925. Sitzung des Bundesrates am 19. September 2014
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Ausschuss für Städtebau, Wohnungswesen und Raumordnung empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Mitteilung der Kommission, auf der Basis des Reflexionsprozesses "Städte von morgen" die Konsultation über eine neue Städteagenda einzuleiten und damit den Diskurs über eine nachhaltige Stadtentwicklung in Europa weiterzuführen.
- 2. Der Bundesrat ist der Überzeugung, dass eine neue EU-Städteagenda insbesondere die "Leipzig-Charta" aus dem Jahr 2007 aufgreifen, weiterentwickeln, vertiefen und kommunizieren muss. Die "Leipzig-Charta" hat zum einen verdeutlicht, dass das Instrument der integrierten Stadtentwicklung dazu beitragen kann, sektorales Denken und Handeln zu überwinden, breite Beteiligung zu organisieren und Interessenausgleich im städtischen Raum zu erreichen. Sie betont zum anderen, dass den benachteiligten Stadtteilen und Bevölkerungsgruppen im gesamtstädtischen Kontext besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist. Die Ziele der "Leipzig-Charta" sind in vielen die Stadtentwicklung beeinflussenden Politikbereichen und sektoralen Handlungsfeldern noch nicht präsent und werden vielerorts noch nicht ausreichend in die Praxis umgesetzt.
- 3. Der Bundesrat fordert, dass eine EU-Städteagenda künftig dazu beitragen muss, dass die städtische Dimension im Sinne einer integrierten Stadtentwicklung bei der Fortschreibung der Strategie Europa 2020 und in Grundlagendokumenten der unterschiedlichen EU-Politikfelder (zum Beispiel Energie/Smart-CitiesInitiative, Digitalisierung, Infrastruktur und Mobilität, Armutsbekämpfung, Zuwanderungspolitik) eine zentrale Rolle spielt. Festgestellt wurde, dass beispielsweise die Strategie Europa 2020 keine Aussagen zur Rolle, Bedeutung und nachhaltigen Entwicklung der europäischen Städte enthält.
- 4. Der Bundesrat fordert Kommission und Rat auf, für mehr Abstimmung und Kohärenz zwischen den Initiativen der verschiedenen EU-Politikfelder, die Auswirkungen auf die Städte haben, zu sorgen. Wie bereits mehrfach vom Europäischen Parlament und Ausschuss der Regionen eingefordert, könnte eine EU-Städteagenda die Verankerung einer Politikfolgenabschätzung im Sinne einer Prüfung der Raumverträglichkeit für alle stadtrelevanten Politikfelder vorsehen.
- 5. Der Bundesrat erwartet gleichzeitig von der Kommission, dass für die städtische Dimension in der Strukturfondsförderung keine unnötigen Hürden aufgebaut werden, die es den Städten erschweren oder faktisch unmöglich machen, Fördermittel der EU für Maßnahmen innerhalb integrierter Stadtentwicklungskonzepte in Anspruch zu nehmen.
So ist es zwar in den Strukturfondsverordnungen (pro forma) gelungen, die städtische Dimension aufzuwerten und eine nationale Fünf-Prozent-Mindestquote für Stadtentwicklungsmaßnahmen einzufordern. Durch die enge Definition von Zielen und Investitionsprioritäten in den Strukturfondsverordnungen (die eine integrierte Stadtentwicklung eher behindern), durch überzogene Beteiligungs-, Verwaltungs- und Kontrollansprüche der Kommission (jede geförderte Stadt als zwischengeschaltete Stelle) und die Erschwerung einer "Mischachse" für Stadtentwicklung in den operationellen Programmen der Länder werden die Ziele nachhaltiger und integrierter Stadtentwicklung, wie sie in vielen EU-Dokumenten beschrieben werden, in der Umsetzungspraxis ad absurdum geführt. Kommunale Beteiligung wird so nicht befördert. Ärmere Städte und Stadtregionen mit finanziell bedingt geringerem Personalbestand werden benachteiligt.
- 6. Der Bundesrat schlägt vor, statt der Einrichtung eines weiteren Netzwerks zum Erfahrungsaustausch, wie von der Kommission nach Artikel 9 der EFREVerordnung beabsichtigt (Einsetzung eines Stadtentwicklungsnetzes), die Konsolidierung und Kooperation der vorhandenen Netzwerke und ihre Arbeitsgrundlagen zu unterstützen. Die Möglichkeiten des Erfahrungsaustausches sind regional, national und europaweit bereits sehr ausgeprägt. Es gibt EU-weit zahlreiche Netzwerke, zum Beispiel URBACT, deutschösterreichisches URBAN-Netzwerk, European Knowledge Network (EUKN), Eurocities, RGRE (Rat der Gemeinden und Regionen Europas), Covenant of Mayors (Bürgermeisterkonvent), Städteverbund im Kontext des Referenzrahmens für nachhaltige Stadtentwicklung. Die Wissensbasis kann zum Beispiel durch eine Verbesserung und Aktualisierung der Daten im Rahmen des Urban Audit erweitert werden.
- 7. Der Bundesrat gibt zu bedenken, dass eine EU-Städteagenda zu Beginn der neuen Strukturfondsperiode sehr früh kommt, da sie Erfahrungen mit dem (gegebenenfalls fondsübergreifenden) Einsatz der Strukturfonds-Fördermittel in der neuen Förderperiode 2014 bis 2020 und deren Auswirkungen auf Maßnahmen der Stadtentwicklung noch nicht berücksichtigen kann.
- 8. Für die erfolgreiche Anpassung der Städte an die Herausforderungen der Zukunft muss auch die regionale Ebene in den Entwicklungsprozess einer EU-Städteagenda intensiv einbezogen werden. Hierbei sind die Stadt-UmlandBeziehungen von zentraler Bedeutung. Dies betrifft sowohl Metropolregionen mit ihren umfangreichen funktionalen Verflechtungen als Ganzes als auch die funktionalen Verflechtungen um die zentralen Orte in den Regionen. Der Ausbau dieser Verflechtungen ist Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung der Stadtregionen und der Städte.
- 9. Der Bundesrat fordert daher, urbane Entwicklungs- und Ordnungsbedarfe nicht nur auf den Begriff "Stadt" zu reduzieren und den Urbanitätsbegriff nicht nur auf "Städte" anzuwenden, sondern auf funktionale Räume (zum Beispiel Metropolregionen oder Stadt-Umland-Verflechtungen) auszuweiten, die sowohl durch städtisch verdichtete Strukturen als auch durch funktionale Wechselwirkungen mit umgebenden ländlichen Strukturen geprägt sind.
- 10. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
B
- 11. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik, der Ausschuss für Innere Angelegenheiten, der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und der Wirtschaftsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.