909. Sitzung des Bundesrates am 3. Mai 2013
A
Der Gesundheitsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Bericht wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Zu Abschnitt 5.1 und 5.2
- a) Der Bundesrat sieht - anders als die Bundesregierung - nicht, dass das Gesetz zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung (Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz - PNG) vom 23. Oktober 2012 (BGBl. I S. 2246) einen maßgeblichen Beitrag zur Bewältigung der Herausforderungen in der Pflege leistet, sondern allenfalls einen ersten Schritt hierzu darstellt. Aus seiner Sicht wäre im "Nationalen Sozialbericht 2012" in Abschnitt 5.1 ausdrücklich die Notwendigkeit festzustellen, möglichst kurzfristig ein schlüssiges und solidarisch finanziertes Gesamtkonzept zur langfristigen finanziellen Absicherung der Pflege vorzulegen.
- b) Der Bundesrat teilt nicht die in Abschnitt 5.2 des Berichts zum Ausdruck gebrachte Einschätzung, dass die mit dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz eingeführte freiwillige Pflege-Vorsorgeförderung der Sicherstellung der finanziellen Stabilität der Langzeitpflege dient.
- c) Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Gewährleistung eines angemessenen Leistungsniveaus für hilfebedürftige, kranke und behinderte Menschen originäre Aufgabe des Sozialstaates ist, dem sich dieser nicht durch die Förderung einer freiwilligen Zusatzversicherung für eine kleine Personengruppe entziehen kann.
Begründung (nur gegenüber dem Plenum):
Der "Nationale Sozialbericht 2012" stellt in Abschnitt 5.1 zu Recht unter dem Aspekt der demografischen Entwicklung erhebliche Herausforderungen im Bereich der Pflegepolitik fest. Die Zunahme der Zahl pflegebedürftiger Menschen führt zu steigenden Kosten in der Pflege. Darüber hinaus besteht in der Pflege die kurzfristige Herausforderung, den Fachkräftebedarf zu sichern. Hierzu bedarf es nicht nur guter Arbeitsbedingungen, sondern auch damit einhergehend leistungsgerechter Vergütungen für die in der Pflege beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Angemessene Löhne müssen sich in den Leistungssätzen der Pflegeversicherung abbilden.
Zu deren Deckung muss die Pflegeversicherung ihren Anteil, auch in Form hinreichend dynamisierter Leistungen, erbringen. Deshalb bedarf es einer Weiterentwicklung des Finanzierungssystems innerhalb der gesetzlichen Pflegeversicherung.
Die durch das PNG eingeführten Leistungen können zwar helfen, diese Herausforderungen im Sinne der pflegebedürftigen Menschen und ihrer Angehörigen zu bewältigen, sie bleiben aber weit hinter den in Wissenschaft und Praxis seit langem anerkannten und unter anderem im Beschluss "Reform der Pflegepolitik" (vergleiche Beschluss der Arbeits- und Sozialministerkonferenz vom 23./24. November 2011, TOP 5.1 Buchstabe b) erneut umfassend niedergelegten Handlungserfordernissen zurück. Das PNG ist daher nicht als "maßgeblicher Beitrag", sondern bestenfalls als erster Schritt auf dem Weg zur Bewältigung der pflegepolitischen Herausforderungen einzuordnen. Die Notwendigkeit deutlich weitergehender Reformen wäre ausdrücklich festzustellen gewesen, statt nur in einer Fußnote auf den Beratungsprozess des Expertenbeirats "Pflegebedürftigkeitsbegriff" zu verweisen, der zudem mit Blick auf die Gesamtdauer einer Legislaturperiode viel zu spät angestoßen wurde und die dringend erforderlichen Änderungen nun weiter verzögert.
Zur Bewältigung der Herausforderungen und insbesondere zur Sicherstellung der finanziellen Stabilität der Gesundheits- und Langzeitpflege stellt die in Abschnitt 5.2 dargestellte Einführung einer Pflege-Vorsorgeförderung kein taugliches Mittel dar. Einer wachsenden Zahl insbesondere von Haushalten älterer Menschen mit unterdurchschnittlichem Einkommen fehlen die finanziellen Mittel zur Finanzierung eines individuellen, umlageunabhängigen Versicherungssystems. Bei ohnehin knappen finanziellen Mitteln können einkommensschwache Familien nicht noch mindestens 120 Euro im Jahr pro Person für eine weitere Versicherung zurücklegen. Die vergangene Wirtschaftskrise hat zudem gezeigt, dass private Vorsorgesysteme von Finanzmarktentwicklungen weitaus abhängiger sind als umlagefinanzierte Systeme und damit auch deutlich krisenanfälliger. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass die Einführung der Pflege-Vorsorgeförderung auf Grund der geringen Zahl der zu erwartenden Antragsteller die aktuellen tiefgreifenden finanziellen Probleme der Pflegeversicherung nicht zu lösen vermag.
- 2. Zu Abschnitt 5.1
Im Nationalen Sozialbericht führt die Bundesregierung in Abschnitt 5.1 "Hauptmaßnahmen zur Verbesserung des Zugangs, der Qualität und Angemessenheit der Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege 2011 und 2012" auf, dass sie derzeit eine gesundheitliche Präventionsstrategie erarbeitet.
Der Bundesrat weist darauf hin, dass auch von Seiten der Länder Strategien erarbeitet werden. Die Ansätze der Länder zur Verbesserung der Gesundheitsförderung und der gesundheitlichen Prävention finden in der vorliegenden Fassung des Nationalen Sozialberichts keine Berücksichtigung. Dem Sozialschutzausschuss und der Kommission gegenüber sollte deutlich gemacht werden, dass auch die Länder bei der Gesundheitsförderung und Prävention, der Schaffung gesetzlicher Grundlagen und deren Umsetzung eine wesentliche Rolle spielen.
B
- 3. Der federführende Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik, der Ausschuss für Frauen und Jugend, der Ausschuss für Kulturfragen und der Wirtschaftsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von dem Bericht Kenntnis zu nehmen.