869. Sitzung des Bundesrates am 7. Mai 2010
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU) und der Ausschuss für Kulturfragen (K) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat nimmt die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 26. März 2010 zur Kenntnis und verweist auf seine Stellungnahme vom 16. März 2010 (vgl. BR-Drucksache 113/10(B) ). Mit Blick auf die anstehenden Beratungen im Bildungsministerrat wiederholt der Bundesrat die Ablehnung quantitativer nationaler Zielvorgaben durch die EU im Bildungsbereich, insbesondere, wenn diese mit einer formalisierten Überwachung und Bewertung verbunden werden sollen.
- 2. Vor dem Hintergrund der am 25./26. März 2010 angenommenen Schlussfolgerungen des Europäischen Rates sieht sich der Bundesrat gezwungen, seine Ablehnung quantitativer spezifischer Zielvorgaben für einzelne Mitgliedstaaten im Bildungsbereich nochmals zu erläutern - vgl. zuletzt: BR-Drucksache 113/10(B) -. Die von der Kommission geforderte Setzung nationaler Ziele zum Anteil der Schulabbrecher und zur Quote der Hochschulabschlüsse weist der Bundesrat als nicht vertragskonform zurück, da sie dem Kompetenzgefüge der Verträge widerspricht und die Bildungshoheit der Mitgliedstaaten bzw. in Deutschland der Länder verletzt. (bei Annahme entfällt Ziffer 12)
- 3. Der Bundesrat hält die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates hinsichtlich nationaler Ziele im Bildungsbereich insoweit für vertragswidrig, als die Schlussfolgerungen in Bezug auf die Festlegung, Überwachung und Bewertung der nationalen Ziele nicht der vertraglichen Kompetenzverteilung im Bildungsbereich Rechnung tragen, sondern eine Gleichbehandlung des Bildungsbereichs mit vergemeinschafteten Politikbereichen vorsehen. Der Bundesrat weist darauf hin, dass Schlussfolgerungen des Europäischen Rates die vertraglich festgelegte Kompetenzverteilung nicht abändern und deshalb den Bildungsbereich keinem Modus unterwerfen können, der nur für vergemeinschaftete Politikbereiche gelten kann. (bei Annahme entfällt Ziffer 4)
- 4. Vor diesem Hintergrund laufen die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates hinsichtlich der von der Kommission geforderten Setzung nationaler Ziele zum Anteil der Schulabbrecher und zur Quote der Hochschulabschlüsse dem Kompetenzgefüge der EU-Verträge entgegen.
- 5. So dürfen sich die vorgesehenen formalen Steuerungs- und Überwachungsinstrumente angesichts der eindeutigen Vertragslage ausschließlich auf die vertraglich festgelegten Bereiche beschränken.
- 6. Insbesondere ist die Nutzung der in Artikel 121 AEUV vorgesehenen Verwarnmöglichkeit beispielsweise nur im Hinblick auf die Grundzüge der Wirtschaftspolitik möglich. Verwarnungen an Mitgliedstaaten im Bereich der Bildungspolitik sind somit ausgeschlossen.
- 7. In den weiteren Verhandlungen ist daher sicherzustellen, dass es zu keiner faktischen Gleichstellung des Bildungsbereichs mit Politikbereichen kommt, für die weitergehende Steuerungs- und Überwachungsinstrumente vorgesehen sind.
- 8. Ansonsten würden Unionskompetenzen im Bildungsbereich unzulässig ausgeweitet werden. Dadurch würde nicht nur die Vielfalt der Bildungssysteme in der EU, sondern auch die Kulturhoheit der Länder unterwandert und das Subsidiaritätsprinzip missachtet. (bei Annahme entfällt Ziffer 9)
- 9. Auf diese Weise werden die im Vertrag sehr eng gefassten Unionskompetenzen im Bildungsbereich unzulässig ausgeweitet, wodurch nicht nur die Vielfalt der Bildungssysteme in der EU, sondern auch die Kulturhoheit der Länder unterwandert und das Subsidiaritätsprinzip missachtet wird.
- 10. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, im Rahmen der Tagungen des Europäischen Rates Vorschläge zur Europa-2020-Strategie abzulehnen, die dazu geeignet sind, die eigenständige Politikgestaltung der Länder in der Bundesrepublik Deutschland im Bildungsbereich einzuschränken. (bei Annahme entfällt Ziffer 12)
- 11. Unbeschadet seiner generellen Ablehnung von EU-Vorgaben für die Setzung quantitativer nationaler Ziele im Bildungsbereich begrüßt der Bundesrat, dass in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates neben Hochschulabschlüssen auch weitere "gleichwertige Abschlüsse" im Rahmen der Bildungsziele anerkannt werden. Dies ist Voraussetzung dafür, dass die besondere Situation in Deutschland im Hinblick auf das berufliche Ausbildungssystem angemessen berücksichtigt werden kann. In den weiteren Verhandlungen ist sicherzustellen, dass unter "gleichwertige Abschlüsse" auch postsekundäre Ausbildungen, u. a. die voll- und teilzeitschulische berufliche Bildung sowie Weiterbildungskurse anderer Anbieter fallen, unabhängig davon, ob diese das Abitur oder eine abgeschlossene Berufsausbildung voraussetzen.
- 12. Mit dieser Einschränkung unterstützt der Bundesrat auch grundsätzlich die Festlegung, dass die Mitgliedstaaten ihre nationalen Ziele entsprechend ihrer jeweiligen Ausgangslage und ihren nationalen Gegebenheiten unter Berücksichtigung der Kernziele der EUROPA-2020-Strategie nach ihren nationalen Beschlussfassungsverfahren festlegen. Der Bundesrat ist damit einverstanden, dass zur Prüfung der Vereinbarkeit mit den EU-Kernzielen ein Dialog mit der Kommission stattfinden soll. Dafür ist aber ein ausreichender zeitlicher Rahmen einzuräumen; dies umso mehr, als in Deutschland aufgrund der Zuständigkeiten für den Bildungsbereich eine Abstimmung zwischen den Ländern erforderlich ist. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die Länder bei diesem Dialog auf europäischer Ebene entsprechend der innerstaatlichen Kompetenzverteilung zu beteiligen. (entfällt bei Annahme von Ziffer 2 oder Ziffer 10)
- 13. Der Bundesrat regt an, mehr Augenmerk auf die sprachliche Gestaltung und Übersetzung zu richten, da teilweise die verwendeten Formulierungen insbesondere in der deutschen Sprachfassung nicht dem angekündigten partnerschaftlichen Dialog entsprechen (z.B. die Übersetzung des "monitoring mechanism" mit "Überwachungssystem").