Punkt 13 der 909. Sitzung des Bundesrates am 3. Mai 2013
Der Bundesrat möge beschließen:
- 1. Der Bundesrat stellt fest, dass mit dem Stillstand der WTO-Verhandlungen die Tendenz zu bilateralen Freihandelsabkommen zunimmt. Er hält grundsätzlich weltweite, multilaterale, an klare Standards und kontrollierbare Regeln gebundene Abkommen für sinnvoller als ein Geflecht bilateraler Vereinbarungen. Weltweiter Handel schließt immer eine arbeits-, sozial-, umwelt-, rechts- und verbraucherpolitische Dimension ein, die beim Abschluss von Freihandelsabkommen vollumfänglich berücksichtigt werden muss. Dies muss auch für EU-Handelsabkommen und sogenannte Gemischte Abkommen mit Drittstaaten gelten.
- 2. Der Bundesrat bedauert, dass das Freihandelsabkommen mit Kolumbien und Peru nicht dem regionalen Integrationsansatz der EU folgt und neue Schranken zwischen den Staaten der Region errichtet. Es steht somit auch im Widerspruch zur Lateinamerika-Strategie der Bundesregierung, die regionale Integration zu fördern.
- 3. Der Bundesrat begrüßt das grundsätzliche Bemühen, mit dem Handelsübereinkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits an historische und kulturelle Verbindungen anzuknüpfen und eine Öffnung der Märkte unter anderem für Waren, Dienstleistungen, Öffentliches Beschaffungswesen und Investitionen sowie die Förderung der wirtschaftlichen Integration zwischen den Parteien zu erreichen, welche die wirtschaftliche Entwicklung voranbringen und auf diese Weise auch den Menschen in den betroffenen Ländern zugutekommen soll.
- 4. Der Bundesrat kritisiert jedoch, dass das Freihandelsabkommen zwar verbindliche Verpflichtungen zur Marktöffnung im industriellen und agrarischen Bereich, zur Liberalisierung vieler Bereiche der Daseinsvorsorge und Infrastrukturen, des öffentlichen Beschaffungswesens umfasst und einen Eingriff in das Alltagsleben und die sozialen und politischen Verhältnisse der Menschen darstellt, dass aber diesen Verpflichtungen keine flankierenden arbeits-, sozial-, umwelt-, rechts- und verbraucherpolitischen Regelungen mit entsprechender Verbindlichkeit und Kontroll- und Eingriffsmechanismen innerhalb des eigentlichen Abkommens an die Seite gestellt sind.
- 5. Der Bundesrat kritisiert zudem, dass die im Handelsabkommen vereinbarten Liberalisierungen der Finanzmärkte die Bemühungen zur Regulierung des internationalen Finanzsektors erschweren und Geldwäsche und Steuerhinterziehung erleichtern können. So könnten Finanzakteure riskante Geschäfte machen, ohne ausreichend von einer der Vertragsparteien kontrolliert zu sein. Das Abkommen schützt nur unzureichend das Recht der Vertragsparteien, Kapitalflüsse zu kontrollieren.
- 6. Der Bundesrat erkennt an, dass der erste Artikel des Handelsübereinkommens auch umfassende Bestimmungen enthält, die den Schutz der Menschenrechte einfordern. Es ist zu begrüßen, dass sich die Achtung der demokratischen Grundsätze und der grundlegenden Menschenrechte sowie des Grundsatzes der Rechtstaatlichkeit in den innenpolitischen Maßnahmen und der internationalen Politik der Vertragsparteien spiegeln muss und dass die Missachtung dieses wesentlichen Bestandteils des Übereinkommens zur Ergreifung angemessener Maßnahmen führen kann, unter anderem zur möglichen Beendigung bzw. zur Aussetzung eines Teils oder des gesamten Übereinkommens.
- 7. Der Bundesrat betont aber, dass es im Falle Kolumbiens und Perus wichtig gewesen wäre, den allgemeinen Streitbeilegungsmechanismus auch bei Verstößen gegen die Regelungen zum Schutz von Arbeitnehmer-, Menschen-, und Umweltrechten anzuwenden, damit auch solche Verstöße in dafür vorgesehenen Verfahren im Rahmen des Abkommens sanktioniert werden können. Dabei hätte sichergestellt werden müssen, dass insbesondere auch Beschwerden von Seiten der Zivilgesellschaft direkt zu entsprechenden Verfahren hätten führen können. Im Abkommen stellt Art. 285 Absatz 5 explizit klar, dass der Streitbeilegungsmechanismus für das Nachhaltigkeitskapitel nicht zur Anwendung kommt.
- 8. Der Bundesrat begrüßt in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass das Europäische Parlament erstmalig ein Handelsabkommen mit einer Resolution zu Menschen- und Arbeitnehmerrechten sowie zu den Umweltstandards ergänzt und von den souveränen Regierungen Kolumbiens und Perus einen konkreten Fahrplan zur Verbesserung der Situation von Gewerkschaftern sowie zur Verbesserung von Sozial- und Umweltstandards eingefordert hat. Beide Länder sind auf die Forderung des Europäischen Parlaments eingegangen und haben im Oktober 2012 entsprechende Fahrpläne vorgelegt. Damit verpflichtet sich etwa die kolumbianische Regierung öffentlich unter anderem dazu, die Zivilgesellschaft in die Umsetzung des Abkommen einzubeziehen, eine neue 'Fachgruppe für Handelsabkommen und Menschenrechte' einzurichten, das Budget für das Schutzprogramm für Gewerkschafter aufzustocken und die Anzahl der Arbeitsinspektionen deutlich zu erhöhen. Ebenso soll in Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft ein neues System zur strafrechtlichen Ermittlung aufgebaut werden, um das Problem der hohen Straflosigkeit anzugehen. Der Bundesrat begrüßt, dass durch die entschlossene Haltung des Europäischen Parlaments erreicht werden konnte, dass die Umsetzung vereinbarter Nachhaltigkeitsstandards in Kolumbien und Peru von der EU-Kommission und dem Europäischen Parlament überprüft wird.
- 9. Der Bundesrat erkennt an, dass mit dem ausgehandelten Nachhaltigkeitskapitel, der Menschenrechtsklausel sowie den eingegangenen arbeits-, sozial-, umwelt-, rechts- und verbraucherpolitischen Verpflichtungen die Europäische Union Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die Situation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Umwelt und der Menschenrechte in Kolumbien und Peru erhalten soll.
- 10. Der Bundesrat sieht gleichwohl, dass trotz der erheblichen Anstrengungen, die sowohl Kolumbien als auch Peru in den letzten Jahren zur Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen ihrer Bürgerinnen und Bürger einschließlich der Menschen- und Arbeitnehmerrechte unternommen haben, zur vollständigen Verwirklichung der festgelegten und von einzelnen Bürgern, zivilgesellschaftlichen Organisationen, den Oppositionsparteien und der Regierung geforderten hohen Standards sowohl in Kolumbien als auch in Peru noch weitere erhebliche Anstrengungen unternommen werden müssen. Dies gilt insbesondere für die seit langem bestehenden Probleme wie Armut, Gewalt und Korruption, einen internen bewaffneten Konflikt (im Falle Kolumbiens mehr als 50 Jahre), illegale bewaffnete Gruppen, Drogenhandel, Straflosigkeit, Vertreibung, Landenteignung und Missachtung der Rechte indigener Bevölkerungsgruppen.
- 11. Der Bundesrat betont, dass der erfolgten Vereinbarung neuer innerstaatlicher Mechanismen und eines Dialogs mit der Zivilgesellschaft, auch schon bei nur vorläufiger Anwendung des Abkommens, nun eine entschlossene Umsetzung folgen muss, welche getroffene Verabredungen zügig mit Leben erfüllt. Er ermutigt in diesem Zusammenhang die zivilgesellschaftlichen Organisationen in den Andenstaaten und in der Europäischen Union, die neue Möglichkeiten der Einflussnahme zu nutzen, und fordert die beteiligten Regierungen auf, die Umsetzung der arbeits-, sozial-, umwelt-, rechts- und verbraucherpolitischen Verpflichtungen entschlossen anzugehen und dabei auch eine umfangreiche informations- und Werbekampagne vorzusehen, um möglichst viele der interessierten Gruppen oder Personen für eine Beteiligung an dem Kontrollrahmen des zivilgesellschaftlichen Mechanismus zu gewinnen. Alle diese Schritte sind auch schon bei nur vorläufiger Anwendung des Abkommens möglich.
- 12. Der Bundesrat begrüßt, dass der Handelsausschuss des Europäischen Parlaments erstmalig eine Monitoring-Gruppe eingesetzt hat, die die Umsetzung arbeits-, sozial-, umwelt-, rechts- und verbraucherpolitischer Verpflichtungen und des in dem Abkommen enthaltenen Nachhaltigkeitskapitels bereits seit dem Zeitpunkt der vorläufigen Anwendung des Abkommens überwachen wird.
- 13. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die Implementation der von Kolumbien und Peru eingegangenen arbeits-, sozial-, umwelt-, rechts- und verbraucherpolitischen Verpflichtungen auch schon im Rahmen der vorläufigen Anwendung des Abkommens eng zu begleiten und auch auf nationaler und europäischer Ebene auf Strukturen hinzuwirken, die eine Implementation sicherstellen und ein wirkungsvolles Monitoring garantieren.
- 14. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung zudem dazu auf, bei der Erteilung eines Verhandlungsmandats für EU-Handelsabkommen an die EU-Kommission die Einbeziehung von Nachhaltigkeitsaspekten sowie die Wahrung von Sozial-, Menschenrechts-, Umwelt und Verbraucherschutzstandards und Belangen des Klimaschutzes im jeweiligen Abkommen und unter dem allgemeinen Streitbeilegungsmechanismus einzufordern. Die vereinbarten arbeits-, sozial-, umwelt-, rechts- und verbraucherpolitischen Verpflichtungen mit Kolumbien und Peru, die die Entschließung des Europäisches Parlaments veranlasst hat, weisen in die richtige Richtung und stellen unmittelbare Verbesserungen gegenüber dem Status quo dar. Zur wirksamen und dauerhaften Absicherung dieser Standards ist aber die Einführung umfangreicher, verbindlicher und durch entsprechende Streitbeilegungsmechanismen durchsetzbarer Regelungen innerhalb zukünftiger Abkommen nötig.