Bundesrepublik Deutschland Berlin, den 23. Januar 2008
Die Bundeskanzlerin
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ersten Bürgermeister
Ole von Beust
Sehr geehrter Herr Präsident,
im Nachgang zu meinem Schreiben vom 4. Januar 2008 übersende ich zum
Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts (Erbschaftsteuerreformgesetz - ErbStRG)
die Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates vom 10. Dezember 2007 und die Stellungnahme der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Angela Merkel
Anlage
Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gem. § 6 Abs. 1 NKR-Gesetz:
Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts (ErbStRG)
Der Nationale Normenkontrollrat hat den o.g. Gesetzentwurf auf Bürokratiekosten, die durch Informationspflichten begründet werden, geprüft.
Mit dem Gesetzentwurf werden neun Informationspflichten für die Wirtschaft eingeführt und drei bestehende geändert. Für Bürgerinnen und Bürger werden drei neue Informationspflichten eingeführt und sechs geändert.
Insgesamt hat der Rat den Eindruck, dass bei der Erarbeitung der Konzeption des Gesetzentwurfes die Frage der damit verbundenen bürokratischen Belastung keine angemessene Rolle gespielt hat. Informationskosten wurden erst nach Formulierung des Gesetzestextes ermittelt. Es fehlt die Überprüfung, ob es unter Beibehaltung der jeweiligen Ziele Lösungen und Verfahren gibt, die mit geringeren Kosten verbunden sind.
Nach Einschätzung des BMF führt der Gesetzentwurf zu jährlichen Bürokratiekosten für die Wirtschaft in Höhe von rund 4,8 Millionen Euro. Der Rat hat Zweifel, ob die bürokratische Belastung damit zutreffend wiedergegeben wird. Genaue Abschätzungen sind zwar derzeit noch nicht möglich, da es noch keine Bestandsmessung für das geltende Erbschaftsteuerrecht gibt. Rückfragen bei Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und anderen mit einschlägigen Aufgaben befassten Personen und Institutionen lassen bei einigen Positionen der Bürokratiekostenliste des Gesetzesentwurfs beträchtliche Abweichungen zum tatsächlichen Aufwand vermuten:
- - Das BMF geht von einer Fallzahl von jährlich 7.000 erbschaftsteuerrelevanten Unternehmensübergängen aus. Diese Zahl stützt sich auf die Erbschaftsteuerstatistik, in der nur die Fälle erfasst werden, bei denen das Finanzamt zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung auffordert. Nach Berechnungen des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) werden hingegen derzeit mindestens 70.000 Unternehmen bzw. Unternehmensanteile vererbt. Es ist ungeklärt, in welchem Umfang den betroffenen Unternehmenserben künftig für erforderliche Angaben gegenüber dem Gericht bzw. später dem Finanzamt zusätzliche Bürokratiekosten entstehen. Dies hätte erhebliche Auswirkungen auf das Volumen der Bürokratiekosten.
- - Außerdem dürfte die Bestimmung des Ertragswertes bei gewerblichen und landwirtschaftlichen Unternehmen ( § 12 ErbStG i.V.m. §§ 109, 162 BewG) in vielen Fällen den vom BMF zugrundelegten Zeitaufwand von 64 bzw. 62 Minuten deutlich überschreiten. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Bürokratiekosten. So würde sich bei Ansatz von durchschnittlich 10 Stunden pro Unternehmensbewertung - etwas mehr als ein Arbeitstag - die Belastung durch diese Informationspflichten von 536 Tsd. Euro auf 5,13 Millionen Euro erhöhen.
- - Als zu niedrig kalkuliert sieht der Rat auch den Zeitaufwand für die jährliche Ermittlung der Lohnsumme nach § 13a Abs. 1 und 4 ErbStG an, die in dieser speziellen Abgrenzung 10 Jahre lang errechnet werden muss und die in jedem Jahr 70% der Lohnsumme des Ausgangsjahres nicht unterschreiten darf, damit die steuerliche Privilegierung nicht entfällt bzw. gekürzt wird. Denn die Lohnsumme steht in dieser Abgrenzung nicht direkt in den Büchern der Unternehmen und ist zudem mit dem Tariflohnindex anzuheben. Auch hier würde allein eine Verdoppelung des Zeitaufwandes von 12 auf 24 Minuten den Bürokratieaufwand von 473 Tsd. Euro auf knapp 950 Tsd. Euro bei dieser Position erhöhen.
- - Ebenfalls mit großem Zeitaufwand verbunden ist die Prüfung der Einhaltung der Weiterführungsauflagen bei Unternehmen gemäß § 13a Abs. 5 ErbStG. Nach Einschätzung der beratenden Berufe wäre hier statt der vom BMF angesetzten 12 Minuten mindestens ein Zeitaufwand von 1 - 2 Stunden anzusetzen. Die Bürokratiekosten würden sich danach von 1,34 Mio. Euro (BMF-Schätzung) auf rund 6,7 bis 13,4 Mio. Euro erhöhen.
- - Setzt man bei diesen Positionen die vom Rat angenommenen Zeitaufwandsschätzungen an, so betragen die jährlichen Bürokratiekosten der Wirtschaft nicht nur rund 5 Mio. Euro, sondern etwa 15 - 22 Mio. Euro.
Auch diese Kosten werden im übrigen von einer Reihe von Bewertungsspezialisten als wahrscheinlich nicht ausreichend angesehen. Ungeklärt ist, in welchem Umfang Unternehmensbewertungen durch externe Gutachter vorgenommen werden müssen. Solche Unternehmensbewertungen kosten bei mittelständischen Unternehmen nach Expertenaussagen ca. 20.000 bis 40.000 Euro - nicht zuletzt wegen Abdeckung des Haftungsrisikos des externen Gutachters. Die tatsächliche bürokratische Belastung der Wirtschaft dürfte somit voraussichtlich noch deutlich höher liegen.
Bei dem im § 13c ErbStG geregelten Nachweis der Voraussetzungen für die Begünstigung von zu Wohnzwecken vermieteten Grundstücken hat der Rat Zweifel, ob die Klassifizierung dieser Pflicht als Informationspflicht des Bürgers zutreffend ist. In der Begründung des Gesetzentwurfes wird zutreffend ausgeführt, dass der Immobiliensektor vielen Menschen die Gelegenheit gibt, "Unternehmer" zu werden, ohne einen Betrieb leiten zu müssen. Daher sollte diese Vorschrift konsequenterweise als Informationspflicht der Wirtschaft eingeordnet werden und entsprechend quantifiziert werden, zumal die ökonomischen Transaktionen in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung dem Sektor Vermietung und Verpachtung bei der Entstehung des Bruttoinlandsprodukts zugerechnet werden. Hochgerechnet von 5,2 Millionen Steuerfällen mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung und einer durchschnittlichen Vererbung alle 30 Jahre können sich hier bis zu 174 Tsd. potentielle Steuerfälle pro Jahr ergeben. Auch hier muss geklärt werden, in welchem Umfang Bürokratiekosten entstehen.
Wie schon bei früheren steuergesetzlichen Änderungen ist es auch bei der Erbschaftsteuerreform schwierig die Bürokratiekosten allein auf Basis des Gesetzesentwurfs abzuschätzen.
Dieser enthält selbst nämlich nur recht abstrakte Regelungen bezüglich der zeitaufwendigen Informationspflichten. Die Einzelheiten der Bewertung des Betriebsvermögens, des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens, von Anteilen an Kapitalgesellschaften u.a.m. sollen in einer Rechtsverordnung geregelt werden, die derzeit noch nicht vorliegt. Die tatsächliche Belastung lässt sich nur unter Berücksichtigung dieser Verordnung ermitteln. Will der Gesetzgeber deshalb die Bürokratiekosten in seine Beratungen einbeziehen muss er den Inhalt der Rechtsverordnung ebenfalls kennen. Der Rat erwartet daher die Rechtsverordnung so zeitnah auszuarbeiten, dass deren Vorschriften und die damit konkretisierten Informationskosten im laufenden Gesetzgebungsverfahren noch berücksichtigt werden können. Gleichfalls geht der Rat davon aus, hinsichtlich der Schätzung der Bürokratiekosten aus dieser Verordnung frühzeitig beteiligt zu werden.
Weiterhin sieht der Rat die Bürokratiekosten infolge des § 13a ErbStG kritisch, wonach die Erbschaftssteuer nur dann entfällt, wenn der Betrieb 15 bzw. bei Land- und Forstwirtschaftlichen Betrieben 20 Jahre fortgeführt wird und 10 Jahre lang 70 Prozent der Ausgangslohnsumme nicht unterschritten werden. Zudem wird dem Erwerber die Pflicht auferlegt, im Falle eines Verstoßes gegen diese Regelungen den fälligen Steuerbetrag selbst zu berechnen und dem Finanzamt anzuzeigen. Diese Regelungen stellen erhebliche bürokratische Belastungen dar. Der Rat bittet daher, weniger belastende Alternativen zu prüfen.
Auch wenn die Informationskosten für Bürgerinnen und Bürger derzeit noch nicht quantifiziert werden legt der Entwurf zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts die Annahme nahe, dass auch deren Belastung durch Informationskosten steigen wird. Die gegenüber dem geltenden Recht komplizierteren und umfassenderen Bewertungsvorschriften müssen darüber hinaus von der Finanzverwaltung bei der Überprüfung der Steuererklärungen nachgehalten werden, was als mittelbare Folge von Informationskosten für die vollziehende Verwaltung kritisch gesehen werden muss.
Angesichts der weiter ungenügenden Konkretisierung der zu erwartenden Belastung von Unternehmen, Bürgerinnen und Bürgern sowie der Verwaltung durch Informationskosten sowie der noch nicht ausreichenden Prüfung von Alternativen sieht sich der Rat nicht in der Lage, im Rahmen seines gesetzlichen Auftrages zu diesem Gesetzentwurf abschließend Stellung zu nehmen. Er fordert das BMF auf, die erforderlichen Berechnungen umgehend vorzunehmen und kostengünstigere Alternativen darzustellen.
Dr. Ludewig | Prof. Färber |
Vorsitzender | Berichterstatterin |
Stellungnahme der Bundesregierung zur Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates vom 10. Dezember 2007 zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts
Die Bundesregierung nimmt die Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates (NKR) vom 10. Dezember 2007 zur Kenntnis.
Die Änderungen des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts sind notwendig geworden, weil das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 7. November 2006 (BVerfGE 117, 1) bei der Ermittlung der erbschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage eine realitätsgerechte Bewertung des Vermögens orientiert am gemeinen Wert und eine zielgenaue, am Gemeinwohl orientierte Ausgestaltung der Verschonungsregelungen für unternehmerisches Vermögen gefordert hat. Die Bewertungsmethoden müssen gewährleisten, dass alle Vermögensgegenstände in einem Annäherungswert an den gemeinen Wert erfasst werden.
Die Länder als Aufkommensgläubiger der Erbschaftsteuer haben andererseits eine Sicherung des Steueraufkommens in gegenwärtiger Höhe erwartet. Die notwendigen Maßnahmen wurden vor diesem Hintergrund in Abstimmung mit den Koalitionsfraktionen und den Ländern in politischen Eckwerten festgelegt. Im politischen Entscheidungsprozess wurden verschiedene Modelle geprüft. Die Verringerung von bürokratischen Belastungen findet ihre Grenze dort, wo den verfassungsrechtlichen und politischen Vorgaben Rechnung zu tragen ist.
Zu den in der Stellungnahme angeführten Punkten nimmt die Bundesregierung wie folgt Stellung:
- Fallzahl der betroffenen Unternehmen
Bei ihrer Bezifferung ist die Bundesregierung von rund 7.000 betroffenen Unternehmen ausgegangen. Der NKR geht davon aus, dass mehr als 70.000 Unternehmen betroffen seien.
Für die Bezifferung maßgeblich sind lediglich die Fälle, die von der Pflicht zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung betroffen sind. Nach den Zahlen des Instituts für Mittelstandsforschung, auf die sich der NKR stützt, gehen von den 70.000 Unternehmen, die jährlich einer Nachfolgelösung unterliegen, lediglich 31.000 an Familienmitglieder über. Der andere Teil wird verkauft, geht an Mitarbeiter, bzw. wird mangels Nachfolger stillgelegt. Von den 31.000 Fällen übersteigen letztlich nur wenige Fälle die Freibeträge gem. § 16 Entwurf-ErbStG, weil z.B. viele Unternehmen an mehrere Familienmitglieder, für die jeweils individuelle Freibeträge anzusetzen sind übergehen. Es wird weiterhin von der Tragfähigkeit der sich aus der amtlichen Erbschaftsteuerstatistik ergebenden 7.000 Fälle auszugehen sein, weil insoweit die Verhältnisse auch nach neuem Recht vergleichbar sind.
Entgegen der Befürchtung des NKR wird der Umfang der von den Erben gegenüber den Nachlassgerichten zu erbringenden Informationspflichten nicht geändert. Insofern ändern sich die Bürokratiekosten für diesen zivilrechtlichen Teil nicht.
- Bestimmung des Ertragswertverfahrens
Bei der Bestimmung des Ertragswertes bei gewerblichen und landwirtschaftlichen Unternehmen (§ 12 ErbstG i.V.m. §§ 109, 162 BewG) hat die Bundesregierung ein vereinfachtes Ertragswertverfahren vorgesehen. Sie geht davon aus, dass der zur Erfüllung der Informationspflichten bei der Unternehmensbewertung zugrunde gelegte Zeitaufwand von der vorliegenden Quantifizierung auch nach Ausgestaltung der konkreten Bewertungsvorgaben in den noch von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates zu beschließenden Verordnungen zutreffend abgebildet wird da ein entsprechender Sicherheitszuschlag vorgenommen wurde. Darüber hinaus weist die Bundesregierung darauf hin, dass die vom NKR gerügte bürokratische Belastung für Unternehmen sich aus der vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 7. November 2006 vorgegebenen Neubewertung der Vermögensarten auf der Basis der Verkehrswerte ergibt. Deshalb sind - selbst wenn die Einschätzung des NKR zugrunde zu legen wäre - diese bürokratischen Belastungen hinzunehmen und zur Erfüllung der verfassungsrechtlichen Vorgaben geboten. Selbstverständlich wird die Bundesregierung im Rahmen der Vorbereitung der oben genannten Verordnung das Verfahren nach dem Standardkostenmodell anwenden und den NKR entsprechend beteiligen.
- Überprüfung der Einhaltung von 70 Prozent der Ausgangslohnsumme
Die Bundesregierung hält an ihrer zeitlichen Einschätzung zu § 13a Abs. 1 und 4 Entwurf-ErbStG fest. Die Abgrenzung der Lohnsumme ist aus den Büchern des Steuerpflichtigen letztlich problemlos abzuleiten.
- Einhaltung der Weiterführungsauflagen bei Unternehmen gem. § 13a Abs. 5 Entwurf - ErbStG
Die von der Bundesregierung eingeschätzten Zeit- und Kostenaufwände für die im § 13a Abs. 5 Entwurf-ErbStG vorgegebenen Kriterien werden als angemessen eingeschätzt. In der Mehrzahl der Fälle reduziert sich die jährliche Prüfung des Unternehmers auf die Einhaltung der Lohnsumme. In den wenigsten Fällen finden Veräußerungen von Betrieben und Teilbetrieben statt. Für den Fall der Veräußerung sind im Übrigen die Werte anzusetzen, die bereits für die Besteuerung des Erbanfalls zu ermitteln waren, und damit keine neuen Werte.
Zusätzlich ist auch hier festzuhalten, dass die vom NKR gerügte bürokratische Belastung für Unternehmen aus der Einhaltung der Weiterführungsauflagen ein nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben notwendiges Element für die Steuerentlastung des unternehmerischen Vermögens darstellt. Eine steuerliche Verschonung bedarf entsprechend den Vorgaben des BVerfG vom 7. November 2006 einer Überprüfung der Voraussetzungen in den genannten Zeiträumen, um die erforderliche Zielgenauigkeit und Folgerichtigkeit der Begünstigung zu gewährleisten.
- Einreihung privater Vermieter
Die Bundesregierung hält an ihrer Einreihung privater Vermieter als Bürger im Sinne des Standardkostenmodells und nicht als Unternehmer fest. Auch nach dem Handbuch für die Ermittlung von Bürokratiekosten gibt es für den Begriff "Unternehmen" als wichtigste Gruppe des Normadressaten Wirtschaft keine einheitliche Definition.
Private Vermieter müssen keine "Bücher" aus handels- bzw. steuerrechtlichen Gründen führen. Ihr steuerrelevantes Ergebnis ist der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten. Die Einkunftsart Vermietung und Verpachtung zählt ausdrücklich nicht zu den Gewinneinkünften.
Die Bundesregierung wird den Nationalen Normenkontrollrat im Vorfeld der noch zu erlassenden Verordnungen rechtzeitig beteiligen.