Der Bundesrat hat in seiner 882. Sitzung am 15. April 2011 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass Nuklearforschung auch in Zukunft unerlässlich sein wird. Dies gilt insbesondere für den Bereich medizinischer und technischer Anwendungen (etwa Materialforschung). Dabei ist jedoch erforderlich, die geltenden Sicherheitsstandards fortlaufend weiterzuentwickeln.
- 2. In dem "Europäischen Strategieplan für Energietechnologie (SET-Plan) - Der Weg zu einer kohlenstoffemissionsarmen Zukunft" vom 22. November 2007 (KOM (2007) 723 endg.) werden zahlreiche Maßnahmen beschrieben, um in der Energiepolitik den Herausforderungen des Klimawandels, der Energieversorgungssicherheit und der Wettbewerbsfähigkeit gerecht zu werden. Dabei werden sowohl die Kernspaltung als auch die Kernfusion im SET-Plan als Energietechnologien genannt, die Europa aufrechterhalten, entwickeln und anwenden muss, um seine kurz- und längerfristigen energiepolitischen Ziele zu erreichen. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass im Lichte der Erfahrungen aus der Katastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima auf europäischer Ebene ein schneller Ausstieg aus der Kernspaltung als Energietechnologie angestrebt werden muss.
- 3. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung dazu auf, sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass der SET-Plan sofort und grundlegend mit der Zielrichtung überarbeitet wird, einen Ausstieg aus der Atomenergie zu beschleunigen und den entsprechenden Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben.
- 4. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, im Rahmen der grundlegenden Überarbeitung des SET-Plans einen breiten nationalen und europäischen Diskurs über die Beendigung der Nutzung der Kernenergie zu befördern.
- 5. In Anbetracht der bevorstehenden finanziellen Herausforderungen beim Ausbau der erneuerbaren Energien bewertet der Bundesrat die Kostensteigerung bei der Entwicklung des "Internationalen Thermonuklearen Experimental Reaktors" (ITER) äußerst kritisch. Für die kurz- und mittelfristig zu bewältigende Energiewende stellt das ITER-Projekt keine in absehbarerer Zeit verfügbare Alternative dar. Der Bundesrat spricht sich deswegen für eine verbindliche Kostendeckelung aus, damit weitere Kostensteigerungen nicht zu Lasten wichtiger Zukunftsinvestitionen aus den nationalen und europäischen Forschungsetats führen.
- 6. Der Bundesrat stellt fest, dass eine endgültige Entscheidung über die Finanzierung der Kostensteigerung des ITER-Projekts bislang noch nicht getroffen wurde. Er bedauert, dass eine Einigung im Rahmen des Aufstellungsverfahrens zum Haushalt 2011 nicht erfolgt ist.
- 7. Die Kommission hat in dem vorliegenden Beschlussvorschlag keinen hinreichenden Finanzierungsvorschlag vorgelegt. Die Erwähnung, dass eine Umschichtung aus anderen Rubriken erfolgen soll, ohne diese genau anzugeben, hält der Bundesrat für nicht ausreichend. Die Höhe der geplanten Umschichtungen zwischen den Rubriken sieht der Bundesrat äußerst kritisch.
- 8. Der Bundesrat bekräftigt seine Auffassung, wonach zusätzliche Ausgaben vorrangig durch interne Mittelumschichtung zu finanzieren sind. Nicht verbrauchte Finanzmittel sollten an die Mitgliedstaaten erstattet werden (BR-Drucksache 667/10(B) , Ziffer 38).
- 9. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass in Europa gemeinsame, verbindliche Sicherheitsstandards auf höchstem Niveau für alle Atomkraftwerke verpflichtend werden. Als Maßstab ist der Stand von Wissenschaft und Technik bei der Hochwasser- und Erdbebenauslegung sowie bei weiteren denkbaren externen Ereignissen (wie z.B. extreme Wetterbedingungen auf Grund des Klimawandels, Flugzeugabsturz, Cyberangriff und Pandemie) heranzuziehen. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere auch die Kombinationswirkung unterschiedlicher Ereignisse.
- 10. Vor dem Hintergrund des anzustrebenden Ausstiegs aus der Atomenergie als Energietechnologie sollte das Rahmenprogramm der Europäischen Atomgemeinschaft für Forschungs- und Ausbildungsmaßnahmen im Nuklearbereich (2012 bis 2013) keine Forschungsarbeiten zur Entwicklung von neuen Reaktorsystemen zum Gegenstand haben. Die Förderung der Tätigkeiten der Gemeinsamen Forschungsstelle (JRC) sollte sich auf die Bereiche beschränken, die in engem Zusammenhang mit der sicheren und geordneten Beendigung der Kernenergienutzung und damit verbunden mit der Erforschung der Sicherheit möglicher Endlagerungsformationen stehen. Forschungsmittel, die für die Entwicklung neuer Reaktorsysteme und damit mittelbar für den Neubau oder die Erweiterung von Kernkraftwerken eingesetzt werden, sollten kurzfristig umgeschichtet für die Weiterentwicklung der nuklearen Sicherheit des Bestandes eingesetzt sowie für die Erforschung einer noch effizienteren Nutzung erneuerbarer Energien genutzt werden.