Punkt 17 der 883. Sitzung des Bundesrates am 27. Mai 2011
Der Bundesrat möge beschließen:
Zu Artikel 1 (§ 4 Absatz 3 Satz 1 KKG)
In Artikel 1 sind in § 4 Absatz 3 Satz 1 die Wörter "sind sie befugt," durch die Wörter "haben sie" zu ersetzen.
Begründung:
Eine bundeseinheitliche Regelung zur Beratung und Weitergabe von Informationen bei Kindeswohlgefährdung durch bestimmte Geheimnisträger an das Jugendamt wird grundsätzlich begrüßt. Es ist jedoch nicht nachvollziehbar, dass den betroffenen Geheimnisträgern in § 4 Absatz 3 KKG lediglich eine Befugnis zur Information des Jugendamtes eingeräumt wird. Wenn sich die Gefährdung für ein Kind oder einen Jugendlichen schon derart konkretisiert hat, ist eine Verpflichtung zur Einbindung des Jugendamtes erforderlich.
Eine Übermittlung von Informationen an das Jugendamt nach § 4 KKG setzt voraus, dass
- a) gewichtige Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen bekannt sind,
- b) die Abwendung der Gefährdung durch Beratung und Motivation zur Inanspruchnahme geeigneter Hilfen durch die kind- und jugendnah beschäftigten Berufsgeheimnisträger ausscheidet oder erfolglos bleibt und
- c) die kind- und jugendnah beschäftigten Berufsgeheimnisträger ein Tätigwerden des Jugendamtes für erforderlich halten, um die Gefährdung des Kindeswohls abzuwenden.
Nach der Rechtsprechung des BGH liegt eine Kindeswohlgefährdung im Sinne des § 1666 Absatz 1 Satz 1 BGB vor, wenn eine gegenwärtige oder zumindest unmittelbar bevorstehende Gefahr für die Kindesentwicklung abzusehen ist, welche bei ihrer Fortdauer eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt.
Es ist nicht nachvollziehbar, dass das Gesetz in einer Situation, in der gewichtige Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohls vorliegen, diese Gefahr fortdauert und die Gefährdung durch ein Tätigwerden des Jugendamtes abgewendet werden könnte, den genannten Berufsgeheimnisträgern lediglich die Möglichkeit einräumt, das Jugendamt einzubinden. Damit wird eine mit ziemlicher Sicherheit eintretende erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes in Kauf genommen.
Darüber hinaus führt die Regelung zu erheblicher Rechtsunsicherheit. Einige der in § 4 Absatz 1 KKG genannten Berufsgeheimnisträger sind bereits jetzt verpflichtet, unter den Voraussetzungen des Absatzes 3 das Jugendamt einzuschalten. So sind insbesondere die unter Absatz 1 Nummer 3 genannten Ehe-, Familien-, Erziehungs- und Jugendberaterinnen und -berater sowie die unter Nummer 6 genannten Sozialarbeiterinnen und -arbeiter, Sozialpädagoginnen und -pädagogen, soweit sie Leistungen nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) erbringen, über die Vereinbarungen nach § 8a Absatz 2 SGB VIII (neu: § 8a Absatz 4 SGB VIII) zur Information des Jugendamtes verpflichtet.
Ärztinnen und Ärzte sind regelmäßig durch die aus Behandlungsvertrag oder tatsächlicher Gewährsübernahme begründete Beschützergarantenstellung dazu verpflichtet, Schaden für das Wohl des behandelten Kindes abzuwenden. Dies beinhaltet auch die Information gegenüber geeigneten Stellen (Jugendamt, Polizei), wenn der Eintritt des Schadens nicht mit eigenen Mitteln verhindert werden kann.
Begründung (nur für das Plenum):
Der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes e.V. und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V. äußern sich in einer gemeinsamen Stellungnahme zum Bundeskinderschutzgesetz ebenfalls positiv zu einer verpflichtenden Einbindung des Jugendamts und verweisen auf einen Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses der Krankenversicherung aus dem Jahr 2008, der diese Verpflichtung festschreibt.