Der Bundesrat hat in seiner 799. Sitzung am 14. Mai 2004 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die Zielsetzung der Mitteilung, die Zusammenarbeit im Bereich des Katastrophenschutzes auf der Ebene der Europäischen Union zu verbessern. Dies gilt für die Fortführung und Weiterentwicklung des bereits praktizierten Gemeinschaftsverfahrens primär über die Optimierung des Informations- und Ressourcenmanagements durch das "MIC".
Unterstützt werden vor allem auch verstärkte Aktivitäten im Ausbildungsbereich und bei Übungen sowie Verbesserungen in der Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und den Vereinten Nationen bei der Koordinierung der Einsätze in Drittstaaten zur Vermeidung von Doppelstrukturen.
- 2. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Europäische Union auf Grund der Europäischen Verträge keine eigene Kompetenz für derart weit reichende - über eine bloße Koordinierung von Hilfsmaßnahmen hinausgehende - operative Aktivitäten im Katastrophenschutz hat und im Interesse einer wirksamen und schnellen Gefahrenabwehr auch nicht bekommen sollte. Einem Vordringen der Europäischen Union in Bereiche, die in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, das heißt in Deutschland in diejenige der Länder fallen, muss entschieden begegnet werden. Der Bundesrat hält vor allem deshalb die Mitteilung in der vorgelegten Fassung nicht für akzeptabel. Mit dieser neuen Aktivität wird das Bestreben der Europäischen Union deutlich, den Katastrophenschutz nach und nach immer mehr zu "vergemeinschaften".
Der Bundesrat nimmt darüber hinaus zu einzelnen Punkten wie folgt Stellung:
- 3. Sehr problematisch ist insbesondere auch unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips die Forderung des Europäischen Parlaments nach einer "europäischen Katastrophenschutztruppe". Die Länder hatten sich bereits im März 2000 darauf verständigt, dass der Aufbau eigenständiger EU-Einsatztruppen für den Katastrophenschutz nicht eingeführt werden sollte. Eine solche Maßnahme könnte dazu beitragen, die gewachsenen Katastrophenschutzstrukturen in den Mitgliedstaaten auszuhöhlen.
Ein verstärktes Vordringen der EU in den operativen Bereich des Katastrophenschutzes lässt befürchten, dass
- - gewachsene und funktionierende Strukturen des Katastrophenschutzes zerschlagen werden und es zu einer übermäßigen Bürokratisierung kommt,
- - einige Mitgliedstaaten in der Erwartung von Hilfsmaßnahmen seitens der EU auf hinreichende eigene Katastrophenschutzvorkehrungen verzichten.
Auch auf lange Sicht und unter Berücksichtigung der Kompetenzen nach dem Entwurf der EU-Verfassung ist die Aufstellung eigener Katastrophenschutzeinheiten abzulehnen. Solche Einheiten könnten nur mit sehr hohen Unterhalts- und Einsatzkosten und nur für spezielle Notfälle betrieben werden. Vielmehr wäre es aus finanziellen Gründen sinnvoller, die Einsatzkräfte in den Mitgliedstaaten zu stärken.
Eine koordinierende Funktion der EU unter Nutzung nationaler Ressourcen verspricht einen bedeutend höheren Wirkungsgrad als die Schaffung eines multinationalen Katastrophenschutzverbandes mit schwerfälliger Kommandostruktur.
Das Verfahren hierzu könnte sich an dem Vorbild der geplanten länderübergreifenden Katastrophenhilfe innerhalb Deutschlands orientieren, das heißt die von den Ländern in diesem Rahmen ohnehin festzulegenden Einsatzkontingente könnten auch EU-weit eingesetzt werden. Hilfeersuchen könnten über das Beobachtungs- und Informationszentrum (MIC) der EU an zentrale für die Entgegennahme derartiger Anforderungen zuständige Stellen der Mitgliedstaaten - in Deutschland an das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum von Bund und Ländern (GMLZ) - gerichtet werden. Aufgabe dieser zentralen Stellen wäre es, innerstaatlich die Hilfeleistung abzustimmen und die Entsendung der Hilfskontingente - gegebenenfalls im Benehmen mit MIC und dem Hilfe ersuchenden Staat - zu koordinieren. In Deutschland wären die vorgeplanten Hilfeleistungskontingente der Länder in deNIS II zu erfassen und gegebenenfalls über die (Lagezentren der) Innenministerien/-senatsverwaltungen der Länder anzufordern.
Bei einem Einsatz hätte der betroffene Staat vor Ort weiterhin die Einsatzleitung wahrzunehmen. Die entsprechend dem oben genannten Verfahren zur Verfügung gestellten Mannschaften müssten dieser Einsatzleitung unterstellt werden wie dies auch bislang der Fall ist. Eine Einsatzleitung oder sonstige operative Maßnahmen der Europäischen Union wären keinesfalls akzeptabel.
- 4. Die Beseitigung von Informationslücken und die Aktualisierung der Datenbank durch die Feststellung der verfügbaren Hilfskapazitäten wird in dem Umfang, wie er derzeit zum Aufbau der Datenbank deNIS auf Bundesebene betrieben wird für sinnvoll erachtet. Dabei wird davon ausgegangen, dass bei den Ländern keine zusätzlichen Abfragen erfolgen werden.
Bei außergewöhnlichen Gefahrenlagen - etwa im CBRN-Bereich oder bei massiven terroristischen Anschlägen - kann ein Ressourcenmanagement durch die EU ebenso wie durch den Bund zur Ergänzung der regionalen Hilfsmaßnahmen durchaus sinnvoll sein.
Deshalb bestehen auch gegen die beabsichtigte Ergänzung der Datenbank keine Bedenken, wenn sichergestellt ist, dass diese nicht zu detailliert wird.
Statt einer Einzelerfassung von Ressourcen sollten
- - Meldeköpfe, über die weitere Hilfsmöglichkeiten in Erfahrung gebracht werden können,
- - Links zu besonderen Depots (z.B. mit Medikamenten) und
- - Task Forces für besondere Lagen aufgenommen werden.
Kostenfragen dürfen eine Hilfeleistung nicht verzögern.
- 5. Grundsätzlich werden die von der Kommission vorgesehenen Schulungsmaßnahmen mit gemeinsamen Übungen zur Steigerung einer effizienteren Zusammenarbeit der Katastrophenschutzkräfte begrüßt.
Die Organisation von Workshops, Schulungen und staatenübergreifenden Übungen durch die EU dienen dem Erfahrungsaustausch und wurden von den Ländern schon immer positiv bewertet. Mehr als eine Million Hilfskräfte europaweit zeigen, dass ein Schulungsprogramm für Mannschaften nicht sinnvoll durchführbar ist, sofern es sich nicht auf bestimmte, überschaubare Länderkontingente bezieht die nach dem Vorbild der geplanten länderübergreifenden Katastrophenhilfe in Deutschland im Vorhinein für grenzüberschreitende Hilfsmaßnahmen benannt werden. Sinnvoll wäre allein die Schulung der obersten Führungsebene, damit diese in die Lage versetzt wird, die nationalen Kontingente vor Ort in die jeweiligen Strukturen des betroffenen Staates optimal einzubringen.
Illusorisch wäre darüber hinaus auch die Vorstellung, dass es angesichts der Vielzahl der im Katastrophenschutz eingesetzten, von Staat zu Staat und von Hersteller zu Hersteller unterschiedlichen Geräte gelingen könnte, dass hilfeleistende Einheiten in nennenswertem Umfang in der Lage seien, den Gebrauch fremder Geräte zu erlernen. Auf der anderen Seite wird es aber keine europaeinheitlichen Geräte geben können, zum einen mangels Verständigung der künftig 25 Mitgliedstaaten auf bestimmte Geräte, zum anderen aus finanziellen Gründen, da diese eine Umrüstung (in wohl 24 Mitgliedstaaten) mit sich brächten. Eine einheitliche Ausstattung ist bislang nicht einmal innerhalb der Bundesrepublik Deutschland gelungen.
Eine europaweite Einigung auf bestimmte Standards ist zu begrüßen, schließt jedoch eine unterschiedliche Bedienung verschiedener Gerätschaften, die alle die vorgegebenen Standards erfüllen, nicht aus.
- 6. Prinzipiell bestehen keine Bedenken gegen gemeinsame Abzeichen für die Hilfsmannschaften von Adhoc-Katastrophenschutzeinheiten der Europäischen Union. Allerdings ist Folgendes zu bedenken:
- - Werden die Hilfsmannschaften aus "normalen" Einsatzkräften der Staaten tatsächlich adhoc rekrutiert, sind gemeinsame Abzeichen kaum zu verwirklichen.
- - Weisen die Mitgliedstaaten in der Zukunft bestimmte Kontingente für die grenzüberschreitende Katastrophenhilfe aus, bestehen keine Bedenken gegen eine gemeinsame Kennzeichnung im Falle des Auslandseinsatzes.
- 7. Das Beobachtungs- und Informationszentrum "MIC" bietet zwar eine geeignete Grundlage für rasche gegenseitige Hilfeleistungen im Rahmen der Gemeinschaft, bedarf jedoch der Optimierung zum Zwecke eines engeren Informationsverbundes mit den Mitgliedstaaten. Wichtig sind rasche und vollständige Informationen über Art und Umfang der benötigten Hilfe, damit die Mitgliedstaaten eine kalkulierbare Entscheidungsgrundlage haben. Die Rolle des "MIC" sollte gestärkt werden, allerdings ist eine Aufgabenerweiterung hin zu einer zentralen Leitungs- und Entscheidungsstelle strikt abzulehnen.
Die Mitgliedstaaten entscheiden eigenverantwortlich darüber, welche Hilfe sie benötigen und anfordern. Deshalb muss es bei dem bisherigen Freiwilligkeitsprinzip bei der Nutzung von Unterstützungs- und Koordinierungsleistungen der EU bleiben. Jede andere Lösung würde nur die Bürokratie vergrößern, nicht aber die Qualität der Hilfeleistung verbessern.
Nach dem Konnexitätsprinzip ist gegen ein gemeinsames Notfall-Kommunikations-System nichts einzuwenden, wenn die EU die Einführung übernimmt und die Kosten trägt.
Bestimmte Koordinationsmaßnahmen in Drittländern durch die EU können sinnvoll sein, wenn dafür ein Bedarf besteht. Allerdings ist eine zwingende Einschaltung des Beobachtungs- und Informationszentrums abzulehnen, wenn im Rahmen bilateraler Hilfeleistungsabkommen um Hilfe ersucht wird. Hilfeleistungen im "kleinen Grenzverkehr" funktionieren auf Grund bilateraler Absprachen meist viel besser, als wenn erst eine Koordination durch die EU in Anspruch genommen werden müsste. Deshalb muss der Grundsatz gelten, dass Informationen des Beobachtungs- und Informationszentrums und die Koordination von Hilfsmaßnahmen durch dieses Zentrum nur bei Bedarf erfolgen.
Im Übrigen wäre eine verbesserte Koordinierung mit den UN-Instrumenten OCHA und UNDAC zu begrüßen.
- 8. Die Länder haben sich bereits im März 2000 geeinigt, dass bei der Frage der Finanzierung für den Aufbau der Verstärkung und des Ausbaus vorhandener Strukturen auf der Ebene der Europäischen Union ein strenger Maßstab an Drucksache zulegen ist.
Gegen eine maßvolle Budgeterhöhung zur Unterstützung von Hilfsmaßnahmen in "ärmeren" Staaten bestehen keine Bedenken, denn Hilfeleistungen dürfen nicht durch Finanzprobleme verzögert werden. Allerdings muss es bei dem Grundsatz bleiben, dass der anfordernde Staat die Kosten der Hilfeleistung trägt sonst könnten eigene Katastrophenschutzvorkehrungen möglicherweise in der Hoffnung, im Ernstfall von der EU unterstützt zu werden, auf zu niedrigem Niveau gehalten werden.
Dies entspricht auch grundsätzlich Kapitel VII Artikel 35 der "Entscheidung der Kommission vom 29. Dezember 2003 mit Bestimmungen zur Durchführung der Entscheidung des Rates über ein Gemeinschaftsverfahren zur Förderung einer verstärkten Zusammenarbeit bei Katastrophenschutzeinsätzen" (Amtsblatt EG (Nr. ) L 87 vom 25. März 2004, S. 20). Die dortige Kostenregelung bestimmt, dass die Kosten der von den Teilnehmerstaaten geleisteten Hilfe von dem um Hilfe ersuchenden Staat getragen werden, falls keine anders lautende Vereinbarung besteht. Auf Grund der abgeschlossenen bilateralen Hilfeleistungsabkommen zwischen Deutschland und seinen Nachbarstaaten bedeutet dies im Fall der deutschen Hilfeleistung allerdings, dass zunächst diese bilateralen Abkommen herangezogen werden müssen. Hiernach zahlt der hilfeleistende Staat die Kosten der Hilfeleistung, ausgenommen die Kosten für Unterkunft und Verpflegung der Hilfsmannschaften sowie Verbrauchsmaterial wie z.B. Benzin. Dies war der Grund, weshalb Deutschland als einziger Staat die oben genannte Entscheidung der Kommission insbesondere im Hinblick auf die Kostenregelung abgelehnt hatte.
Die Mitteilung erwähnt ferner, dass ein Solidaritätsfonds von jährlich maximal einer Milliarde Euro zur Verfügung steht, um einen betroffenen Staat z.B. bei der raschen Wiederherstellung der Infrastruktur zu unterstützen. Es ist zwingend erforderlich, bei der Kommission in Erfahrung zu bringen, ob hilfeleistende Staaten eine Kostenrückerstattung aus dem Fonds erhalten können.
- 9. Die Übernahme von Transportkosten durch die Europäische Union widerspricht Nr. 8 der Entschließung des Rates vom 8. Juli 1991 (Amtsblatt EG (Nr. ) C 198 vom 27. Juli 1991, S. 1).
Derzeit gibt es kein schlüssiges Konzept für den Transport von Hilfsmannschaften und Material und die Transportfinanzierung. Es bleibt insoweit auch das Ergebnis einer Studie über "Lufttransportmöglichkeiten von Hilfsmannschaften und Material" abzuwarten, die die Kommission im Rahmen des Gemeinschaftsverfahrens durchführt. Ziel der Studie sind die Erhebung der Daten über die zu transportierende Ausstattung, die Rekrutierung von geeigneten Flugzeugtypen und die Ermittlung der durchschnittlichen Transportkosten.
Die Kommission beabsichtigt eine entsprechende Vorlage bis zum 30. Juni 2004, dem Ende der irischen Präsidentschaft. Insoweit ist die Angelegenheit bisher noch nicht entscheidungsreif.
Die beabsichtigte Aufstockung des Personals um insgesamt neun Stellen in den Jahren 2005 und 2006 wird äußerst kritisch gesehen. Insbesondere im Hinblick auf die bereits mehrfach erwähnte Verständigung aller Länder im März 2000, dass bei Finanzierungsfragen ein besonders strenger Maßstab anzulegen ist.
Deshalb sollte die Schaffung zusätzlicher Stellen möglichst vermieden werden.
Für den Aufbau der Datenbanken sowie des "MIC" wurde bereits Personal zur Verfügung gestellt, das eine Vielzahl der aufgeführten Aufgaben wahrnimmt.
Möglicherweise lassen sich unter Berücksichtigung aufgabenkritischer Ansätze die zusätzlichen Aufgaben mit dem vorhandenen Personal bewältigen. Eine personelle Aufblähung führt erfahrungsgemäß zu unnötigen bürokratischen Aktivitäten und muss vor dem Hintergrund der immer schwieriger werdenden Haushaltslage mit entsprechenden Einsparungen in allen Bereichen auf nationaler Ebene kritisch gesehen werden.
- 10. Besonders problematisch ist die beabsichtigte Bereitstellung koordinierter EU-Rettungsmannschaften mit gemeinsamen Abzeichen und Ausrüstungen. Hierfür besteht kein Bedarf. Diese Hilfeleistungen können von den nationalen Katastrophenschutzorganisationen erbracht werden. Auch in der NATO-Militärorganisation, die ihre Schlagkraft immer wieder unter Beweis stellt, gibt es keine staatenübergreifenden Verbände mit zwingend vorgegebener einheitlicher Ausrüstung.
- 11. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, diese Stellungnahme bei der Festlegung der Verhandlungsposition gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 EUZBLG maßgeblich zu berücksichtigen, da die vorgeschlagenen Maßnahmen im Schwerpunkt die Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betreffen.