Der Bundesrat hat in seiner 815. Sitzung am 14. Oktober 2005 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat weist darauf hin, dass Artikel 149 Abs. 1 EGV die Verantwortung für den Bereich der allgemeinen Bildung einschließlich der Hochschulbildung den Mitgliedstaaten zuweist. Vor diesem Hintergrund hat sich der Bundesrat bereits in seiner Stellungnahme zur Mitteilung der Kommission "Die Rolle der Universitäten im Europa des Wissens" (BR-Drucksache 115/03 (Beschluss)) kritisch mit den Vorschlägen der Kommission zur Rolle der Hochschulen in Europa auseinandergesetzt. Der Bundesrat stellt klar, dass aus den Zielen von Lissabon keine verbindlichen Vorgaben für den Hochschulbereich abgeleitet werden können, die von den Mitgliedstaaten umzusetzen sind.
Insbesondere hat die EU keinerlei Zuständigkeiten hinsichtlich der Finanzierung der Hochschulen in den Mitgliedstaaten, und es stehen ihr keine Festlegungen über Prioritäten der nationalen Haushalte und der Haushalte der Länder und Kommunen zu.
- 2. Auch zu Forderungen der Kommission, die das Verhältnis von Staat und Hochschulen oder Fragen der Regelungsdichte auf der nationalen Ebene bzw. auf der Ebene der in Deutschland zuständigen Länder berühren, wird abermals auf Artikel 149/150 EGV verwiesen.
Es wird allerdings festgestellt, dass sowohl die politische Diskussion wie die Handlungsansätze in Deutschland - ohne durch die hierzu gemachten Vorschläge der Kommission veranlasst zu sein - inhaltlich in einzelnen Fragen durchaus in dieselbe Richtung gehen wie diese, z.B. bezogen auf die strategische Steuerung des Hochschulbereichs durch Kontraktmanagement, verbunden mit entsprechender Rechenschaftspflicht der Hochschulen.
- 3. Der Bundesrat erinnert daran, dass Kommissar Jän Figel" in seiner Rede im Europäischen Hochschulinstitut in Florenz am 9. Juni 2005 selbst darauf hingewiesen hat, dass die Zuständigkeit für das Ausbildungssystem einzig und allein bei den Mitgliedstaaten liegt. Er geht deshalb davon aus, dass sich die Kommission zu inhaltlichen Bereichen nur insoweit äußert, als sie sich auf der Basis von Artikel 149 EGV darauf beruft, zur Entwicklung einer qualitativ hochstehenden Bildung beitragen zu sollen: Dies kann nur in der Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten geschehen, bei der die Tätigkeit der Mitgliedstaaten erforderlichenfalls unterstützt und ergänzt wird.
- 4. Der Bundesrat hat Bedenken gegen die in letzter Zeit häufiger zu beobachtende Vorgehensweise der Kommission, ihre Handlungslegitimation mit in Konsultationen geäußerten Wünschen von Interessentengruppen nach einem verstärkten - auch finanziellen - Engagement der EU zu begründen. Handlungsgrundlage der Kommission können immer nur die im EGV festgelegten Kompetenzen sein.
- 5. Die Kommission hat in ihrer Mitteilung aus deutscher Sicht Aspekte des Hochschulbereichs angesprochen, die der Sache nach im Wesentlichen zutreffend sind, die aber entweder im Rahmen des Bologna-Prozesses behandelt werden oder/und auf der nationalen Ebene bzw. der Ebene der deutschen Länder umgesetzt oder geplant sind. Der Bundesrat nimmt die Meinung der Kommission hierzu zur Kenntnis, erkennt aber eine Kompetenz der EU in diesem Bereich ausdrücklich nicht an.
- 6. Vor dem Hintergrund eines stärker auf Hochschulautonomie und Eigenverantwortung gerichteten Verhältnisses zwischen Staat und Hochschule sieht die Kommission die Hochschulen als Träger der Qualitätssicherung in ihrem Bereich. Sie regt u. a. eine stärkere Professionalisierung des Managements und eine Imageentwicklung der Hochschulen an. Diese und weitere Forderungen der Kommission sind der Sache nach aus deutscher Sicht zutreffend und werden bereits weit gehend umgesetzt.
- 7. Als zwei der wichtigsten Ziele für 2006 sieht die Kommission die Verabschiedung des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) und die Umsetzung der Empfehlungen zur Qualitätssicherung im Hochschulbereich an. Bei der Qualitätssicherung im Hochschulbereich arbeiten die Mitgliedsländer des Bologna-Prozesses daran, die akademische Ausbildung weiter zu verbessern und die Mobilität der Studierenden zu erhöhen. Ziel ist es, bis 2010 eine Europäische Hochschulregion zu schaffen, parallel zum Europäischen Forschungsraum. Im Mittelpunkt stehen insbesondere die Flexibilisierung im Studium durch eine zweistufige Studienstruktur und die Qualitätssicherung durch "Standards und Guidelines" auf der nationalen Ebene. Insofern enthält die vorliegende Mitteilung Forderungen, die für den Hochschulbereich im Rahmen des Bologna-Prozesses im Wesentlichen bereits beschlossen sind und umgesetzt werden. Soweit der EQR betroffen ist, hat die Kommission eine gesonderte Konsultations-Arbeitsunterlage vorgelegt, zu der entsprechend Stellung genommen werden wird.
- 8. Der Bundesrat sieht angesichts der Entwicklungen im Bologna-Prozess bezüglich der Aktivitäten zur Qualitätssicherung keine Notwendigkeit für ergänzende Empfehlungen der Gemeinschaft.
- 9. Der Bundesrat verkennt nicht die besondere Bedeutung einer ausreichenden Finanzausstattung der Hochschulen. Allerdings ist auch hier verstärkt auf eine outputorientierte Betrachtung Wert zu legen: Entscheidend ist, durch gesteigerte Effizienz eine hohe Qualität in der Lehre sowie bei der Forschung und deren Verwertung zu erzielen, und nicht der finanzielle Aufwand. Der Bundesrat weist darauf hin, dass angesichts des verhältnismäßig hohen Anteils an öffentlichen Mitteln an den Ausgaben für Bildung und Forschung in Deutschland Anstrengungen zur Steigerung der Ausgaben in diesem Bereich vorrangig durch eine Erhöhung des Anteils privater Mittel zu finanzieren sind.
- 10. Neben der Erhebung von Studiengebühren, die zur Zeit in einigen Ländern eingeführt werden sollen, sind auch die von der Kommission vorgeschlagenen Partnerschaften zwischen Unternehmen und Universitäten mit dem Ziel einer stärkeren Industriefinanzierung von Hochschulen hierzu ein geeigneter Weg.
- 11. Allerdings stehen die von der Kommission geforderten steuerlichen Förderungen von Partnerschaften zwischen Unternehmen und Universitäten nicht im Einklang mit den Bestrebungen der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten, das Steuerrecht zu vereinfachen, für einen fairen Wettbewerb zu sorgen und in diesem Zusammenhang steuerliche Subventionen zurückzuführen. Vor diesem Hintergrund sollten gemeinsame Projekte zwischen Hochschulen und Unternehmen durch den Staat vorzugsweise nicht durch steuerliche Regelungen, sondern auf andere Weise ermöglicht werden.
- 12. Der Bundesrat lehnt die von der Kommission erwogene Schaffung eines neuen Förderprogramms ab. Nach Artikel 149 Abs. 1 EGV kann die Gemeinschaft die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich der Bildung fördern. Die Kommission weist in ihrer Mitteilung selbst auf die Fördermöglichkeiten für das Hochschulwesen zu diesem Zweck im Rahmen bestehender Programme hin. Es bestehen daher grundsätzliche Bedenken gegenüber der Schaffung eines weiteren, relativ kleinen Förderprogramms, dessen Ziele und Inhalte sich mit bestehenden und bewährten Programmen überschneiden oder nicht vom Vertrag gedeckt sind.
- 13. Die Ankündigung der Kommission, einen Aktionsplan für universitäre Forschung zu erarbeiten, nimmt der Bundesrat mit Interesse zur Kenntnis.
- 14. Der Einrichtung eines Europäischen Technologie-Instituts steht der Bundesrat kritisch gegenüber. Eine abschließende Bewertung wird erst vor dem Hintergrund des angelaufenen Konsultationsverfahrens der Kommission möglich sein. Der Bundesrat behält sich hierzu eine gesonderte Stellungnahme vor.