatte daher bereits im Jahre 2002 in einer Entschließung (BR-Beschluss 088/02 ) die Bundesregierung aufgefordert, entsprechende Schritte zur Lösung der Problematik einzuleiten. Eine Reaktion der Bundesregierung steht bislang aus.
- Eine Lösung im Wege der Gesetzesänderung ist nunmehr besonders dringlich geworden, nachdem der Hessische Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 24. November 2004 einerseits eine fortbestehende Bindung von Behörden und Gerichten an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Januar 2002 nach Einfügung des Staatszieles Tierschutz in Art. 20a GG verneint, andererseits es aber in die Zuständigkeit des Gesetzgebers verweist, den Anwendungsbereich des § 4a Abs. 2 TierSchG grundlegend zu verändern.
B. Lösung
- Änderung des § 4a des Tierschutzgesetzes.
C. Alternative
- Keine.
D. Kosten der öffentlichen Hand
- 1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand
Keine
- 2. Vollzugsaufwand
Keiner
E. Sonstige Kosten
- Keine
Gesetzesantrag des Landes Hessen
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des § 4a des Tierschutzgesetzes - Anforderungen an Ausnahmegenehmigungen zum betäubungslosen Schlachten
Der Hessische Ministerpräsident Wiesbaden, den 31. Mai 2005
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Matthias Platzeck
Sehr geehrter Herr Präsident, die Hessische Landesregierung hat beschlossen, dem Bundesrat den anliegenden
- Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des § 4a des Tierschutzgesetzes
- Anforderungen an Ausnahmegenehmigungen zum betäubungslosen Schlachten mit dem Antrag zuzuleiten, seine Einbringung beim Deutschen Bundestag gemäß Art. 76 Abs. 1 Grundgesetz zu beschließen.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der Bundesratssitzung am 17. Juni 2005 aufzunehmen und sie anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Roland Koch
Anlage Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des § 4a des Tierschutzgesetzes -
Anforderungen an Ausnahmegenehmigungen zum betäubungslosen Schlachten
Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderung des Tierschutzgesetzes
§ 4a Abs. 2 Nr. 2 des Tierschutzgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Mai 1998 (BGBl. I, S. 1105, 1818), das zuletzt durch Art. 153 der Verordnung vom 25. November 2003 (BGBl. I S. 2304, 2322) geändert worden ist, wird wie folgt gefasst:
"2. die zuständige Behörde eine Ausnahmegenehmigung für ein Schlachten ohne Betäubung (Schächten) erteilt hat; sie darf die Ausnahmegenehmigung nur erteilen, wenn
- a) nachgewiesen ist, dass die Ausnahmegenehmigung erforderlich ist, um den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu entsprechen, denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft das Schächten vorschreiben oder den Genuss von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen und
- b) vor, während und nach dem in Frage stehenden betäubungslosen Schächten gewährleistet ist, dass dadurch bei dem betroffenen Tier im Vergleich zu einer gesetzmäßigen Schlachtung mit vorheriger Betäubung keine zusätzlichen erheblichen Schmerzen oder Leiden, insbesondere Ängste, auftreten."
Artikel 2
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Begründung
A. Allgemeiner Teil
Es bedarf einer bundesweit einheitlichen Lösung durch Änderung des entsprechenden § 4a im Tierschutzgesetz. Dabei ist es sinnvoll, die behördliche Erteilung einer Ausnahmegenehmigung davon abhängig zu machen, dass nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse sicher ist, dass den Tieren dadurch keine größeren Schmerzen oder Leiden zugefügt werden als bei vorheriger Betäubung.
B. Besonderer Teil
Dem Verfassungsgut Tierschutz würde durch die Änderung des § 4a Abs. 2 Nr. 2a TierSchG klar entsprochen, gleichzeitig würde diese gesetzliche Änderung Klarheit für alle Beteiligten schaffen, da eine Orientierung an einer objektivierbaren wissenschaftlichen und ethischen Fragestellung erfolgt.
Des Weiteren würde die vorgeschlagene Form des § 4a Abs. 2 Nr. 2b TierSchG die Gültigkeit der allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts, nämlich die materielle Beweislast des Antragstellers für den Ausnahmetatbestand, auch für die vorliegenden Fälle herstellen. Die Behörde muss also aufgrund der vom Antragsteller vorzulegenden Nachweise die volle Überzeugung gewonnen haben, dass die Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt sind.
Es ist sinnvoll, die behördliche Erteilung einer Ausnahmegenehmigung davon abhängig zu machen, dass nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse sicher ist, dass den Tieren dadurch keine größeren Schmerzen oder Leiden zugefügt werden als bei vorheriger Betäubung. Dieser objektivierbaren wissenschaftlichen und ethischen Fragestellung ist der Vorrang einzuräumen. Daran könnten und sollten sich auch Amtsveterinäre orientieren.