Die Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen Düsseldorf, den 3. Mai 2012
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Horst Seehofer
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierung Nordrhein-Westfalen hat beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage beigefügten Antrag für eine Entschließung des Bundesrates zur Streichung der Demokratieerklärung und zur Flexibilisierung des Testierungsverfahrens im Bundesprogramm "TOLERANZ fördern - Kompetenz stärken" zuzuleiten.
Ich bitte, den Entschließungsantrag gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung auf die Tagesordnung der Bundesratssitzung am 11. Mai 2012 zu setzen und anschließend den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Hannelore Kraft
Entschließung des Bundesrates zur Streichung der Demokratieerklärung und zur Flexibilisierung des Testierungsverfahrens im Bundesprogramm "TOLERANZ fördern - Kompetenz stärken"
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, bei dem Bundesprogramm "TOLERANZ fördern - Kompetenz stärken"
- 1. die sog. "Demokratieerklärung" zu streichen sowie
- 2. das Testierungsverfahren "Kundenorientierte Qualitätstestierung für Beratungsorganisationen" (KQB) für die einzelnen "Landesweiten Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus" zu flexibilisieren.
Begründung:
Zu 1.
Im Rahmen des Bundesprogramms "TOLERANZ fördern - Kompetenz stärken" des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) ist seit Beginn der neuen Förderperiode ab 2011 die Unterzeichnung einer Erklärung zur Verfassungstreue (sog. "Demokratieerklärung") Fördervoraussetzung.
In dieser "Demokratieerklärung" müssen sich alle Antragssteller für Mittel des Bundesprogramms zur freiheitlichdemokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen und bestätigen, eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit zu leisten. Weiter enthält die Erklärung eine Verpflichtung der Antragsteller, im Rahmen ihrer Möglichkeiten und auf eigene Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass sich Projektpartner auch zu den Zielen des Grundgesetzes verpflichten (Satz 2) sowie eine Bestätigung der Antragsteller, dass keinesfalls der Anschein erweckt werden darf, dass einer Unterstützung extremistischer Strukturen Vorschub geleistet wird (Satz 3).
Von Initiativen, die sich seit vielen Jahren, für die Stärkung der Demokratie einsetzen, zu verlangen, sich zum Grundgesetz zu bekennen, stellt diese unter Generalverdacht. Die gesonderte Verpflichtung der Träger zur Überprüfung von Kooperationspartnern schafft zudem Misstrauen untereinander und verhindert eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Hinzu kommt, dass aufgrund der Unbestimmtheit der Sätze 2 und 3 die Demokratieerklärung gegen das Grundgesetz verstößt.
Die Demokratieerklärung ist insofern zu streichen.
Zu 2.
Im Programmbereich "Förderung und Unterstützung qualitätsorientierter Beratungsleistungen in den landesweiten Beratungsnetzwerken" des Bundesprogramms "TOLERANZ fördern - Kompetenz stärken" empfiehlt der Bund in Ergänzung des qualitätsorientierten Verfahrens eine Testierung der jeweiligen "Landesweiten Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus" bis zum Ende der aktuellen Förderperiode im Jahr 2013. Das in Absprache mit den Ländern ausgewählte Instrument "Kundenorientierte Qualitätstestierung für Beratungsorganisationen" (KQB) ermöglicht die Testierung aller in Frage kommenden Qualitätsbereiche: Vernetzung, Steuerung und Beratung. Das KQB-Modell ist auf Beratung zugeschnitten und ausreichend flexibel, um auf die unterschiedlichen Beratungsnetzwerke in den Ländern Anwendung zu finden.
Im März 2012 teilte der Bund den Ländern mit, dass die Testierung der "Landesweiten Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus" alle Qualitätsbereiche umfassen müsse, d.h. den gesamten Prozess der "Beratung, Steuerung und Vernetzung". Dabei wird von einer geschlossenen Organisation ausgegangen, was für die Vielfalt der vorhandenen Beratungsnetzwerke nur bedingt zutrifft. Die Verpflichtung zur Testierung des Gesamtprozesses schränkt die Möglichkeiten des "KQB"-Modells ein und lässt eine flexible Umsetzung der Testierung nicht zu. Dadurch wird es den unterschiedlichen Länderstrukturen in den Netzwerken nicht gerecht. Hinzu kommt, dass die Länder in ihrer Entscheidungskompetenz eingeschränkt werden. Die flexible Ausgestaltung dieses Prozesses wurde bereits auf der diesjährigen Integrationsministerkonferenz in einem Antrag der Länder Hamburg, Brandenburg und Rheinland-Pfalz vertreten.
Alle Bundesländer mussten sich bis zum 18. April 2012 für oder gegen die Testierung entscheiden. Acht Länder haben sich vor diesem Hintergrund gegen die Testierung entscheiden müssen.
Viele Landeskoordinierungsstellen sind - wie in NRW - in oberen oder obersten Landesbehörden angesiedelt. Eine Testierung von Landesbehörden durch den Bund ist nicht mit den Grundsätzen des Föderalismus vereinbar. Die Vereinheitlichung von unterschiedlich aufgestellten Beratungsnetzwerken in den Ländern widerspricht zudem dem Prinzip der Subsidiarität und ist als kontraproduktiv für die Arbeit der Beratungsnetzwerke zu betrachten.
Angesichts der aufgeführten Bedenken möge der Bundesrat beschließen, die Bundesregierung aufzufordern, die Demokratieerklärung zu streichen und die vorgesehene Testierung für die Länder derart flexibel zu gestalten, dass diese über die Inhalte autonom entscheiden können.