884. Sitzung des Bundesrates am 17. Juni 2011
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Finanzausschuss (Fz) und der Rechtsausschuss (R) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß § § 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Eine von allen Mitgliedstaaten mitgetragene EU-weite einheitliche und konsolidierte Bemessungsgrundlage bietet die Chance, die Transparenz der Unternehmensbesteuerung zu erhöhen, die Befolgungskosten für die Unternehmen zu reduzieren, bestehende Hindernisse für den Binnenmarkt zu beseitigen und grenzüberschreitende Tätigkeiten zu erleichtern. Insofern begrüßt und unterstützt der Bundesrat die Bestrebung der Kommission zur Schaffung einer einheitlichen und konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage.
- 2. Diese sollte allerdings nicht auf Körperschaften beschränkt, sondern auch für Personengesellschaften eröffnet werden.
- 3. Die positiven Effekte einer stärkeren Steuerharmonisierung werden nur dann eintreten, wenn die einheitlichen Unternehmenssteuerregeln in allen Mitgliedstaaten gelten. Denn nur eine in allen Mitgliedstaaten geltende harmonisierte Bemessungsgrundlage verhindert gezielte Anreize einzelner Staaten zur Verlagerung von Besteuerungssubstrat - beispielsweise bei der Besteuerung betrieblicher Zinsen oder Lizenzgebühren. Eine Harmonisierung des Unternehmenssteuerrechts darf nicht dazu beitragen, deutsches Besteuerungssubstrat zu gefährden. Diese Gefahr besteht, wenn nur wenige Staaten im Wege der verstärkten Zusammenarbeit die gemeinsamen Regeln einführen. Staaten, die sich der verstärkten Zusammenarbeit entziehen, könnten durch neue - auf die GKKB ausgerichtete - Anreizsysteme den Steuerwettbewerb in Europa neu anheizen.
- 4. Eine Wahlmöglichkeit der Unternehmen zur Inanspruchnahme der Richtlinie (vgl. Artikel 6 des Richtlinienvorschlags) ist abzulehnen. Sie führt zu einem erheblichen Mehraufwand für Unternehmen und Finanzverwaltung. Die Optionalität begünstigt zudem die "Entstrickung" der in einem Mitgliedstaat erwirtschafteten stillen Reserven zugunsten eines anderen Mitgliedstaats mit einem möglicherweise niedrigeren Steuersatz (Auslagerung von Besteuerungssubstrat).
- 5. Gegen die Harmonisierung der Gewinnermittlung in der vorgeschlagenen Form bestehen keine grundsätzlichen Bedenken.
Zu unterstützen ist die Kommission zudem in ihren Bestrebungen, eine einfache und breite Bemessungsgrundlage zu erreichen. Eine breite Bemessungsgrundlage möglichst ohne Sonderregelungen und Sondervergünstigungen für bestimmte Branchen oder Gruppen erhöht die Transparenz eines Steuersystems und ermöglicht niedrigere Steuersätze bei gleich bleibenden Steuereinnahmen.
- 6. Es ist allerdings für Deutschland zu befürchten, dass insbesondere die beabsichtigte Behandlung von Forschungs- und Entwicklungskosten und die Bewertung von Pensionsrückstellungen nicht zu einer Verbreiterung, sondern zu einer Verringerung der Bemessungsgrundlage führen werden.
- 7. An der im Richtlinienvorschlag vorgesehenen Konsolidierung (vgl. Artikel 54 ff. des Richtlinienvorschlags) sollte weiterhin festgehalten werden. Eine Harmonisierung der Bemessungsgrundlagen - ohne gleichzeitige Konsolidierung (sog. GKB) - ist allein nicht ausreichend, um die mit dem Richtlinienvorschlag verfolgten Ziele (Beseitigung der Verrechnungspreisproblematik, Ermöglichung eines grenzüberschreitenden Verlustausgleichs, Reduzierung der Befolgungskosten) zu erreichen. Eine Strategie in zwei Schritten - zuerst nur eine einheitliche Bemessungsgrundlage und zu einem späteren Zeitpunkt eine Konsolidierung - ist als Alternative abzulehnen. Nicht sichergestellt werden könnte, dass der einheitlichen Bemessungsgrundlage in einem zweiten Schritt auch die Konsolidierung folgt. Manche Staaten würden möglicherweise die Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage mittragen, die spätere Konsolidierung jedoch ablehnen. In diesem Fall hätten die Bundesrepublik Deutschland und die einzelnen Länder ihre nationale Gesetzgebungskompetenz für das Unternehmenssteuerrecht verloren, ohne einen wirklichen Gegenwert hierfür zu erhalten.
Nach Ansicht des Bundesrates ist eine Konsolidierung allerdings nur dann akzeptabel, wenn sie von einer Harmonisierung der Steuersätze und einer gerechten Aufteilung begleitet wird, die weder Deutschland einseitig benachteiligt, noch missbräuchliche Gestaltungen zulässt. Hiervon ist derzeit (noch) nicht auszugehen.
- 8. Der im Richtlinienvorschlag vorgesehene Verteilungsmechanismus (vgl. Artikel 86 ff. des Richtlinienvorschlags) erlaubt derzeit keine sachgerechte Verteilung des Steuersubstrats auf die beteiligten Mitgliedstaaten.
- 9. So werden Hochtechnologiestaaten wie die Bundesrepublik Deutschland dadurch benachteiligt, dass der Wert selbst geschaffener immaterieller Wirtschaftsgüter in die Aufteilung der Bemessungsgrundlage nicht einbezogen wird.
- 10. Bedenklich erscheint auch, dass der Staat, in dem die Geschäftsleitung der Muttergesellschaft liegt, die Aufteilung vornimmt. Er nimmt die Aufteilung damit auch "in eigener Sache" vor, so dass stets die Besorgnis einer Benachteiligung der anderen aufkommensberechtigten Mitgliedstaaten besteht.
- 11. Der Bundesrat hat bereits mehrfach (vgl. BR-Drucksache 971/01(B) ; BR-Drucksache 281/06(B) ; BR-Drucksache 463/07(B) ) die Befürchtung geäußert, dass die einseitige Strategie der Kommission zugunsten einer Harmonisierung der körperschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage ohne gleichzeitige Angleichung der Nominalsteuersätze einen zusätzlichen Steuerwettlauf bei der Besteuerung mobiler Wirtschaftsfaktoren auslöst. Durch eine solche Steuersenkungsspirale verlieren letztlich alle Mitgliedstaaten immer mehr Steuersubstrat. Die Harmonisierung der Bemessungsgrundlage sollte daher zwingend von einer Harmonisierung der Steuersätze - Schaffung zumindest einer substanziellen Begrenzung des Steuersatzes nach unten - begleitet werden.
- 12. Nach deutschem Recht sind Unternehmen neben der Körperschaftsteuer auch mit der Gewerbesteuer belastet. Da die Gewerbesteuer nicht Gegenstand des Richtlinienvorschlags ist, käme es im Fall der Verabschiedung der Richtlinie zu einem Auseinanderfallen von (neuer) europäischer GKKB und (bisheriger) deutscher Bemessungsgrundlage für die Ermittlung des steuerpflichtigen Gewinns für die Gewerbesteuer. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Mehrzahl der deutschen Unternehmen als Personenunternehmen organisiert ist. Diese Unternehmen werden vom Richtlinienvorschlag der Kommission nicht erfasst. Eine Verabschiedung der vorgeschlagenen Richtlinie hätte damit zur Folge, dass sich die deutsche Steuerverwaltung und die Justiz für eine Minderheit der Unternehmen auf zwei steuerliche Regelungen über die Bemessungsgrundlage einstellen müssten. Der hierdurch verursachte erhebliche Aufwand lässt sich aber nur dann rechtfertigen, wenn damit ein deutlich reduzierter Verwaltungsaufwand bei den betroffenen Unternehmen mit grenzüberschreitender Tätigkeit verbunden ist.
- 13. Der Richtlinienvorschlag ist darüber hinaus in einer Vielzahl weiterer Punkte änderungs- bzw. ergänzungsbedürftig. Er sollte vor diesem Hintergrund grundlegend überarbeitet werden. Dies gilt vor allem auch für die administrativen Regelungen im Richtlinienvorschlag. Die Einführung einer GKKB darf nicht dazu führen, dass die Unternehmen ihren steuerlichen Sitz in Europa frei wählen können. Auch dürfen die Rechte der Länderfinanzverwaltungen beim Steuervollzug nicht eingeschränkt werden.
- 14. Es ist zu erwarten, dass die Einführung einer GKKB mit erheblichen Steuermindereinnahmen für Deutschland verbunden ist. Für eine abschließende Bezifferung der haushaltsmäßigen Auswirkungen ist es derzeit allerdings zu früh. Mit der Planung einer Evaluierung der Wirkungen der GKKB sollte zeitnah begonnen werden, da die Erstellung eines Modells bzw. die Durchführung eines Planspiels einen erheblichen Zeitaufwand beanspruchen dürfte.
- 15. Die Einführung einer gemeinsamen und konsolidierten Bemessungsgrundlage ist ein überaus ambitioniertes Ziel, das sich nicht kurzfristig verwirklichen lässt. Angesichts der beträchtlichen Auswirkungen, die ein gemeinsames europäisches Unternehmenssteuerrecht mit sich bringen wird, ist es jedoch unerlässlich, dass sich die Länder frühzeitig in die Diskussion einschalten und die aus ihrer Sicht notwendigen Eckpunkte für eine Zustimmungsfähigkeit zur Haltung Deutschlands verdeutlichen. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe sollte zu diesem Zweck - wie bereits angekündigt - zeitnah einberufen werden.
Eine aktive und konstruktive Mitarbeit Deutschlands zu dem Richtlinienvorschlag in den europäischen Gremien ist in diesem Zusammenhang anzustreben.
Die Frage, ob eine Zustimmung Deutschlands zum Richtlinienvorschlag erfolgen soll, sollte so lange offen bleiben, bis alle Bestandteile des Richtlinienvorschlags abschließend bewertet sind.
- 16. Der Bundesrat begrüßt es, dass die Kommission mit dem in Artikel 126 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags enthaltenen Verweis auf die Anwendbarkeit der nationalen Prozessordnungen die grundsätzliche Kompetenz der Mitgliedstaaten zur Regelung dieses Rechtsbereichs berücksichtigt hat.
- 17. Der Bundesrat spricht sich aber dafür aus, in der Richtlinie noch umfassender auf die Vorschriften des nationalen Gerichtsverfassungs- und Prozessrechts zu verweisen. Im Richtlinienvorschlag vorgesehene Sonderregelungen zum nationalen Gerichtsverfassungs- und Prozessrecht sollten auf das absolut Unerlässliche beschränkt bleiben.
- 18. Soweit der Kommissionsvorschlag in Artikel 125 Absatz 6 eine einheitliche Klagefrist von 60 Tagen vorsieht, ist der Bundesrat der Auffassung, dass dieser Eingriff in die mitgliedstaatlichen Prozessordnungen vom Anwendungsbereich der Rechtsgrundlage des Artikels 115 AEUV nicht gedeckt ist.
Es ist nicht ersichtlich, dass sich die mitgliedstaatlichen Regelungen zu den Klagefristen im Sinne dieser Vorschrift unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken würden.
Auch wenn eine unionsweit einheitliche Klagefrist für bestimmte Unternehmen eine "Vereinfachung" bedeuten könnte, rechtfertigt dieser Umstand eine entsprechende Harmonisierung noch nicht. Eine solch weite Auslegung der Kompetenznorm würde die begrenzende Wirkung des Artikels 115 AEUV leerlaufen lassen. Sie würde dazu führen, dass auch eine vollständige Harmonisierung des Verfahrens- und Prozessrechts der Mitgliedstaaten als "vereinfachende" Harmonisierung zulässig wäre. Dies würde die verfassungsrechtlichen Grenzen der erfolgten Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU überschreiten.
- 19. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
B
- 20. Der Wirtschaftsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß § § 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.