COM (2018) 379 final; Ratsdok. 9622/18
Der Bundesrat hat in seiner 970. Sitzung am 21. September 2018 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die von der Kommission angestrebte Überarbeitung der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007, um die Übermittlung und Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen zwischen den Mitgliedstaaten weiter zu verbessern und zu beschleunigen.
- 2. Er begrüßt ferner, dass die Übermittlung von Dokumenten zwischen den Übermittlungs- und Empfangsstellen, zwischen diesen Stellen und den Zentralstellen oder zwischen den Zentralstellen der verschiedenen Mitgliedstaaten in Zukunft grundsätzlich nur noch elektronisch über ein dezentrales IT-System erfolgen soll.
- 3. Der Bundesrat weist allerdings darauf hin, dass die Frist für die technische Umsetzung von 24 Monaten nach Inkrafttreten der Verordnung deutlich zu kurz bemessen ist. Die Schaffung einer Schnittstelle zu dem dezentralen IT-System und die Herstellung der Interoperabilität mit der Kommunikationsinfrastruktur erfordern erfahrungsgemäß einen erheblichen Vorbereitungs- und Umsetzungsaufwand und daher einen zeitlichen Vorlauf von mehreren Jahren. Auch im Hinblick auf die Kostentragungspflicht der Mitgliedstaaten ist eine Umsetzung innerhalb von zwei Jahren nicht möglich, da in diesem kurzen Zeitraum die notwendigen Haushaltsmittel nicht sicher bereitgestellt werden können.
- 4. Der Bundesrat hält es deshalb für erforderlich, die Umsetzungsfrist deutlich zu verlängern oder den Mitgliedstaaten mehr Spielraum bei der Umstellung auf die elektronische Übermittlung einzuräumen.
Zu bedenken gilt es hierbei auch, dass nach dem vorliegenden Verordnungsvorschlag ein Mitgliedstaat, der seiner technischen Umsetzungspflicht - aus welchen Gründen auch immer - nicht fristgerecht nachkommt, nach Ablauf der Umsetzungsfrist rechtlich gesehen keine Zustellungsersuchen mehr übermitteln oder empfangen könnte. Die Ausnahme nach Artikel 3a Absatz 4 des Verordnungsvorschlags würde insoweit nicht greifen, da die fehlende Umsetzung keine unvorhergesehene außergewöhnliche Störung des dezentralen IT-Systems darstellt.
- 5. Der Bundesrat hält es für geboten, auch für die Zeit nach erfolgter technischer Umsetzung außer einer Störung des dezentralen IT-Systems weitere Ausnahmefälle zuzulassen, in welchen eine Übermittlung auf dem schnellstmöglichen anderen Weg erfolgen kann. Zum einen sind Fälle denkbar, in welchen es nach dem Recht eines Mitgliedstaats zwingend erforderlich ist, dass der Empfänger das Zustellungsobjekt in einer bestimmten Form in Papier und nicht lediglich als elektronisches Dokument oder als dessen Ausdruck erhält. Zum anderen können die Potentiale der elektronischen Übermittlung nur ausgeschöpft werden, wenn eine durchgängige elektronische Übermittlung vom ersuchenden Gericht bis hin zum Empfänger erfolgt. Das setzt eine Erledigung der elektronisch übermittelten Ersuchen mittels elektronischer Zustellung an den Empfänger durch die Empfangsstelle nach deren nationalem Recht voraus. In vielen Mitgliedstaaten dürfte dies aber noch nicht möglich sein. So verfügen zum Beispiel in Deutschland die allerwenigsten Personen über einen (der Empfangsstelle bekannten) sicheren Übermittlungsweg, wie ihn die deutsche Zivilprozessordnung für elektronische Zustellungen vorschreibt. Die Folge wären massenhafte Medienbrüche bei den Empfangsstellen, um die ausgedruckten Schriftstücke dem Empfänger auf herkömmlichem Weg zuzustellen. Dies würde zu einem erheblichen Mehraufwand bei den Empfangsstellen und im Ergebnis eher zu einer Verzögerung bei der Erledigung der Ersuchen als zu einer Beschleunigung führen.
- 6. Der Bundesrat schlägt vor, im Rahmen der späteren Evaluierung den weiteren Umsetzungsstand des elektronischen Rechtsverkehrs in den einzelnen Mitgliedstaaten zu ermitteln und die unter Ziffer 5 des Verordnungsvorschlags vorgeschlagene erweiterte Ausnahmeregelung gegebenenfalls nachträglich zu verschärfen oder aufzuheben.
- 7. Er ist der Auffassung, dass der vorgeschlagene Artikel 4 Absatz 3 Satz 2 des Verordnungsvorschlags nicht nur den Fall regeln müsste, dass auf Papier vorliegende Schriftstücke zum Zwecke der Übermittlung über das dezentrale IT-System in eine elektronische Form umgewandelt wurden und bei der Empfangsstelle ein Ausdruck der elektronischen Kopie erfolgt. Vielmehr sollte die Vorschrift auch auf den Fall erstreckt werden, dass ein originär elektronisches Dokument durch die Empfangsstelle zum Zweck der Zustellung ausgedruckt wird. Als Beispiele wären nach deutschem Recht etwa eine mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehene Klageschrift nach § 130a der Zivilprozessordnung (ZPO) oder ein elektronisches gerichtliches Dokument nach § 130b ZPO zu nennen, die vom ersuchenden Gericht in dieser Form als Zustellungsobjekt (§ 169 Absatz 5 Nummer 1 ZPO) zur Verfügung gestellt und von der Übermittlungsstelle an die Empfangsstelle übermittelt wurden. Ebenso sollten Schriftstücke erfasst werden, die im Übermittlungsstaat nicht eigens zum Zweck der Übermittlung über das dezentrale IT-System, sondern bereits vorher zum Zweck der Führung einer elektronischen Verfahrensakte (wie zum Beispiel nach deutschem Recht gemäß § 298a Absatz 2 ZPO) in die elektronische Form umgewandelt wurden.
- 8. Der Bundesrat ist ferner der Auffassung, dass eine bloße elektronische Kopie eines in Papierform vorliegenden Originalschriftstücks nicht ohne Weiteres dem Original gleichgestellt werden kann, wie in dem vorgeschlagenen Artikel 4 Absatz 3 Satz 2 des Verordnungsvorschlags vorgesehen. Vielmehr sollten auch eingescannte Schriftstücke mit einer qualifizierten elektronischen Signatur oder einem qualifizierten elektronischen Siegel nach der eIDAS-Verordnung versehen werden (müssen), um diese Wirkung zu entfalten.
- 9. Der Bundesrat erachtet es als nicht ausreichend, einen bloßen Ausdruck eines elektronischen Dokuments dem Original gleichzustellen, wie in Artikel 4 Absatz 3 Satz 2 des Verordnungsvorschlags vorgesehen. Der Empfänger kann anhand eines einfachen Ausdrucks die Echtheit des Dokuments nicht nachvollziehen. Insbesondere gehen etwaige qualifizierte elektronische Signaturen oder Siegel durch den Ausdruck verloren. Der Ausdruck sollte deshalb zusätzlich einen Transfervermerk enthalten, der das Ergebnis der Integrationsprüfung des Dokuments und der Signaturprüfung (Inhaber und Zeitpunkt der Anbringung der Signatur) ausweist.
- 10. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die technische Umsetzung der in Artikel 6 Absatz 4 Satz 2 des Verordnungsvorschlags vorgesehenen automatisierten Empfangsbestätigung der örtlich zuständigen Empfangsstelle an die Übermittlungsstelle Schwierigkeiten bereiten bzw. einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern könnte.
- 11. Der Bundesrat begrüßt Artikel 7a des Verordnungsvorschlags. Er ist allerdings der Auffassung, dass Absatz 1 sprachlich insoweit zu eng gefasst ist, als dieser nur vom "Beklagten" spricht. Die Regelung könnte auch auf andere Beteiligte Anwendung finden, wie beispielsweise im deutschen Recht auf den "Antragsgegner" nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) oder auf den "Dritten" bei der Zustellung eines Streitverkündungsschriftsatzes gemäß § 73 Satz 2 ZPO.
- 12. Der Bundesrat begrüßt außerdem, dass die Kommission das Annahmeverweigerungsrecht nach Artikel 8 des Verordnungsvorschlags überarbeiten möchte. Der Bundesrat weist jedoch darauf hin, dass durch die vorgeschlagene Fassung wichtige, für die Praxis sehr relevante Fragen weiterhin ungeklärt blieben. So soll eine Belehrung über das Annahmeverweigerungsrecht offenbar auch dann erforderlich sein, wenn ein Annahmeverweigerungsrecht offenkundig nicht besteht. Dies führt in der Praxis regelmäßig zu Verwirrung. Zudem ist nicht klar, ob innerhalb der Frist von zwei Wochen die Annahmeverweigerung lediglich abgesandt oder bei der zuständigen Stelle eingehen muss. Der Bundesrat regt insofern an, Artikel 8 des Verordnungsvorschlags um eine klare Regelung zu ergänzen, die in der Praxis eine möglichst einfache Prüfung der Fristeinhaltung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht ermöglicht.
- 13. Der Bundesrat begrüßt die von der Kommission im Rahmen des Artikels 14 des Verordnungsvorschlags geplante Einführung eines einheitlichen Rückscheins in Form einer besonderen Empfangsbestätigung.
Er ist der Auffassung, dass Artikel 14 des Verordnungsvorschlags um eine Regelung ergänzt werden sollte, welche die praktisch sehr bedeutsame Frage klärt, ob eine wirksame Zustellung vorliegt, wenn der Empfänger oder ein Ersatzempfänger nicht angetroffen wird, der Postzusteller eine Hinterlegungsnachricht hinterlässt und der Empfänger das Schriftstück nicht fristgerecht bei der darin bezeichneten Stelle (Postfiliale) abholt.
- 14. Der Bundesrat regt an, in Artikel 15 des Verordnungsvorschlags klarzustellen, in welcher Form die Ersuchen um unmittelbare Zustellung einzureichen sind, insbesondere ob hierfür das Formblatt nach Anhang I des Verordnungsvorschlags zu verwenden ist.
Er ist der Auffassung, dass die geplante Erweiterung des Anwendungsbereichs des Artikels 15 durch den Verordnungsvorschlag auch auf Gerichte und Übermittlungsstellen noch einmal überdacht werden sollte. Die Erweiterung brächte nach Einschätzung des Bundesrates keine Vorteile gegenüber dem bewährten Weg über die Empfangsstellen. Die damit möglicherweise einhergehende erhebliche Verlagerung eingehender Ersuchen von den Empfangsstellen auf die in Artikel 15 des Verordnungsvorschlags bezeichneten Personen mag auch nicht von allen Mitgliedstaaten gewünscht sein.
Ein Mitgliedstaat kann, sofern er dies wünscht, bereits heute die für die Zustellung zuständigen Amtspersonen im Sinne von Artikel 15 des Verordnungsvorschlags als Empfangsstellen gemäß Artikel 2 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 benennen. Die generelle Öffnung der unmittelbaren Zustellung für Gerichte und Übermittlungsstellen birgt ferner die Gefahr, dass die verpflichtende elektronische Übermittlung, die nach Artikel 3a Absatz 1 des Verordnungsvorschlags nur zwischen Übermittlungs- und Empfangsstellen gilt, durch ein (massenweises) Ausweichen auf Artikel 15 des Verordnungsvorschlags umgangen wird.
- 15. Der Bundesrat begrüßt, dass nach Artikel 15a des Verordnungsvorschlags künftig auch eine unmittelbare elektronische Zustellung an den Empfänger möglich sein soll. Er ist jedoch der Auffassung, dass allein die Zustimmung des Empfängers es nicht rechtfertigt, die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke über technisch unsichere Wege, wie beispielsweise unverschlüsselte E-Mail, vorzunehmen. Insbesondere haben auch die weiteren Verfahrensbeteiligten ein berechtigtes Interesse daran, dass Dokumente aus dem Gerichtsverfahren nur über sichere Kanäle elektronisch übermittelt werden. Der Bundesrat regt deshalb an, die in Artikel 15a Buchstabe a und b des Verordnungsvorschlags genannten Voraussetzungen kumulativ festzulegen.
- 16. Er begrüßt die vorgeschlagenen Änderungen des Artikels
- 19. Hinsichtlich der Benachrichtigung an den Empfänger nach Absatz 3 ist allerdings nicht klar, ob diese gleichzeitig mit der Entscheidung nach Absatz 2 erfolgen kann oder ob die zumutbaren Schritte (gegebenenfalls mit einer angemessenen Frist) zunächst zu unternehmen sind, bevor das Gericht den Rechtsstreit entscheiden kann. Der Bundesrat sieht es ferner sehr kritisch, dass die Benachrichtigung nach Absatz 3 offenbar auf jedem denkbaren Kommunikationskanal erfolgen muss, für welchen dem Gericht ein Konto bekannt ist, also etwa auch per gewöhnlicher (unverschlüsselter) E-Mail oder sogar über sogenannte Instant-Messaging-Dienste. Dies sind jedoch generell keine für gerichtliche Mitteilungen geeignete Medien.
- 17. Der Bundesrat hält das nach Artikel 23a des Verordnungsvorschlags vorgesehene Programm und die nach Artikel 24 des Verordnungsvorschlags vorgesehene Evaluierung für sinnvolle Instrumente. Er ist allerdings der Auffassung, dass die Mitgliedstaaten hierbei stärker eingebunden werden sollten. Jedenfalls sollte sichergestellt sein, dass den Mitgliedstaaten hierdurch kein unverhältnismäßiger Aufwand entsteht und die Kommission den Mitgliedstaaten rechtzeitig vor Beginn des Erhebungszeitraums mitteilt, welche Daten und Informationen sie benötigt. Eine nachträgliche Erhebung ist erfahrungsgemäß nicht oder nur mit großem Aufwand möglich.
- 18. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.