A. Problem und Ziel
Nach aktueller Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH, Beschl. v. 19.08.2014 - 3 StR 88/14) kann das deutsche Strafrecht nicht auf Handlungen angewendet werden, bei denen Täter im Ausland Propagandamittel oder Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in das Internet einstellen, selbst wenn die Verbreitung oder Verwendung dieser Inhalte in Deutschland strafbar wäre und die Täter sich mit den entsprechenden Internetseiten gezielt an inländische Adressaten richten. Dies birgt die Gefahr, dass Personen aus Deutschland gezielt ins Ausland reisen, um dort entsprechende Inhalte hochzuladen. Auch andere Formen des innerhalb Deutschlands öffentlich wahrnehmbaren Verbreitens und Verwendens entsprechender Propagandamittel und Kennzeichen im und aus dem Ausland kann das deutsche Strafrecht derzeit nicht erfassen. Diese Strafbarkeitslücken gilt es im Interesse des demokratischen Rechtsstaats so weit wie möglich zu schließen.
B. Lösung
Durch eine Aufnahme der Tatbestäns Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen ( § 86 StGB) und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ( § 86a StGB) in den Katalog der Auslandstaten gegen inländische Rechtsgüter ( § 5 StGB) soll die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts auf entsprechende Auslandstaten ausgeweitet und eine strafrechtliche Verfolgung ermöglicht werden. In den §§ 86 und 86a StGB werden klarstellende Folgeänderungen vorgenommen.
C. Alternativen
Beibehaltung der bisherigen Rechtslage.
D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand
Keine.
2. Vollzugsaufwand
Der Entwurf verfolgt das Ziel, zukünftig die Strafverfolgung bestimmter Auslandshandlungen zu ermöglichen. Dies kann zu erhöhten Verfahrens- und Vollzugskosten führen. Diese sind nicht quantifizierbar.
E. Erfüllungskosten
Keine. Durch das Gesetz werden für die Wirtschaft, Bürgerinnen und Bürger sowie die Verwaltung keine Informationspflichten neu eingeführt, geändert oder aufgehoben.
F. Sonstige Kosten
Keine.
Gesetzesantrag der Länder Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Strafbarkeit des Verbreitens und Verwendens von Propagandamitteln und Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen bei Handlungen im Ausland
Der Präsident des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg
Hamburg, 13. Januar 2016
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Stanislaw Tillich
Sehr geehrter Herr Präsident,
der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg und die Landesregierungen von Niedersachsen und Schleswig Holstein haben beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage mit Begründung beigefügten Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches Strafbarkeit des Verbreitens und Verwendens von Propagandamitteln und Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen bei Handlungen im Ausland zuzuleiten.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der 941. Sitzung des Bundesrates am 29. Januar 2016 zu setzen und sie anschließend den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Olaf Scholz
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Strafbarkeit des Verbreitens und Verwendens von Propagandamitteln und Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen bei Handlungen im Ausland
Vom ...
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderung des Strafgesetzbuches
Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel ... des Gesetzes vom ... (BGBl. I S. ...) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
- 1. § 5 Nummer 3 wird wie folgt geändert:
- a) Dem Buchstaben a wird folgender Buchstabe a vorangestellt:
"a) in den Fällen der §§ 86 und 86a, wenn der Täter seine Lebensgrundlage im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes hat,".
- b) Die bisherigen Buchstaben a und b werden die Buchstaben b und c.
- a) Dem Buchstaben a wird folgender Buchstabe a vorangestellt:
- 2. In § 86 Absatz 1 werden die Wörter "im Inland verbreitet" durch die Wörter "im Inland oder im Inland wahrnehmbar verbreitet" ersetzt.
- 3. In § 86a Absatz 1 Nummer 1 werden nach den Wörtern "im Inland" die Wörter "oder im Inland wahrnehmbar" eingefügt.
Artikel 2
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Begründung
A. Allgemeines
Der Straftatbestand des § 86a StGB schützt den demokratischen Rechtsstaat davor, dass als verfassungswidrig eingestufte Organisationen wiederbelebt werden und die Nutzung ihrer Kennzeichen infolge einer allgemeinen Gewöhnung verharmlost wird. Darüber hinaus soll er eine gruppeninterne Solidarisierung unter Anhängern solcher Organisationen verhindern, die mit der Verwendung einheitlicher Kennzeichen üblicherweise einhergeht.
Zu diesem Zweck untersagt es der Tatbestand, Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu verbreiten oder öffentlichkeitswirksam zu verwenden.
Das mittlerweile wohl wichtigste Medium für die Verbreitung und Verwendung entsprechender Kennzeichen ist das Internet. Die hier, insbesondere in sozialen Netzwerken, bereitgestellten Inhalte können von einem unbegrenzten Adressatenkreis zur Kenntnis genommen werden und durch digitales Teilen und Verknüpfen von Beiträgen in kurzer Zeit einen hohen Verbreitungsgrad erreichen (vgl. zuletzt jugendschutz.net, Rechtsextremismus online, 2014, S. 3 f.; 2015, 3 f.).
Aus einer aktuellen Entscheidung des Bundesgerichtshofes ergibt sich jedoch, dass das deutsche Strafrecht das Verwenden von Kennzeichen über das Internet nicht erfassen kann, wenn die Inhalte im Ausland hochgeladen werden (BGH, Beschl. v. 19.08.2014 - 3 StR 88/14). Der Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem der Täter nach Tschechien gereist war, dort auf dem Internet-Videoportal YouTube eine Plattform mit der Bezeichnung "Arische Musikfraktion" gegründet und auf dieser Plattform u.a. Abbildungen von Hakenkreuzen hochgeladen hatte. Diese Inhalte wurden in der Folge von deutschen Internetnutzern abgerufen. Obwohl damit ein öffentliches Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Orgamisationen gegenüber inländischen Adressaten vorlag, konnte der Täter dennoch nicht nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB verurteilt werden.
Die Ursache hierfür liegt in der Tatbestandsstruktur des § 86a StGB: Das deutsche Strafrecht findet - vorbehaltlich ausdrücklicher abweichender Regelungen - nur dann Anwendung auf Handlungen, die im Ausland begangen werden, wenn ein zum gesetzlichen Tatbestand gehörender Erfolg in Deutschland eingetreten ist (§§ 3, 9 Abs. 1 StGB). Bei dem Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach § 86a StGB handelt es sich jedoch um einen abstrakten Gefährdungstatbestand, bei dem es wegen der damit verbundenen Gefahren für den demokratischen Rechtsstaat bereits ausreicht, dass ein Täter die entsprechenden Kennzeichen öffentlich verwendet. Eines bestimmten zusätzlichen Erfolgs bedarf es gerade nicht. Daher fehlt es bei Taten nach § 86a StGB an einem inländischen Erfolgsort als einem Anknüpfungspunkt für die Anwendung deutschen Strafrechts (BGH aaO, Rn. 8).
Auch der bisherigen Rechtsprechung, nach der § 86a StGB unter dem Gesichtspunkt eines inländischen Handlungsortes angewendet werden können sollte, wenn die im Ausland vorgenommene Handlung durch ihre mediale Übertragung schließlich in Deutschland ihre Wirkung entfaltet (vgl. KG NJW 1999, 3500), hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich den Boden entzogen. Danach sagt die Reichweite, innerhalb derer eine Handlung wahrgenommen werden kann, nichts über den Ort aus, an dem die Handlung vorgenommen worden ist (BGH aaO, Rn. 9).
Diese Rechtslage birgt die Gefahr - hierauf weist auch der Bundesgerichtshof ausdrücklich hin (BGH aaO., Rn. 12) -, dass Personen gezielt ins Ausland reisen, um dort straffrei Kennzeichen im Internet hochzuladen, deren Verwendung im Inland strafbar wäre.
Dasselbe rechtliche Problem besteht in Bezug auf den Tatbestand des Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen nach § 86 StGB. Hierbei handelt es sich ebenfalls um einen abstrakten Gefährdungstatbestand, der die Verbreitung bestimmter gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichteter Inhalte verbietet, wegen des fehlenden tatbestandsmäßigen Erfolgs allerdings als Auslandstat nicht verfolgt werden kann.
Neben dem Upload im Internet können auch andere Handlungen, bei denen Täter Propagandamittel oder Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen so verbreiten oder verwenden, dass diese Inhalte innerhalb Deutschlands öffentlich wahrnehmbar werden, aus den beschriebenen Gründen strafrechtlich nicht verfolgt werden. Diese Strafbarkeitslücken gilt es im Interesse des demokratischen Rechtsstaats so weit wie möglich zu schließen.
B. Zu den einzelnen Vorschriften
Zu Artikel 1 (Änderung des Strafgesetzbuches)
Zu Nummer 1 (Änderung von § 5)
Die §§ 86, 86a StGB sollen in den Katalog des § 5 Nr. 3 StGB aufgenommen werden, der für die dort aufgeführten Staatsschutzdelikte die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts auch auf Auslandstaten vorsieht, ohne dass es der Anknüpfung an einen tatbestandsmäßigen Erfolg im Sinne der §§ 3, 9 Abs. 1 StGB bedarf. Dadurch könnte das Verbreiten und Verwenden der von den Tatbeständen erfassten Inhalte grundsätzlich auch dann nach deutschem Strafrecht verfolgt werden, wenn die Handlung - insbesondere durch Hochladen im Internet - im Ausland begangen wurde.
Allerdings soll die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts auf entsprechende Auslandssachverhalte nicht uneingeschränkt angeordnet werden.
Zu berücksichtigen ist, dass die Verwendung und Verbreitung von Propagandamitteln und Kennzeichen in Deutschland als verfassungswidrig eingestufter Organisationen in vielen anderen Staaten nicht als strafbares Unrecht betrachtet wird. Hier bedarf es eines einschränkenden, die Ausweitung des deutschen Strafrechts auf Auslandssachverhalte im Einzelfall legitimierenden Anknüpfungspunkts. Als einen solchen Anknüpfungspunkt wählt der Gesetzentwurf, dass der Täter seine Lebensgrundlage im Inland haben muss (sog. Domizilprinzip) und seine Tat sich - dies folgt bereits aus der Natur der §§ 86, 86a StGB, wird aber auch durch eine zugleich vorgenommene Ergänzung dieser Normen noch einmal klargestellt - gegen die Integrität des Staates richtet (sog. Staatsschutzprinzip). Dies erscheint sachgerecht, weil gerade von Tätern, die eine entsprechende Bindung an Deutschland aufweisen, verlangt werden kann, die hiesige verfassungsmäßige Ordnung nicht zu gefährden und somit das Verbot der Verwendung und Verbreitung einschlägiger Inhalte aus den §§ 86, 86a StGB auch im Ausland zu berücksichtigen.
Eine Lebensgrundlage im Inland wird dabei insbesondere dann anzunehmen sein, wenn der Täter hier seinen ausschließlichen Wohnsitz oder seinen ständigen Aufenthalt hat, bei mehreren Wohnsitzen im In- und Ausland dann, wenn sein persönlicher, familiärer oder wirtschaftlicher Schwerpunkt im Inland liegt (vgl. Fischer StGB, 62. Auflage 2015, § 5 Rn. 3; MüKo/StGB-Ambos, 2. Aufl. 2011, § 5 Rn. 16).
Zu Nummern 2 und 3 (Änderung von § 86 und § 86a)
Die derzeitige Fassung der §§ 86, 86a StGB enthält jeweils das Tatbestandsmerkmal "im Inland". Dieses Merkmal wurde bis zu der oben beschriebenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs dahingehend ausgelegt, dass es auch dann als erfüllt anzusehen ist, wenn die verwendeten Kennzeichen im Inland wahrnehmbar sind (vgl. KG NJW 1999, 3500, 3501 f.). Dieses bisherige Verständnis dürfte wieder gelten, wenn jetzt durch die Aufnahme der §§ 86, 86a StGB in den Katalog des § 5 StGB die Geltung der Norm auch für im Ausland begangene Handlungen ausdrücklich angeordnet wird.
Allerdings erscheint es aus Gründen der Bestimmtheit der Normen sachgerecht, dieses gesetzgeberische Ziel auch unmittelbar in den §§ 86, 86a StGB deutlich zum Ausdruck zu bringen und damit Unsicherheiten über deren jeweiligen Anwendungsbereich zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund wird in beiden Vorschriften eine Formulierung aufgenommen, die klarstellt, dass der Tatbestand erfüllt ist, wenn im Ausland vorgenommene Handlungen dazu führen, dass inkriminierte Propagandamittel oder Kennzeichen jeweils im Inland wahrgenommen werden können.
Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes. Übergangsvorschriften sind nicht erforderlich.