871. Sitzung des Bundesrates am 4. Juni 2010
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat verweist auf seine Stellungnahmen vom 16. März 2010 (BR-Drucksache 113/10(B) ) sowie vom 7. Mai 2010 (BR-Drucksache 113/10(B) (2)).
Er betont angesichts der aktuellen Diskussionen zum Ziel "Armut und soziale Ausgrenzung", dass in weiten Bereichen der Sozialpolitik die Mitgliedstaaten und die Regionen die richtigen und bürgernahen Ebenen für politisches und rechtliches Handeln sind. Die soziale Wirklichkeit in Europa und den Mitgliedstaaten ist vielschichtig und durch unterschiedliche regionale, historische und soziale Besonderheiten bedingt. Dies wird durch das 2010 stattfindende Europäische Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung verdeutlicht; es trägt auch dazu bei, das Verständnis für die Problematik von Armut und sozialer Ausgrenzung bei den Bürgerinnen und Bürgern weiter zu erhöhen. Die Vereinbarung eines europäischen Ziels kann vor diesem Hintergrund die soziale Dimension der EU verdeutlichen.
- 2. Aus Sicht des Bundesrates muss ein europäisches Ziel, die Zahl der von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffenen Menschen um einen bestimmten Wert zu senken, realistisch sein. Weiter ist erforderlich, dass es der Vielschichtigkeit von Armut und sozialer Ausgrenzung Rechnung trägt. Es muss ferner berücksichtigen, dass Arbeit der beste Schutz gegen Armut und soziale Ausgrenzung ist; dabei sind eine ausreichende Vergütung und Qualität wichtig. Diese Aspekte gelten erst recht für die nationalen Ziele. Angesichts des Gestaltungsspielraums der Mitgliedstaaten in der Sozialpolitik spricht sich der Bundesrat für einen "großen Korb" an möglichen nationalen Zielen und Indikatoren aus, aus dem jeder Mitgliedstaat seinen nationalen Schwerpunkt auswählen kann.
- 3. Der Bundesrat betont, dass die mit der Leitinitiative "Europäische Plattform zur Bekämpfung von Armut" geplante Verstärkung der Offenen Methode der Koordinierung in diesem Bereich den Vorgaben von Artikel 153 Buchstabe j AEUV widerspricht, der der EU eine unterstützende und ergänzende Rolle zuweist. Der Bundesrat spricht sich gegen den vorgesehenen Mechanismus bestehend aus verbindlichem nationalen Ziel im Bereich Armut und soziale Ausgrenzung und der Kontrolle und Überwachung durch die Kommission aus. Er befürwortet eine Fortführung des erfolgreichen Prozesses des freiwilligen Voneinanderlernens in den Bereichen Armut und soziale Eingliederung, Rente und Gesundheit. (vgl. BR-Drucksachen 502/08(B) , 113/10(B) , 188/10(B) ).
- 4. Der Bundesrat hält eine Abstimmung der insbesondere im Rahmen der Leitinitiativen der EUROPA-2020-Strategie genannten Maßnahmen mit bereits bestehenden Prozessen und Maßnahmen für dringend erforderlich, um die Übersichtlichkeit zu wahren sowie Doppelungen der Prozesse und Berichtspflichten zu vermeiden. Dies gilt z.B.
- - für den geplanten Rahmen zur Jugendbeschäftigung im Verhältnis zur EU-Strategie für die Jugend aus 2009 und zum Europäischen Jugendpakt aus 2005 sowie
- - für die geplante neue Agenda zur Integration von Migranten im Verhältnis zum bereits im Stockholmer Programm 2009 enthaltenen gemeinsamen Koordinierungsmechanismus für die nationalen integrationspolitischen Maßnahmen.