Ein neuer Impuls für die europäische Zusammenarbeit in der beruflichen Aus- und Weiterbildung zur Unterstützung der Strategie Europa 2020 KOM (2010) 296 endg.
Der Bundesrat hat in seiner 873. Sitzung am 9. Juli 2010 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat ist überzeugt, dass die berufliche Aus- und Weiterbildung für die Zukunft der EU und ihrer Mitgliedstaaten eine entscheidende Rolle spielt und wesentliche Voraussetzung für Wachstum und Beschäftigung, Wettbewerbsfähigkeit und Innovation ist. Der Bundesrat stellt daher fest, dass der beruflichen Aus- und Weiterbildung eine große Bedeutung für die Strategie Europa 2020 zukommt. Der Bundesrat weist jedoch darauf hin, dass gerade im Bereich Bildung die unterschiedliche Ausgangslage, die verschiedenen Systeme sowie die Kompetenzverteilung der Mitgliedstaaten beachtet werden müssen.
- 2. Der Bundesrat stellt fest, dass die Zielsetzung der beruflichen Bildung in erster Linie auf die Entwicklung von Handlungskompetenz gerichtet ist. Diese wird verstanden als die Bereitschaft und die Befähigung des Einzelnen, sich in gesellschaftlichen, beruflichen und privaten Situationen sachgerecht, durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten. Handlungskompetenz entfaltet sich in Fach-, Human- und Sozialkompetenz. Es geht u. a. um die Bereitschaft und die Befähigung, eigene Begabungen zu entfalten, Lebenspläne zu fassen, um die Entwicklung von Wertvorstellungen und um selbstbestimmte Bindung an Werte. Daher sollten die Ziele der beruflichen Aus- und Weiterbildung nicht auf arbeitsmarktpolitische Sachzwänge reduziert werden.
- 3. Der Bundesrat betont, dass modulare Angebote - wie in der Mitteilung vorgeschlagen - für benachteiligte Bevölkerungsgruppen eine wichtige Alternative bieten können, um Abschlüsse nachzuholen und dadurch die Integration in den Arbeitsmarkt zu fördern. Im Hinblick auf das in Deutschland bestehende gut funktionierende System der dualen Berufsausbildung ist jedoch festzuhalten, dass die Einführung modularer Angebote die in den Ländern bestehenden Systeme der Berufsausbildung lediglich ergänzen, keinesfalls ersetzen und das weithin akzeptierte Berufsprinzip nicht in Frage stellen darf.
- 4. Der Bundesrat weist darauf hin, dass sich der Bereich der beruflichen Weiterbildung in Deutschland durch eine große Bandbreite von Bildungsangeboten sowie von Anbietern auszeichnet. Um den individuellen Weiterbildungsbedürfnissen sowohl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als auch der Wirtschaft gerecht zu werden, ist es aus Sicht der Länder nicht erforderlich, alle Akteure auf sogenannte "À-lacarte-Weiterbildungskonzepte" zu verpflichten. Ziel muss vielmehr sein, den hohen Bedarf an Weiterbildung zu befriedigen, indem sich die verschiedensten Bildungseinrichtungen dem Bereich der beruflichen Weiterbildung öffnen und sich ihre Angebote ergänzen.
- 5. Der Bundesrat begrüßt, dass die Möglichkeit zur Mobilität fester Bestandteil beruflicher Aus- und Weiterbildung ist. Das Ziel ist, Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass jeder, der einen Auslandsaufenthalt im Rahmen seiner beruflichen Ausbildung machen will, dies auch machen kann. Die Festlegung der Mobilität als regulärer Bestandteil der beruflichen Aus- und Weiterbildung ist hierfür jedoch nicht erforderlich.
- 6. Die EU-Bildungsminister haben die Kommission im Rahmen ihrer Ratstagung im Mai 2009 aufgefordert, bis 2010 auch die Möglichkeit der Ausweitung eines europäischen Durchschnittsbezugswerts (Benchmark) für die Mobilität auf die berufliche Aus- und Weiterbildung zu prüfen. Der Bundesrat hält an diesem Beschluss fest, gibt aber zu bedenken, dass ein europäischer Benchmark für die Mobilität im Rahmen der beruflichen Aus- und Weiterbildung auf Grund der unterschiedlichen Berufsbildungssysteme mit erheblichen Schwierigkeiten hinsichtlich der Definition und einem hohem Verwaltungsaufwand verbunden sein dürfte. Vor diesem Hintergrund erwartet der Bundesrat die für Ende 2010 in Aussicht gestellten Kommissionsvorschläge mit großem Interesse.
- 7. Der Bundesrat betont, dass die nationale Umsetzung des Europäischen Qualifikationsrahmens und insbesondere die Zuordnung von Abschlüssen zu bestimmten Niveaustufen eine von den einzelnen Mitgliedstaaten zu treffende Entscheidung ist. Eine Präjudizierung durch die Kommission, die sich in der Mitteilung ausdrücklich dafür ausspricht, sowohl Abschlüsse der beruflichen Aus- und Weiterbildung sowie der Hochschulbildung der höchsten Ebene der nationalen Qualifikationsrahmen zuzuordnen, ist deshalb abzulehnen.
- 8. Der Entwicklung eines Kompetenzrahmens für Lehrkräfte und Ausbilder in der beruflichen Erstausbildung und Weiterbildung begegnet der Bundesrat auf Grund der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zurückhaltend. Der Bundesrat erinnert in diesem Zusammenhang stattdessen an die deutschen Standards für die Lehrerbildung (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16. Dezember 2004), die als bewährtes Verfahren von den Ländern in der Bundesrepublik Deutschland in einen vertieften Informations- und Meinungsaustausch der Mitgliedstaaten im Bereich der Qualität der Lehrerbildung eingebracht werden könnten (vgl. BR-Drucksache 591/07(B) ).
- 9. Der Bundesrat hält eine fortlaufende Überwachung der Beschäftigungsraten von Berufsbildungsabsolventen aus organisatorischen, datenschutzrechtlichen und verwaltungstechnischen Gründen für kaum praktikabel.
- 10. Der Bundesrat bedauert, dass die Kommission die Festlegung von regelmäßig von den Akteuren zu überprüfenden Zielen in Erwägung zieht, ohne nähere Angaben zu deren Ausgestaltung, Bezugsebene oder Verbindlichkeit zu machen.