933. Sitzung des Bundesrates am 8. Mai 2015
A
Der federführende Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zum Gesetzentwurf insgesamt
- a) Der Bundesrat weist auf die herausragende Bedeutung einer leistungsfähigen föderalen Sicherheitsarchitektur für den Erhalt einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung und die Lebensqualität aller Menschen in der Bundesrepublik Deutschland hin.
- b) Der Bundesrat bekräftigt dabei angesichts der internationalen extremistischen Sicherheitsbedrohungen das Prinzip des Grundgesetzes, dem zufolge Menschenwürde und Freiheit nur in einer wehrhaften Demokratie dauerhaft gewährleistet sind.
- c) Der Bundesrat begrüßt die Absicht der Bundesregierung, die begonnene Reform des Verfassungsschutzes durch gesetzgeberische Maßnahmen fortzuführen. Die wesentlichen Ziele des Gesetzentwurfs, die Zentralstellenfunktion des Bundesamts für Verfassungsschutz näher auszuformen und die Analysefähigkeit sowie die Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden weiter zu verbessern, werden unterstützt.
- d) Der Bundesrat lehnt allerdings die vorgesehene Erweiterung operativer Zuständigkeiten des Bundesamts für Verfassungsschutz für sämtliche, auch nicht länderübergreifende gewaltorientierte Bestrebungen ab. Aus dem schlichten Gewaltbezug allein kann noch nicht auf eine generelle Betroffenheit des Bundes geschlossen werden. Die politische Verantwortlichkeit für die darauf gestützten Maßnahmen ist nicht mehr klar zuzuordnen. Die im Gesetzentwurf vorgesehene bloße Kenntnisgabe ("Benehmen") reicht nicht aus; der Bundesrat erachtet eine Änderung durch Einführung eines echten Zustimmungsvorbehalts ("Einvernehmen") im Sinne der föderalen Sicherheitsarchitektur für zwingend geboten.
- e) Der Bundesrat hält es im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot für bedenklich, dass der Gesetzentwurf in § 9b BVerfSchG-E bei bestimmten strafrechtlichen Verurteilungen eine Anwerbung und den Einsatz von V-Personen nur grundsätzlich ausschließt, ohne die Ausnahmen im Gesetz zu benennen.
2. Zu Artikel 1 Nummer 5 (§ 9a Absatz 1 Satz 2 BVerfSchG)
In Artikel 1 § 9a Absatz 1 ist Satz 2 zu streichen.
Begründung:
Die Regelung des § 9a Absatz 1 Satz 2 (i. V.m. § 9b Absatz 1 BVerfSchG-E) zum Einsatz menschlicher Quellen ist abzulehnen:
"Ein dauerhafter Einsatz zur Aufklärung von Bestrebungen nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 und 4 BVerfSchG ist nur bei Bestrebungen von erheblicher Bedeutung zulässig, insbesondere wenn sie darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden." In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es dazu:
"In den Fällen des § 3 Absatz 1 Nummer 1 und 4 BVerfSchG sind jedoch bei legalistischen Bestrebungen Einschränkungen geboten. Hier soll nur ausnahmsweise unter einer Gesamtwürdigung der Gefährlichkeit der Bestrebung - insbesondere im Hinblick auf Größe, Einfluss und Abschottung - ein Einsatz zulässig sein. Diese Einschränkung dient der effizienten Ressourcensteuerung und definiert eine abstrakte Angemessenheitsschwelle." Die Behauptung, die Einschränkung sei "geboten" und "angemessen" ist weder tatsächlich noch rechtlich begründet. Eine langfristige Aufklärung im legalistischen Bereich - und zwar in allen Phänomenbereichen - wird unter diesen Umständen nicht mehr möglich sein. Die Führung von menschlichen Quellen ist die wichtigste Befugnis des Verfassungsschutzes. Sie zu schwächen wäre ein großer Fehler. Dadurch gingen wesentliche Erkenntnisse verloren, die mittelfristig auch für die Beobachtung und Bekämpfung gewaltorientierter Gruppierungen von Bedeutung sind. Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung gehen gerade nicht nur von gewaltbereiten Gruppierungen aus. Die besondere Gefahr von legalistisch agierenden Gruppierungen liegt gerade darin, sich im Verborgenen weiterzuentwickeln und sich unbehelligt von Polizei und Öffentlichkeit zu verbreiten. Gerade die Beobachtung dieser verfassungsfeindlichen Bestrebungen im Vorfeld polizeilicher Handlungsmöglichkeiten stellt eine Hauptaufgabe des Verfassungsschutzes dar, die nicht mehr zu erfüllen wäre, könnte das wichtigste nachrichtendienstliche Mittel nicht mehr eingesetzt werden.
B
- 3. Der Rechtsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.