Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 304433 - vom 5. April 2005. Das Europäische Parlament hat die Entschließung in der Sitzung am 24. Februar 2005 angenommen.
Das Europäische Parlament,
- - unter Hinweis auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere die Bestimmungen über die Arbeitnehmerrechte, sowie die Bestimmungen in Artikel 136 EG-Vertrag, wonach die Mitgliedstaaten die Förderung der Beschäftigung, die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, einen angemessenen sozialen Schutz, den sozialen Dialog, die Entwicklung des Arbeitskräftepotenzials im Hinblick auf ein dauerhaft hohes Beschäftigungsniveau und die Bekämpfung von Ausgrenzungen anstreben,
- - unter Hinweis auf die Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft sowie die Richtlinien 098/59/EG2 und 094/45/EG3, die beide der Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Instrumente des Dialogs zwischen den Sozialpartnern dienen,
- - unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zum Stahlsektor, zu Umstrukturierungen und Unternehmensfusionen, insbesondere auf die einstimmig angenommene Entschließung vom 12. Februar 2004 zur Krise im Stahlsektor (AST/Thyssen Krupp)4,
- - in Anbetracht der anhaltenden Arbeitsplatzverluste im europäischen Stahlsektor,
- - gestützt auf Artikel 103 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass das Europäische Aufbauwerk mit der Einrichtung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) seinen Ausgang nahm,
B. in der Erwägung, dass mit der Strategie von Lissabon das Ziel verfolgt wird, die Europäische Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen - einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen,
C. besorgt über die Aufgabe der Hightech-Produktionen, die in den letzten Jahren aufgrund ihres technologischen Knowhows als beispielhaft galten und daher geschützt werden müssen,
D. in der Erwägung, dass es im Interesse der gesamten Europäischen Union liegt, die Industrie im eigentlichen Wortsinn, in der ein sehr großer Teil der arbeitenden Bevölkerung im erweiterten Europa beschäftigt ist, zu schützen und zu erhalten,
E. in der Erwägung, dass die Solidarität - sowohl in der Gegenwart als auch mit den künftigen Generationen - konkrete Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Rahmen des sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhalts erfordert, um die benachteiligten Gebiete und die Bevölkerungsgruppen der Europäischen Union dabei zu unterstützen, die Unterschiede durch Wachstum und größere Wettbewerbsfähigkeit zu beseitigen,
F. in der Erwägung, dass Thyssen-Krupp seinen Verpflichtungen, die es im Streitfall Terni gegenüber der italienischen Regierung eingegangen ist und die die Beibehaltung des Stahlstandortes und im Gegenzug Vorteile in Form von Infrastrukturen und Energiekosten vorsahen, nicht nachgekommen ist,
G. in der Erwägung, dass die Nichteinhaltung der im Juni 2004 unterzeichneten Vereinbarung mit industriellen Gründen nicht zu rechtfertigen ist, vor allem wenn man bedenkt, dass der Gewinn des Unternehmens um 55 % angewachsen ist und vor kurzem 844 Millionen EUR erreicht hat;
H. in der Erwägung, dass das Unternehmen weniger als ein Jahr nach Unterzeichnung dieser Vereinbarung seine Absicht verlautbart hat, das Magnetstahlwerk zu schließen, was die Aufgabe der Schmiedewerke im kommenden Jahr nach sich zu ziehen droht; in der Erwägung, dass die Nichteinhaltung der zwischen allen Beteiligten getroffenen Vereinbarung sowie der Abzug von Thyssen-Krupp aus Terni mit industriellen Gründen jedenfalls nicht gerechtfertigt werden kann,
I. in der Erwägung, dass die mögliche Einschränkung der Magnetstahlproduktion in Terni bedeutet, dass Italien im Wesentlichen aus dieser strategischen Industriesparte aussteigt, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und die Beschäftigung qualifizierter junger Arbeitskräfte hat,
J. in der Erwägung, dass das Thyssen-Krupp-Werk AST öffentliche Mittel in beträchtlicher Höhe erhalten hat, einschließlich Mittel aus den Strukturfonds für Ziel-2-Gebiete sowie Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds zur Entwicklung der Beschäftigung vor Ort, der Infrastrukturen und der Berufsausbildung,
K. unter Berücksichtigung der erneuten Mobilisierung der betroffenen Arbeitnehmer, ihrer Gewerkschaftsvertretungen, der Bevölkerung und der Vertreter der lokalen Behörden,
- 1. fordert die Kommission auf, im Hinblick auf Umstrukturierungen von Unternehmen und ihre sozialen Auswirkungen eine entschlossenere Strategie zu verfolgen, wie bereits in seiner oben genannten Entschließung vom 11. Februar 2004 gefordert wurde;
- 2. fordert die Mitgliedstaaten und die Kommission auf, Initiativen zu fördern, die die Einschränkung der europäischen Stahlproduktion und die daraus folgenden Arbeitsplatzverluste für qualifizierte Fachkräfte abwenden sollen, insbesondere in Industriezentren, die zur Weltspitze gehören und in deren Innovationen bereits viel investiert wurde;
- 3. fordert Thyssen-Krupp - unabhängig von den Initiativen der italienischen Regierung und der Kommission - auf, das Beschäftigungsniveau aufrechtzuerhalten, sich an den im Juni 2004 vorgelegten Investitionsplan zu halten und die anderen Produktionssparten (Schmiedewerke und Titan) auszubauen, die nicht direkt mit dem Kerngeschäft des rostfreien Stahls verbunden sind;
- 4. erklärt seine Solidarität mit den betroffenen Arbeitnehmern und ihren Familien, einschließlich der Beschäftigten in den Zulieferindustrien und in den damit verbundenen Branchen, die nun von Arbeitslosigkeit bedroht sind;
- 5. ist der Auffassung, dass für die Verwendung von Gemeinschaftsmitteln, vor allem von Mitteln für die Industrie und des Europäischen Sozialfonds, spezifische Vorschriften über die Innovation, den Ausbau der Standorte sowie die langfristige Verpflichtung des begünstigten Unternehmens zur Aufrechterhaltung der Produktion in dem jeweiligen Gebiet einzuhalten sind; fordert insbesondere die Einhaltung und die Verschärfung der Verordnungen über die Verwendung von Strukturfondsmitteln;
- 6. fordert die Kommission und die nationalen Regierungen auf, Rechtsvorschriften im Bereich der sozialen Verantwortung der Unternehmen vorzusehen, die zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen;
- 7. vertritt die Ansicht, dass Europa durch die Schaffung günstiger Voraussetzungen für die Interessen der Industrie, insbesondere für Fortschritts- und Hightech-Sektoren, Innovationsförderung betreiben muss, indem es angemessene Umstellungspläne unterstützt; betont, dass Investitionen in Forschung und Entwicklung auch zur Entwicklung neuer Werkstoffe, Entwürfe und Verfahren verwendet werden können, mit denen herkömmliche Industriezweige neu gestaltet werden können;
- 8. fordert die Kommission auf, eine Mitteilung über die gegenwärtige Lage des Stahlsektors vorzulegen und eine hochrangige Gruppe für diesen Sektor einzusetzen;
- 9. fordert die Kommission auf, nach dem Auslaufen des EGKS-Vertrags eine Strategie für die künftige Entwicklung des Stahlsektors vorzulegen, um die unabhängige Kapazität Europas in diesem Sektor zu fördern;
- 10. fordert die Mitgliedstaaten auf, unter Beachtung der einzelstaatlichen und europäischen Vorschriften im Bereich der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer den sozialen Dialog zu fördern und zu stärken und wirksame Maßnahmen zum Schutz der Gewerkschaftsvertreter zu verabschieden;
- 11. fordert die Kommission auf, sich bei der WTO und der OSZE entschieden dafür einzusetzen, den Schutz der europäischen Stahlindustrie auf dem internationalen Markt zu gewährleisten;
- 12. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, der WTO, der OSZE und den Sozialpartnern zu übermitteln.
1 ABI. L 80 vom 23.3.2002, S. 29.
2 Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABI. L 225 vom 12.8.1998, S. 16).
Richtlinie 94/45/EG des Rates vom 22. September 1994 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen (ABl. L 254 vom 30.9.1994, S. 64). Geändert durch die Richtlinie 97/74/EG (ABI. L 10 vom 16.1.1998, S. 22). 4 ABl. C 97 E vom 22.4.2004, S. 637.