Unterrichtung durch die Europäische Kommission
Stellungnahme der Europäischen Kommission zu der Entschließung des Bundesrates anlässlich des öffentlichen Konsultationsverfahrens der Europäischen Kommission über die Modalitäten eines Investitionsschutzabkommens mit InvestorStaat-Schiedsgerichtsverfahren im Rahmen der Verhandlungen über eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der EU und den USA

Brüssel, den 20.3.2015
C(2015) 1665 final

Herrn Volker BOUFFIER
Präsident des Bundesrates
Leipziger Straße 3-4
D -10117 Berlin

Sehr geehrter Herr Präsident,
die Kommission dankt dem Bundesrat für seine Stellungnahme zum öffentlichen Konsultationsverfahren über die Modalitäten eines Investitionsschutzabkommens mit Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren im Rahmen der Verhandlungen über eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen der EU und den USA.

Mit dieser öffentlichen Konsultation hat die Kommission nicht nur allen Beteiligten, sondern auch allen interessierten Bürgern größtmögliche Transparenz geboten und denen, die sich zu dem von der EU vorgeschlagenen Ansatz für den Investitionsschutz im Rahmen der TTIP-Verhandlungen zwischen der EU und den USA äußern wollten, hinreichend Gelegenheit dazu gegeben. Die Online-Konsultation wurde am 27. April 2014 eingeleitet und am 13. Juli 2014 abgeschlossen. Insgesamt sind etwa 150 000 Beiträge eingegangen. Der Bericht zur Online-Konsultation und den eingegangenen Beiträgen wurde am 13. Januar 2015 veröffentlicht; er kann auf der Website der Europäischen Kommission' eingesehen werden. Inzwischen hat die Kommission damit begonnen, die Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament und sämtliche Interessenträger in der EU zu den Ergebnissen zu konsultieren.

Die Kommission begrüßt, dass der Bundesrat die Initiative der Kommission, eine öffentliche Konsultation durchzuführen, unterstützt. In den laufenden Verhandlungen über das TTIP ist und bleibt die Transparenz eine stabile Komponente.

Die Kommission kann dem Bundesrat auch versichern, dass ihr stetiges Ziel darin besteht, den Schutz der Rechte ausländischer Investoren und das Regulierungsrecht beider Vertragsparteien auf allen Ebenen in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Dies geht auch aus dem vorgeschlagenen Ansatz für den Investitionsschutz im Rahmen des TTIP hervor, der im Rahmen der öffentlichen Konsultation unter Bezugnahme auf die bereitgestellten Textbeispiele und Erläuterungen dargestellt ist. Der vorgeschlagene Ansatz gewährleistet bereits zu einem großen Teil das Recht der Regierungen und der gesetzgebenden Körperschaften auf Regulierung im öffentlichen Interesse - und sicherlich mehr als in jedem bestehenden Investitionsabkommen, die bilateralen Investitionsabkommen zwischen den EU-Mitgliedstaaten (Intra-EU-BIT) und mit Drittstaaten eingeschlossen, wie der Bundesrat zu Recht angemerkt hat.

Die Kommission hat zur Kenntnis genommen, dass der Bundesrat einige Investitionsschutzvorschriften für verzichtbar oder mit hohen Risiken verbunden hält. Die Kommission nimmt diese Einwände ebenso ernst wie die Bedenken der europäischen Investoren, die mit Drittländern Handel treiben.

Der Bundesrat hat die Kommission gebeten, die Notwendigkeit einer Vereinbarung von Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS) im Rahmen eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und den USA vor dem Hintergrund bestehender rechtsstaatlicher Rechtschutzmöglichkeiten zu begründen. Die vom Rat einstimmig angenommenen Verhandlungsrichtlinien sehen vor, dass das TTIP Bestimmungen über den Investitionsschutz und ISDS enthalten sollte, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Zwar ist die Kommission der Auffassung, dass der Rückgriff der Investoren auf die innerstaatlichen Rechtsbehelfe der erste und normale Schritt sein sollte, wenn sie von staatlichen Maßnahmen betroffen sind; jedoch sind die einzelstaatlichen Gerichte zur Anwendung ihres innerstaatlichen Rechts verpflichtet, da internationale Übereinkommen nicht zwingend unmittelbar durchsetzbar sind. Das ISDS ist ein Verfahren zur Durchsetzung bestimmter in internationalen Vereinbarungen vorgesehener Verpflichtungen. Die Frage, wie ein derartiges Verfahren mit den bestehenden innerstaatlichen Rechtsbehelfen im Kontext des TTIP interagieren sollte, war Gegenstand der öffentlichen Konsultation der Kommission, und wurde als einer der Bereiche genannt, in dem weitere Fortschritte erzielt werden müssen. Es sei daran erinnert, dass auch der vorgeschlagene EU-Ansatz für den Investitionsschutz und das ISDS im Lichte der Erfahrungen mit den Schiedsverfahren, die in den zahlreichen verschiedenen Abkommen vorgesehen sind und manches Mal umstritten waren, entwickelt wurde. Durch Ausübung einer ihr durch den Vertrag von Lissabon übertragenen Zuständigkeit hat die EU Gelegenheit, eine überarbeitete EU-weite Regelung festzulegen, die die bestehenden bilateralen Investitionsabkommen der EU-Mitgliedstaaten ersetzen und auslaufen lassen wird.

Der Bundesrat hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die bestehenden ISDS-Vorschriften, wie die in den 131 deutschen bilateralen Investitionsabkommen enthaltenen Vorschriften, keine Transparenz der ISDS-Verfahren vorsehen. Die Kommission stimmt mit dem Bundesrat völlig darin überein, dass die ISDS-Verhandlungen, in denen es häufig um Belange von öffentlichem Interesse geht, nicht hinter verschlossenen Türen geführt werden dürfen. Aus diesem Grund hat sich die Kommission in den vergangenen Jahren für neue UNCITRAL - Transparenzregeln für die Investor-Staat-Streitbeilegung eingesetzt und bei der Aushandlung und Annahme der neuen Regeln eine führende Rolle gespielt. Außerdem war die Kommission im Namen der EU an der Aushandlung eines Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Anwendung der UNCITRAL -Transparenzregeln auf die bereits bestehenden Investitionsabkommen beteiligt. Dieses Übereinkommen wird ab März 2015 zur Unterzeichnung vorliegen; alle Mitgliedstaaten der EU können diesem Übereinkommen mit Blick auf die Anwendung der UNCITRAL-Transparenzregeln auf ihre Investitionsabkommen beitreten. Die Kommission hofft daher, dass der Bundesrat sie unterstützen und das Übereinkommen in Deutschland fördern wird.

Was die von der EU ausgehandelten Investitionsabkommen angeht, so drängt die Kommission seit der Veröffentlichung ihrer Mitteilung über die Investitionspolitik der EU vom 7, Juli 2010 2 nachdrücklich auf die uneingeschränkte Transparenz von ISDS-Verfahren. Bei allen bislang eingeleiteten Investitionsabkommensverhandlungen der EU hat die Kommission den Standpunkt vertreten, dass die Aufnahme der UNCITRAL-Transparenzregeln den Mindeststandard darstellt. In ihren Verhandlungen mit Kanada und Singapur konnte die Kommission ein Verhandlungsergebnis erzielen, das in mehrfacher Hinsicht über die UNCITRAL -Normen hinausgeht. Die Kommission kann dem Bundesrat versichern, dass sie bei allen künftigen Verhandlungen der EU die gleiche Linie verfolgen wird.

Der Bundesrat hat ferner zu Recht darauf hingewiesen, dass bei den bisherigen InvestorStaat-Schiedsverfahren die Unabhängigkeit der Schiedsrichter nicht ausreichend gesichert ist und keine Anforderungen an Ethik und die Qualifikationen der Schiedsrichter gestellt werden. Eines der wichtigsten Merkmale des vorgeschlagenen Ansatzes für die Investitionspolitik der EU ist es, diese Probleme im Wortlaut der von uns ausgehandelten ISDS-Bestimmungen ganz eindeutig anzugehen. Beispielsweise wurde im Rahmen der Verhandlungen mit Singapur ein strikter und verbindlicher Verhaltenskodex für Schiedsrichter vereinbart, der fester Bestandteil des Vertrags ist. Das Abkommen zwischen der EU und Kanada sieht ebenfalls höchste ethische Standards für das Verhalten von Schiedsrichtern vor. Anders als bei vielen bestehenden Investitionsabkommen, bei denen Ko-Schiedsrichter über das Verhalten ihrer Kolleginnen und Kollegen urteilen, werden die Entscheidungen in Bezug auf das Verhalten der Schiedsrichter gemäß dem Abkommen mit Kanada von einer unabhängigen Stelle getroffen. Schiedsrichter, die gegen den Verhaltenskodex verstoßen, werden von den Schiedsgerichten ausgeschlossen. Darüber hinaus sehen alle EU-Investitionsabkommen vor, dass die Vertragsparteien Schiedsrichter-Listen erstellen, von denen die Schiedsrichter ausgewählt werden können. Dies dürfte gewährleisten, dass nur Personen mit hoher Berufsqualifikation und den geforderten sittlichen Eigenschaften im Rahmen der EU-Vereinbarungen als Schiedsrichter fungieren werden. Die Kommission möchte den Bundesrat außerdem darauf hinweisen, dass die Kommission in den Dokumenten zur TTIP-Konsultation vorgeschlagen hat, die Einsetzung eines Berufungsgremiums näher zu prüfen.

Die Kommission setzt sich uneingeschränkt dafür ein, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Recht der Investoren und dem Recht der Hoheitsgewalt zur Gesetzgebung und Regulierung im öffentlichen Interesse auf allen Ebenen zu wahren. Die im Rahmen der öffentlichen Konsultation als Referenztext bereitgestellten Textvorschläge entsprechen dem neuesten Stand des Investitionsrechts. Auf der Grundlage der Ergebnisse der laufenden Konsultationen der verschiedenen Interessenträger wird die Kommission auch beschließen können, ob eine Meistbegünstigungsklausel in die TTIP aufgenommen werden sollte, und wenn ja, welche Art von Klausel die EU für erforderlich halten würde.

Auf der Grundlage der Ergebnisse der öffentlichen Konsultation wird die Kommission alle genannten Themen weiter vertiefen. Im Bericht zur öffentlichen Konsultation sind vier Bereiche genannt, in denen geprüft werden sollte, wie sich weitere Verbesserungen erzielen lassen, und die Gegenstand weiterführender Diskussionen zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten, dem Europäischen Parlament und allen Interessenträgern in der EU sein werden. Zu diesen Bereichen gehören der Schutz des Regelungsrechts, die Einrichtung und die Funktion von Schiedsgerichten, das Verhältnis zwischen der innerstaatlichen Justiz und dem ISDS und die Überprüfung der rechtlichen Korrektheit von Entscheidungen im Rahmen der ISMS durch einen Berufungsmechanismus.

Die Kommission hof dass die vom Bundesrat geäußerten Bedenken mit diesen Ausführungen ausgeräumt werden konnten, und sieht der Fortsetzung des politischen Dialogs erwartungsvoll entgegen.

Hochachtungsvoll