Unterrichtung durch die Bundesregierung
Stellungnahme der Bundesregierung zu der Entschließung des Bundesrates zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung
(SGB V)

Bundesministerium für Gesundheit Berlin, 29. September 2017
Parlamentarische Staatssekretärin

An die Präsidentin des Bundesrates
Frau Ministerpräsidentin
Malu Dreyer

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
der Bundesrat hat in seiner 954. Sitzung am 10. März 2017 eine Entschließung zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) gefasst (Bundesratsdrucksache 100/17 (PDF) ). Darin bittet er die Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode um einen Bericht zur Situation der Solo-Selbstständigen, deren sozialer Absicherung und zur Haltung der Bundesregierung zur Unterstützung der Solo-Selbstständigen, sowie um Vorschläge für geeignete Unterstützungsmaßnahmen und weitere Vorschläge.

Dieser Berichtsbitte kommt die Bundesregierung mit anliegendem Bericht nach.

Mit freundlichen Grüßen
Annette Widmann-Mauz

Bericht der Bundesregierung zur Situation der Solo-Selbstständigen und deren sozialer Absicherung

Die Bundesregierung kommt der Bitte des Bundesrates nach, noch in dieser Legislaturperiode einen Bericht zur Situation der Solo-Selbstständigen und deren sozialer Absicherung vorzulegen (siehe "Entschließung zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V)" vom 10. März 2017, Bundesratsdrucksache 100/17 (PDF) ).

Im Dezember 2016 hat die Bundesregierung die vorhandenen Erkenntnisse zur sozialen Lage und Absicherung von Solo-Selbstständigen in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Herbert Behrens, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion die LINKE. umfassend dargestellt (Bundestagsdrucksache 18/10762). Darin enthalten sind detaillierte Auswertungen statistischer Daten zur Entwicklung und Struktur von Solo-Selbstständigkeit (siehe Bundestagsdrucksache 18/10762, Fragen 1 - 24, Seiten 3 - 7 sowie Tabellenanhang auf Seiten 78 - 121) und zur wirtschaftlichen und sozialen Lage im Bereich der Solo-Selbstständigkeit (a.a. O., Fragen 25 - 42, Seiten 7 - 19) sowie ausführliche Informationen zur sozialen Absicherung von Solo-Selbstständigkeit (a.a. O., Fragen 55 - 155, Seiten 22 - 75, 122 - 140). Als Informationsquelle zur Solo-Selbstständigkeit diente zuvorderst der Mikrozensus sowie der Forschungsbericht 465 "Solo-Selbständige in Deutschland - Strukturen und Erwerbsverläufe", den die DIW Econ GmbH als Kurzexpertise für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) erstellt hat und der auf der Internetseite des BMAS veröffentlicht ist. Die Bundesregierung hat zudem die in jüngerer Zeit vorgelegten Veröffentlichungen und Studien, wie z.B. die bereits im Sommer 2016 veröffentlichte Studie des IGES-Instituts im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung zur Einbeziehung der Selbstständigen in die gesetzliche Krankenversicherung, des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (Haun, Jacobs 2016: Die Krankenversicherung von Selbstständigen, In: Gesundheit und Gesellschaft, Jg. 16, Heft 1 (Januar), 22-30) oder die im Juni 2017 präsentierte Expertise des Instituts für Gesundheitsökonomik - IfG "Wege zur Überwindung von Einstiegshürden für Teilzeit-Selbstständige: Belastungen durch Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge" durch Prof. Dr. Günter Neubauer zur Kenntnis genommen.

In der Begründung seiner Berichtsbitte geht der Bundesrat - entsprechend der Überschrift seiner Entschließung - ausschließlich auf die Regelungen zur Beitragsbemessung in der gesetzlichen Krankenversicherung ein. Zur Absicherung von Solo-Selbstständigen in der gesetzlichen Krankenversicherung gilt Folgendes:

Die gesetzliche Krankenversicherung ist traditionell eine Solidargemeinschaft für Arbeitnehmer. Im Laufe der Jahrzehnte wurde der Versicherungsschutz auf bestimmte, als besonders schutzbedürftig angesehene Personenkreise erweitert, beispielsweise Arbeitslosengeldbezieher, Studenten oder Menschen mit Behinderungen in bestimmten Einrichtungen. Bei hauptberuflich Selbstständigen geht der Gesetzgeber bislang davon aus, dass sie des Schutzes der Solidargemeinschaft nicht im gleichen Umfang bedürfen, sondern in eigener Verantwortung Vorsorge treffen können. Mit der freiwilligen Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung hat der Gesetzgeber auch Selbstständigen unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit eingeräumt, sich in der gesetzlichen Krankenversicherung gegen Krankheit abzusichern (vgl. § 9 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - SGB V). Dies ist in der Regel der Fall, wenn der Betreffende vor Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit gesetzlich krankenversichert war. Selbständige Künstlerinnen und Künstler sowie Publizistinnen und Publizisten sind durch das Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) unter den dort geregelten Voraussetzungen in den Schutzbereich der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen.

Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung für hauptberuflich Selbstständige bemessen sich aus beitragspflichtigen Einnahmen für den Kalendertag in Höhe von mindestens dem vierzigsten Teil der monatlichen Bezugsgröße, die sich im Jahr 2017 auf 2.975 Euro beläuft (vgl. § 240 Absatz 4 SGB V). Die Mindestbeitragsbemessungsgrundlage beträgt somit derzeit monatlich 2.231,25 Euro. Überschreiten die Einkünfte der Versicherten diesen Wert, sind die entsprechenden Einnahmen bis zur sogenannten Beitragsbemessungsgrenze (2017: 4.350 Euro) beitragspflichtig.

Für hauptberuflich Selbstständige mit Einkünften, die nachweislich unterhalb der aktuellen Mindestbeitragsbemessungsgrundlage in Höhe von monatlich 2.231,25 Euro liegen, kann unter bestimmten Voraussetzungen die geringere Mindestbemessungsgrundlage für den Kalendertag in Höhe des sechzigsten Teils der Bezugsgröße (2017: 1.487,50 Euro) gelten. Gemäß § 240 Absatz 4 Satz 2 SGB V gilt dies für freiwillige Mitglieder, die einen monatlichen Gründungszuschuss nach § 93 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder eine entsprechende Leistung nach § 16b des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch erhalten. Zudem bestimmt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen in seinen "Einheitlichen Grundsätzen zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung und weiterer Mitgliedergruppen sowie zur Zahlung und Fälligkeit der von Mitgliedern selbst zu entrichtenden Beiträge (Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler)", unter welchen Voraussetzungen darüber hinaus der Beitragsbemessung hauptberuflich selbstständig Erwerbstätiger niedrigere Einnahmen, mindestens jedoch der sechzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße, zugrunde gelegt werden. Dabei sind insbesondere das Vermögen des Mitglieds sowie Einkommen und Vermögen von Personen, die mit dem Mitglied in Bedarfsgemeinschaft leben, zu berücksichtigen, um sachlich ungerechtfertigte Privilegierungen zu vermeiden (§ 240 Absatz 4 Satz 3 bis 4 SGB V in Verbindung mit den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler).

Für nebenberuflich Selbstständige, die freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, gilt als beitragspflichtige Einnahme für den Kalendertag mindestens der neunzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße, der im Jahr 2017 monatlich 991,67 Euro beträgt.

Die der Beitragsbemessung zugrundeliegenden Einnahmen werden bei Selbstständigen nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts festgelegt. Dies ermöglicht Selbstständigen anders als abhängig Beschäftigten eine gewisse Gestaltbarkeit ihres Einkommens. Die besonderen Mindestbemessungsgrenzen für freiwillig versicherte hauptberuflich Selbstständige dienen insoweit der Beitragsgerechtigkeit gegenüber den Arbeitnehmern. Durch sie wird der Vorteil aus der Beitragsbemessung aufgrund des Nettoprinzips typisierend ausgeglichen. Zudem ist es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts legitim, das "Unternehmerrisiko" des hauptberuflich Selbstständigen nicht über die Beitragsbemessung teilweise auf die Solidargemeinschaft der gesetzlich Krankenversicherten abzuwälzen. Es ist daher auch weiterhin sachgerecht, dass für Selbstständige andere Beitragsbemessungsregeln gelten als für Arbeitnehmer.

Für die Ermittlung der beitragspflichtigen Einnahmen für freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherte Selbstständige gilt grundsätzlich der aktuelle Einkommensteuerbescheid als Nachweis für das Arbeitseinkommen. Das über den letzten Einkommensteuerbescheid festgesetzte Arbeitseinkommen bleibt bis zur Erteilung des nächsten Einkommensteuerbescheides maßgebend.

Änderungen der Beitragsbemessung sind gemäß § 240 Absatz 4 Satz 6 SGB V bislang ausschließlich für die Zukunft relevant, es sei denn, es handelt sich um einen in den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler vorgesehenen Ausnahmefall (hauptberuflich selbstständige Existenzgründer oder bei Vorliegen einer unverhältnismäßigen Belastung). Diesbezüglich wurde mit dem zum 1. Januar 2018 in Kraft tretenden Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG) ein wichtiger Schritt zu mehr Beitragsgerechtigkeit für freiwillig versicherte Selbstständige getan. Durch die Änderung wird zukünftig ein neues Beitragsverfahrenssystem für freiwillig versicherte selbstständige Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung geschaffen, das eine rückwirkende Anpassung der Beitragshöhe nach dem jeweiligen, im Einkommenssteuerbescheid ausgewiesenen Einkommen ermöglicht.

Die Bundesregierung hatte bereits im Jahr 2007 eine Härtefallregelung geschaffen: Seit dem 1. April 2007 zahlen freiwillig versicherte Selbstständige, die nachweislich weniger als die Mindestbemessungsgrundlage verdienen, nur noch einen geringeren Mindestbeitrag ausgehend von beitragspflichtigen Einnahmen in Höhe von derzeit 1.487,50 Euro (2017). Voraussetzung ist, dass Bedürftigkeit vorliegt (siehe oben). So wird zum Beispiel das Einkommen von mit dem Selbstständigen zusammenlebenden Personen (Bedarfsgemeinschaft) berücksichtigt, um eine sachlich ungerechtfertigte Privilegierung zu vermeiden. Nach Angaben des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen profitieren derzeit rund 200 Tausend Selbstständige (circa 15 Prozent aller gesetzlich versicherten Selbstständigen) von dieser Regelung.

Aktuelle Vorschläge zielen insbesondere darauf ab, die Mindestbemessungsgrundlage für Selbstständige von derzeit monatlich 2.231,25 Euro erheblich abzusenken und die mit einer Bedürftigkeitsprüfung vorgesehene Härtefallregelung abzuschaffen. Dies würde - je nach Umfang der Absenkung - zu jährlichen Mindereinnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung im mittleren dreistelligen bis niedrigen vierstelligen Millionenbereich führen und gegebenenfalls einen Anstieg der Zusatzbeiträge für alle Mitglieder zur Folge haben.

Vor diesem Hintergrund muss das Interesse von Selbstständigen mit niedrigem Einkommen, möglichst geringe Beiträge zu zahlen, und das Interesse der Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung, sich durch angemessene Beiträge vor Überforderung zu schützen, gleichermaßen im Blick behalten werden. Weitere Entscheidungen sind der 19. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages vorbehalten.