Der Bundesrat hat in seiner 860. Sitzung am 10. Juli 2009 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat unterstützt das Ziel, die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes durch Maßnahmen zu stärken, die die Zahlungsmoral, insbesondere im Interesse kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU), verbessern.
- 2. Der Bundesrat begrüßt insbesondere aus mittelstandspolitischer Sicht die Zielsetzung des Richtlinienvorschlags, die Zahlungsmoral im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen, aber auch zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen durch schärfere Sanktionsmöglichkeiten bei Zahlungsverzögerungen und restriktivere Vorgaben hinsichtlich grob nachteiliger Vereinbarungen zu erhöhen. Denn verspätete Zahlungen stellen gerade für die Liquiditätssituation von KMU eine ernsthafte Belastung dar, die sich vor allem in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten schlimmstenfalls sogar bis hin zur Insolvenz an sich leistungsfähiger Unternehmen auswachsen kann.
- 3. Insofern ist auch der in Artikel 4 des Richtlinienvorschlags vorgesehene pauschalierte Ersatz von Beitreibungskosten prinzipiell positiv zu werten, soweit ein pauschalierter Ersatz der Beitreibungskosten in erster Linie der Beweiserleichterung für den Gläubiger dient und sich die zu ersetzende Schadenspauschale an dem üblicherweise eintretenden Schaden orientiert. In diesem Zusammenhang weist der Bundesrat aber darauf hin, dass gerade im Forderungsbereich von bis zu 1 000 Euro ein pauschalierter Schadensersatzanspruch von 40 Euro durchaus dazu führen kann, dass der pauschalierte Anspruch auf Ersatz der Beitreibungskosten die eigentliche Forderung übersteigt. Um zu verhindern, dass der festgesetzte Pauschalbetrag überwiegenden Strafcharakter annimmt, spricht sich der Bundesrat daher dafür aus, den in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a festgesetzten Pauschalbetrag auf 20 Euro herabzusetzen.
- 4. Von Seiten des Bundesrates wird nicht verkannt, dass sich öffentlichrechtliche Körperschaften aller Ebenen beispielgebend verhalten sollten. Ein Sonderprivatrecht für die öffentliche Hand wird jedoch abgelehnt. Für öffentliche Stellen müssen die gleichen Regelungen gelten wie für private Unternehmen. Eine Differenzierung der Verzugsregelungen danach, ob es bestimmten Gruppen von Schuldnern grundsätzlich leichter fällt, ihren vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen als anderen, wäre willkürlich und würde dem Rechtsstaatsgebot widersprechen.
- 5. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, dass die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet werden, für den Fall des Zahlungsverzugs öffentlicher Stellen Sonderregelungen zu schaffen. Insbesondere die in Artikel 5 vorgesehene pauschale Entschädigung ist abzulehnen. Dadurch müssten öffentliche Stellen im Fall von Zahlungsverzug eine Strafzahlung in Höhe von 5 Prozent zahlen, obwohl der den Unternehmen entstehende Schaden bereits durch die Verzugszinsen und die pauschale Entschädigung für Beitreibungskosten von der öffentlichen Stelle erstattet werden müsste. Es besteht kein sachlicher Grund, ausschließlich den Zahlungsverzug öffentlicher Stellen zusätzlich mit Strafzahlungen zu sanktionieren. Auch hat die Kommission den Bedarf einer solchen Sonderregelung noch nicht belastbar empirisch nachgewiesen.
- 6. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, im Verlauf des weiteren Normgebungsverfahrens in geeigneter Weise sicherzustellen, dass in allen Fällen zur Prüfung und Zahlung von Schlussrechnungen für Bauleistungen eine Frist von zwei Monaten zur Verfügung steht.
- 7. Gemäß § 16 Nummer 3 Absatz 1 Satz 1 VOB/B (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen) wird der Anspruch auf die Schlusszahlung alsbald nach Prüfung und Feststellung der vom Auftragnehmer vorgelegten Schlussrechnung, spätestens innerhalb von zwei Monaten nach deren Zugang, fällig.
In der Praxis wird bei Bauvorhaben der öffentlichen Hand die Anwendbarkeit der VOB/B regelmäßig vereinbart. Die zweimonatige Prüfungs- und Zahlungsfrist des § 16 Nummer 3 Absatz 1 Satz 1 VOB/B entspricht den baufachlichen Anforderungen, insbesondere bei größeren Bauvorhaben mit umfangreichen Aufmaß- und Mengenberechnungen.
Gemäß Artikel 5 Absatz 3 der Vorlage stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Höchstdauer eines Abnahme- oder Überprüfungsverfahrens, durch das die Übereinstimmung der Güter und Dienstleistungen mit dem Vertrag festgestellt werden soll, nicht mehr als 30 Tage beträgt, sofern in den Vergabeunterlagen und dem Vertrag nichts anderes bestimmt und hinreichend begründet ist.
Darüber hinaus stellen die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 5 Absatz 4 der Vorlage sicher, dass die vertraglich festgelegte Zahlungsfrist 30 Tage (berechnet ab den in Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe b genannten Bezugspunkten) nicht überschreitet, es sei denn, dies ist zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger ausdrücklich vereinbart und aufgrund besonderer Umstände, beispielsweise der Notwendigkeit, die Zahlung über einen längeren Zeitraum laufen zu lassen, hinreichend begründet.
Die VOB/B wird bei Bauvorhaben der öffentlichen Hand regelmäßig als Allgemeine Geschäftsbedingungen in den Vertrag einbezogen. Eine von den oben dargestellten Regelungen des Artikels 5 Absatz 3 und 4 des Vorschlags abweichende Prüfungs- bzw. Zahlungsfrist kann jedoch ausweislich des Wortlauts dieser Absätze nicht durch Allgemeine Geschäftsbedingungen, sondern nur durch individualvertragliche und im Einzelfall begründete Vertragsbedingungen vereinbart werden. Dies ist im öffentlichen Vergabewesen regelmäßig nicht praktikabel.
Eine Prüfung innerhalb einer 30-Tage-Frist wäre in der Baupraxis nicht leistbar.
Da auch Teile der Privatwirtschaft die VOB/B in ihre Verträge einbezieht, würde die 30-Tage-Frist in Artikel 3 der Vorlage die Zwei-Monats-Prüffrist in § 16 Nummer 3 Absatz 1 Satz 1 VOB/B jedenfalls für Verträge ohne Beteiligung von öffentlichen Stellen gemeinschaftswidrig werden lassen, selbst wenn für die öffentliche Hand eine Ausnahmeregelung durchgesetzt werden könnte. Außerdem werden auch von privaten Bauherren Bauvorhaben verwirklicht, die eine Zwei-Monats-Prüffrist sachlich erforderlich scheinen lassen. Vor diesem Hintergrund ist eine Verkürzung der Zwei-Monats-Prüffrist zur Prüfung und Zahlung von Schlussrechnungen für Bauleistungen in allen Fällen - also für öffentliche und private Bauherren - inakzeptabel.
Sollte Artikel 5 der Vorlage komplett gestrichen werden, würde die allgemeinere Regelung des Artikels 3 der Vorlage auch auf Zahlungen durch öffentliche Stellen Anwendung finden. Seitens der Bundesregierung sollte deshalb nochmals eingehend geprüft und ggf. durch Änderungen bzw. Ergänzungen des Vorschlags sichergestellt werden, dass Artikel 3 der Vorlage den oben dargestellten baufachlichen Anforderungen der öffentlichen Hand entspricht; d. h. die Gewähr des Fortbestands einer Zwei-Monats-Prüffrist müsste dann in Artikel 3 der Vorlage verankert werden.
- 8. Der Bundesrat weist überdies auf die flankierende Bedeutung von rechtlichorganisatorischen Gegebenheiten (z.B. Verfahrensdauer) in den Mitgliedstaaten hin, die eine rasche Titulierung und Vollstreckung offener Forderungen ermöglichen sollten, damit sich die durch die Änderung der Richtlinie intendierte Wirkung einer Eindämmung des Zahlungsverzugs durch Verteuerung desselben voll entfalten kann. Die in Artikel 9 Absatz 1 vorgesehene Verschärfung der Zeitvorgaben an die Mitgliedstaaten für das Erlangen eines vollstreckbaren Titels über eine unbestrittene Forderung ist aus Unternehmersicht daher als Schritt in die richtige Richtung zu begrüßen.
- 9. Weiterhin weist der Bundesrat darauf hin, dass bei der in Artikel 10 des Richtlinienvorschlags vorgesehenen Berichterstattung der Aufbau neuer Bürokratie für Unternehmen, Verbände und die Verwaltung so weit wie möglich vermieden werden muss.