Stellungnahme des Bundesrates
Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes

Der Bundesrat hat in seiner 937. Sitzung am 16. Oktober 2015 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Zum Gesetzentwurf insgesamt

Begründung:

Zu Buchstabe a:

Die Beschäftigungssituation für den wissenschaftlichen/künstlerischen Mittelbau ist durch eine drastische Nutzung von zumeist unnötig kurz befristeten Verträgen und häufig prekären Teilzeitverträgen charakterisiert. Die daraus entstehende Unsicherheit ist für eine Beschäftigtengruppe, die sich größtenteils in der Familien(gründungs)phase befindet, wenig attraktiv. Es ist davon auszugehen, dass vor allem Frauen aus solchen Karrierewegen in der Wissenschaft und Forschung aussteigen ("leaky pipeline"). Aus diesem Grund sind alle Bestrebungen zur Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen, wie auch im vorliegenden Gesetzentwurf, insbesondere im Zusammenhang mit Personalentwicklungskonzepten an Hochschulen und Forschungseinrichtungen, ein Schritt in die richtige Richtung.

Mit der geplanten Novellierung des WissZeitVG sollen künftig unsachgerecht kurze Befristungen unterbunden werden. So wird darin die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen bis zur Promotion zwingend an die Dauer des Qualifikationsvorhabens geknüpft und eine Befristung wegen Drittmittelfinanzierung muss sich künftig an der Dauer der Drittmittelbewilligung orientieren. Die Möglichkeit der Drittmittelbefristung von Arbeitsverträgen des nichtwissenschaftlichen Personals wird aus dem Gesetz gestrichen. Hervorzuheben ist auch die Einführung einer behindertenpolitischen Komponente in das Gesetz, die einen wichtigen weiteren Schritt zur Inklusion behinderter Menschen in das Wissenschaftssystem darstellt.

Zu Buchstabe b:

Die Erweiterung des Kindbegriffes und die Harmonisierung des WissZeitVG mit dem Bundeselterngeld- und dem Elternzeitgesetz ist eine formale Anpassung, die im Zuge der Novellierung erfolgt. Sie zeigt darüber hinaus, dass die Bundesregierung großen Wert auf die systematische Anwendung der familienpolitischen Komponente legt. Bedauerlich ist jedoch, dass in diesem Zusammenhang die Umsetzungsprobleme der Komponente in der Praxis der Hochschulen und Forschungseinrichtungen nicht reflektiert wurden.

Zu Buchstabe c:

Die sogenannte "familienpolitische Komponente" gemäß § 2 Absatz 1 Satz 4 WissZeitVG-E erlaubt es, die insgesamt zulässige Höchstbefristungsdauer bei der Betreuung eines oder mehrerer Kinder unter 18 Jahren um zwei Jahre pro Kind zu verlängern. Sie ist ein wichtiges Instrument zur besseren Vereinbarkeit von beruflicher Tätigkeit und Kinderbetreuung und wird im vorliegenden Gesetzentwurf hinsichtlich der Anwendbarkeit auf Stief- und Pflegekinder novelliert - ein höchst begrüßenswerter Schritt.

Allerdings unterliegt diese Option der Vertragsverlängerung dem Einvernehmen beider Vertragsparteien und findet daher in der Praxis kaum Anwendung. Wie die Evaluierung des Gesetzes von 2011 ergab, stützen sich nur ein bis zwei Prozent der Arbeitsverträge auf diese Vorschrift. Diese wenigen Verträge werden zudem meist mit männlichen Beschäftigten abgeschlossen. Aus frauenpolitischer Sicht erscheint es daher dringend geboten, die "familienpolitische Komponente" als Rechtsanspruch der Beschäftigten auszugestalten. Damit könnte das Gesetz seine intendierte Wirkung tatsächlich entfalten. Frauen, die in den Führungspositionen des deutschen Wissenschaftssystems nach wie vor deutlich unterrepräsentiert sind, würden von einem solchen Rechtsanspruch besonders profitieren, da sie nach wie vor die Hauptlast der reproduktiven Familienarbeit tragen.

Zu Buchstabe d:

Um die reproduktive Familienarbeit zu bewältigen, werden Möglichkeiten der Arbeitszeitreduzierung von Frauen häufiger genutzt als von Männern. Dies spiegelt sich auch in den Teilzeitverträgen im Bereich der Wissenschaft.

Im Rahmen der sachgrundlosen Befristung werden nach § 2 Absatz 3 WissZeitVG befristete Beschäftigungsverhältnisse mit Arbeitszeitreduzierungen ab 25 Prozent bis zu 100 Prozent ohne Unterschied auf die Höchstbefristungsdauer angerechnet. Gemäß § 4 Nummer 1 und 2 des Anhangs zur Richtlinie 097/81 EG zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (ABl. EG 1998 Nr. L 14 S. 9) darf eine Anrechnung von Teilzeitbeschäftigung in der Qualifizierungsphase aber nur proportional zum zeitlichen Umfang der Tätigkeit erfolgen. Da eine Beschäftigung von weniger als 25 Prozent der regelmäßigen Arbeitszeit wohl nicht mehr der Qualifizierung (mithin dem Zweck der Regelung) dienen kann, sind solche geringfügigen Beschäftigungen schon per Gesetz von der Anrechnung ausgenommen.

Aber auch die übrigen Teilzeitbeschäftigungen können zeitlich gesehen nicht der gleichen Qualifizierung entsprechen wie Vollzeitbeschäftigungen. Es bestehen daher Bedenken bezüglich der Vereinbarkeit der Regelung des § 2 Absatz 3 des WissZeitVG VG mit § 4 Nummer 1 und 2 des Anhangs zur Richtlinie 097/81 EG und somit bestehendem Gemeinschaftsrecht.

Zu Buchstabe e:

In dem Gesetzentwurf ist jedoch die Beibehaltung der Tarifsperre vorgesehen. Dies wird insbesondere damit begründet, dass eine Öffnung der Befristungsregelungen für tarifvertragliche Vereinbarungen die Funktion des WissZeitVG, rechtssichere und verlässliche Rahmenbedingungen für die befristete Beschäftigung des wissenschaftlichen Personals zu schaffen, erheblich beeinträchtigen würde.

Dem gegenüber hat der im März 2011 vorgelegte Evaluationsbericht zum WissZeitVG allerdings deutlich aufgezeigt, dass die Befristungspraxis an den Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen nicht sachgerecht sei und man arbeitgeberseits dazu neige, die Befristungslaufzeiten unangemessen kurz auszugestalten. Die Abschaffung der Tarifsperre hätte hier - neben den durch das Gesetzesvorhaben bewirkten positiven Veränderungen - grundsätzlich eine befriedende Wirkung und wäre der Akzeptanz befristeter Dienstverhältnisse im Hochschulbereich sehr dienlich.

Die durch eine Aufhebung der Tarifsperre entstehenden Handlungsspielräume der Tarifvertragsparteien könnten eine Konsolidierung der Rechtslage und ihre Anpassung an neue Entwicklungen erleichtern: Bei komplexen Interessenlagen könnten die Tarifvertragsparteien regelmäßig sach- und zeitgerechter als der Gesetzgeber reagieren. Dies hat sich auch in den Verhandlungen zur Entwicklung des Rahmenkodex für gute Beschäftigungsbedingungen an den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen sowie des Code of Conduct für die Hochschulen in Hamburg gezeigt. Hier haben sich Vertreterinnen und Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zusammengesetzt und sehr konkrete, praxistaugliche und von beiden Seiten als tragfähig anerkannte Regelungen für die Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen entwickelt.

2. Zu Artikel 1 Nummer 1 (§ 1 Absatz 1 Satz 1 WissZeitVG)

Artikel 1 Nummer 1 ist wie folgt zu fassen:

Begründung:

Der persönliche Anwendungsbereich des WissZeitVG ist in den vergangenen Jahren vermehrt problematisiert worden. Vor dem Hintergrund insbesondere der Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts in der Entscheidung vom 1. Juni 2011, Az.: 7 AZR 827/09 zur Bestimmung des Begriffs des "wissenschaftlichen Personals" im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 WissZeitVG kann heute nicht mehr ohne Weiteres von einer Anwendbarkeit des WissZeitVG auf studentische Beschäftigte ausgegangen werden. Der vorliegende Gesetzentwurf lässt diese Frage zumindest in § 1 WissZeitVG-E weiterhin offen.

Der Gesetzentwurf sieht zwar in die Schaffung eines neuen § 6 WissZeitVG-E vor, der die Befristung von Arbeitsverträgen zur Erbringung wissenschaftlicher oder künstlerischer Hilfstätigkeiten von eingeschriebenen Studierenden regelt. Insofern könnte die ausdrückliche Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs des WissZeitVG für studentische Beschäftigte als entbehrlich angesehen werden.

Da allerdings § 6 WissZeitVG-E insbesondere unter europarechtlichen Gesichtspunkten in seinem Anwendungsbereich für sich betrachtet als nicht ausreichend konkret angesehen wird, ist es notwendig, durch die vorgeschlagene Klarstellung in § 1 Absatz 1 WissZeitVG zugleich auch den Anwendungsbereich des § 6 WissZeitVG-E nach dem Regelungsvorschlag der Bundesregierung zu konkretisieren und sachlich zu beschränken.

3. Zu Artikel 1 Nummer 2 Buchstabe a (§ 2 Absatz 1 Satz 3 WissZeitVG)

Artikel 1 Nummer 2 Buchstabe a § 2 Absatz 1 Satz 3 ist wie folgt zu fassen:

"Die vereinbarte Befristungsdauer soll bei einer ersten nach den Sätzen 1 und 2 befristeten Beschäftigung 24 Monate nicht unterschreiten, sofern keine sachlichen Gründe eine kürzere Dauer rechtfertigen."

Begründung:

Die Festlegung von konkreten Mindestbefristungszeiten soll in stärkerem Maße als es der Gesetzentwurf der Bundesregierung vorsieht unsachgemäße Kurzbefristungen verhindern und damit den betroffenen Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern eine gerade in der Phase der Qualifikation erforderliche höhere Beschäftigungssicherheit garantieren. Im Ausnahmefall bleiben auch kürzere Befristungen möglich, die auch im Interesse der Beschäftigten im Einzelfall erforderlich sein können.

4. Zu Artikel 1 Nummer 2 Buchstabe c (§ 2 Absatz 3 Satz 4 - neu - WissZeitVG)

Artikel 1 Nummer 2 Buchstabe c ist wie folgt zu fassen:

Begründung:

Der neue Satz 4 in § 2 Absatz 3 WissZeitVG zielt auf eine Änderung der für Drittmittelbeschäftigte geltenden Anrechnungsmodalitäten ab.

Nach bisheriger Rechtslage ist grundsätzlich jede befristete Beschäftigung als wissenschaftliches Personal an einer deutschen Hochschule oder einer Forschungseinrichtung im Sinne des § 5 WissZeitVG anzurechnen. Dabei gilt auch für Drittmittelpersonal grundsätzlich die Festlegung, dass vor einer abgeschlossenen Promotion grundsätzlich eine Befristungsdauer von insgesamt sechs Jahren zur Verfügung steht (§ 2 Absatz 1 WissZeitVG) und eine Anrechnung von entsprechenden Vorbeschäftigungszeiten auf diesen Zeitraum erfolgt. Nach Ablauf von ein bis zwei Projekten kann die für die Promotionsphase derzeit zulässige Befristungsdauer aufgrund der Anrechnung nach der bisherigen Regelung jedoch bereits zu einem erheblichen Teil verbraucht sein. Da gerade Drittmittelbeschäftigte nicht immer ausreichend Gelegenheit haben, während der Drittmittelbeschäftigung auch eine Promotion abzuschließen, viele aber eine Promotion anstreben, ist die bisherige Anrechnungsregelung nicht sachgerecht. Die Regelung, die ersichtlich primär auf das nach § 2 Absatz 1 WissZeitVG beschäftigte wissenschaftliche Personal ausgerichtet ist, mindert die Qualifizierungschancen von mehrjährigen Drittmittelbeschäftigten erheblich und sollte daher geändert werden.

Um wissenschaftlichem Personal, das längere Zeit auf der Basis des § 2 Absatz 2 WissZeitVG (Drittmittelbefristung) befristet beschäftigt war und nun die Vorbereitung oder den Abschluss der Promotion anstrebt, die hierfür nötigen Zeiträume einer befristeten Beschäftigung nach § 2 Absatz 1 WissZeitVG zur Verfügung zu stellen, wird vorgeschlagen, die Anrechnung der Zeiten einer Drittmittelbefristung nur auf den Gesamtbefristungszeitraum nach § 2 Absatz 1 WissZeitVG vorzusehen. So wird der für eine Promotion zur Verfügung stehende Zeitraum so weit wie möglich geschont. Mit der Anrechnung nur auf den Gesamtbefristungszeitraum nach § 2 Absatz 1 WissZeitVG verringert sich im Ergebnis vor allem der Zeitraum möglicher befristeter Beschäftigung nach abgeschlossener Promotion. Dieses Ergebnis entspricht den Interessen der Beteiligten aber eher als die aktuelle Anrechnungssystematik.

5. Zu Artikel 1 Nummer 6 (§ 6 Satz 1 WissZeitVG)

In Artikel 1 Nummer 6 § 6 Satz 1 sind die Wörter "vier Jahren" durch die Wörter "sechs Jahren" zu ersetzen.

Begründung:

Während der Referentenentwurf in der im Rahmen des Anhörungsverfahrens versandten Fassung für studentisches Personal unter der Überschrift "Studienbegleitende Beschäftigungen" noch einen Gesamtbefristungsrahmen von insgesamt sechs Jahren vorgesehen hatte, hat der Gesetzentwurf den zulässigen Befristungsrahmen auf nunmehr vier Jahre verkürzt.

Diesem Regelungsvorschlag kann nicht zugestimmt werden.

Zwar wird nicht in der überwiegenden Zahl der Fälle davon auszugehen sein, dass Studierende für einen Zeitraum von mehr als vier Jahre einer Tätigkeit als studentische Beschäftigte nachgehen. Allerdings sieht der Gesetzentwurf für alle studentischen Beschäftigten ohne jede Ausnahme schematisch eine Obergrenze der möglichen Beschäftigungsdauer von vier Jahren vor. Der Regelungsvorschlag der Bundesregierung schafft insofern Einschränkungen und Erschwernisse für Studierende, die in dieser Weise nicht sachgerecht sind. So würde der Gesetzentwurf jede weitere befristete Beschäftigung von Studierenden über den Vierjahreszeitraum hinaus verhindern, auch wenn Studierende aus anerkannten Gründen ihr Studium verlängert haben (z.B. bei einem Teilzeitstudium aus familiären Gründen) und im Einzelfall ein erhöhtes Interesse an einer weiteren studentischen Beschäftigung besteht.

Ausweislich der Begründung zum Gesetzentwurf erfüllt auch die Festlegung des zulässigen Befristungsrahmens auf sechs Jahre die europarechtlichen Anforderungen an eine zulässige Befristungsregelung. Daher sollte der zulässige Befristungsrahmen für Studierende wie im Referentenentwurf auf sechs Jahre festgelegt werden.

Allerdings bedarf § 6 WissZeitVG-E auch in der Fassung des Gesetzentwurfs noch einer Einschränkung des Kreises der für ein befristetes Arbeitsverhältnis mit studentischen Beschäftigten nach der Regelung in Betracht kommenden Arbeitgeber. Denn der Gesetzentwurf regelt nur, wer auf der Seite des Arbeitnehmers entsprechender befristeter Verträge stehen kann, eine nähere Bestimmung der Arbeitgeberseite sieht der Gesetzentwurf hingegen nicht vor.

Diese Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 6 WissZeitVG-E sollte durch eine Ergänzung in § 1 Absatz 1 WissZeitVG-E) erfolgen (s. Ziffer 2 dieser Stellungnahme zu Artikel 1 Nummer 1 (§ 1 Absatz 1 Satz 1 WissZeitVG)).