910. Sitzung des Bundesrates am 7. Juni 2013
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß Artikel 12 Buchstabe b EUV wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Die Subsidiaritätsrüge gemäß Artikel 12 Buchstabe b EUV erfasst auch die Frage der Zuständigkeit der EU - siehe die Stellungnahmen des Bundesrates vom 9. November 2007, Ziffer 5 der BR-Drucksache 390/07(B) , vom 26. März 2010, Ziffer 2 der BR-Drucksache 043/10(B) sowie vom 16. Dezember 2011, BR-Drucksache 646/11(B) . Der Grundsatz der Subsidiarität ist ein Kompetenzausübungsprinzip. Gegen das Subsidiaritätsprinzip wird auch dann verstoßen, wenn keine Kompetenz der Union besteht bzw. die Kompetenz der Union überschritten wird. Daher muss im Rahmen der Subsidiaritätsprüfung zunächst die Frage der Rechtsgrundlage geprüft werden.
- 2. Der Verordnungsvorschlag ist, soweit er die Aufgaben im Zusammenhang mit der Aus- und Fortbildung von Strafverfolgungsbediensteten betrifft, nicht von der angegebenen Rechtsgrundlage des Artikels 87 Absatz 2 Buchstabe b AEUV gedeckt.
Artikel 87 Absatz 2 Buchstabe b AEUV sieht vor, dass die Union eine polizeiliche Zusammenarbeit zwischen allen zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten entwickelt und im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen zur Unterstützung bei der Aus- und Weiterbildung von Personal sowie zur Zusammenarbeit in Bezug auf Austausch von Personal, Ausrüstungsgegenständen und kriminaltechnische Forschung erlassen kann. Nicht erfasst von der Regelungsbefugnis sind jedoch Vorhaben, die über eine "Unterstützungsleistung" bei der Aus- und Weiterbildung hinausgehen.
- 3. Mithin ist den Grundsätzen der begrenzten Einzelermächtigung, der Subsidiarität sowie der Verhältnismäßigkeit nach Artikel 5 EUV Rechnung zu tragen. Nach dem in Artikel 5 Absatz 2 EUV normierten Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung darf die EU nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig werden, die die Mitgliedstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben. Der Verordnungsvorschlag verstößt auch gegen das in Artikel 5 Absatz 3 EUV verankerte Subsidiaritätsprinzip im engeren Sinn, soweit der Vorschlag Regelungen für die rein innerstaatliche Aus- und Fortbildung enthält. Insofern ist ein Mehrwert der vorgesehenen europaweiten einheitlichen Regelung nicht erkennbar. Im Gegenteil können die Mitgliedstaaten die rein innerstaatliche Aus- und Fortbildung ausreichend selbst regeln bzw. ist diese im deutschen Recht ausreichend geregelt. Durch die Überschreitung der Kompetenzbefugnis hinsichtlich der Regelungen zur Aus- und Weiterbildung geht der Verordnungsvorschlag gemäß Artikel 5 Absatz 4 EUV inhaltlich und formal über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß hinaus.
- 4. Durch den Verordnungsvorschlag soll die bisherige Europäische Polizeiakademie (CEPOL) mit der bisherigen EU-Agentur Europol verschmolzen werden. Jedoch werden durch diesen Vorschlag die bisherigen Befugnisse von CEPOL überführt und weiter ausgebaut. Die im Zusammenhang mit der Befugniserweiterung angeführten Begründungen erfüllen nicht die von der Kommission zu beachtenden Vorgaben nach Artikel 5 des Protokolls Nummer 2 zum Lissabon-Vertrag, an die die Kommission gemäß Artikel 51 EUV gebunden ist.
B
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU) und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 5. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission mit dem Verordnungsvorschlag dem Auftrag aus dem Stockholmer Programm und dem Lissabonner Vertrag nachkommt und die Arbeit von Europol auf eine neue und zukunftsorientierte Rechtsgrundlage stellen möchte.
- 6. Der Bundesrat unterstützt den Ansatz, Europol zu einem "Knotenpunkt des Informationsaustauschs zwischen den Strafverfolgungsbehörden und Mitgliedstaaten" weiterzuentwickeln und dabei auch eine Verbesserung der Informationsübermittlung von Seiten der Mitgliedstaaten an Europol zu erreichen. Der Bundesrat erachtet die im Verordnungsvorschlag enthaltenen Informationsübermittlungspflichten der Mitgliedstaaten indes als zu weitgehend.
- 7. Der Bundesrat sieht die in dem Verordnungsvorschlag zum Ausdruck gebrachte Absicht der Kommission, die Europäische Polizeiakademie (CEPOL) mit dem Europäischen Polizeiamt (Europol) zu verschmelzen, um dadurch die Gesamtzahl der europäischen Agenturen zu reduzieren, kritisch. Diese Intention begegnet erheblichen fachlichen Bedenken und lässt zudem weder entscheidende Synergieeffekte noch nennenswerte Einsparungen erwarten.
- - Das Mandat von Europol umfasst die Unterstützung der Mitgliedstaaten der EU bei der Verhütung und Verfolgung von organisierter Kriminalität, Terrorismus und sonstigen Formen schwerer grenzüberschreitender Kriminalität. Das Anfang 2013 bei Europol eröffnete European Cyber Crime Center (EC3) formt diesen Mandatsbereich in einem wichtigen Kriminalitätsfeld weiter aus und wird dazu beitragen, dass Europol auch künftig den Herausforderungen im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung gerecht werden kann. Durch diese Aufgabe ist Europol bereits in hohem Maße gefordert. Eine Übertragung der bislang durch CEPOL wahrgenommenen Fortbildungsaktivitäten sowie ein weiterer Ausbau der Aus- und Weiterbildung bergen die Gefahr einer weiteren deutlichen Mehrbelastung und würden es Europol zudem erheblich erschweren, sich auf die mit der Kriminalitätsbekämpfung primär verbundenen Aufgaben zu fokussieren.
- - Das Ausbildungsmandat von CEPOL betrifft nicht allein den Mandatsbereich und die Aufgabenfelder von Europol, sondern geht weit darüber hinaus. Neben grenzüberschreitender Kriminalität sind insbesondere Themenfelder im Bereich der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (z.B. Bewältigung von Einsätzen anlässlich von Veranstaltungen mit internationaler Dimension) relevant. Daneben widmet sich CEPOL z.B. auch Fragen der Managementlehre, um durch die Fortbildung von hochrangigen Polizeikräften zu einem gemeinsamen Verständnis für polizeiliches Handeln in der EU beizutragen. Ergänzend sollen die mit dem Schwerpunktbereich 4 des Europäischen Fortbildungsprogramms verbundenen Aufgaben im Zusammenhang mit Zivilmissionen der EU sowie in der Kooperation mit Drittstaaten zukünftig ebenfalls durch die zentrale Fortbildungseinrichtung der EU wahrgenommen werden. Aufgrund der Haushaltslage der öffentlichen Hand in Europa dürften Europol auf absehbare Zeit weder genügend Personal noch Sachmittel zur Verfügung stehen, um allen durch die vorgeschlagene Verordnung zugewiesenen Aufgaben in angemessener Form gerecht zu werden. Infolge der vor diesem Hintergrund zwangsläufig vorzunehmenden Priorisierungen besteht die Gefahr, dass die durch vorgeschlagene Verordnung die durch Europol wahrzunehmenden Trainingsaktivitäten generell vernachlässigt oder zumindest auf Bereiche beschränkt werden, die mit dem originären Europol-Mandat korrespondieren.
- - Die Aufgabenbereiche von Europol und CEPOL sind im Grunde nicht kongruent. An den durch Europol bislang in eigener Verantwortung durchgeführten Trainings partizipieren grundsätzlich nur eigene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Darüber hinaus wurden durch Europol bisher lediglich einzelne CEPOL-Trainingsmaßnahmen durch die Gestellung von Experten unterstützt. Vor diesem Hintergrund wären mit einer Zusammenlegung dieser Einrichtungen keine wesentlichen Synergien verbunden. Die in Aussicht gestellte Reduktion von Verwaltungskosten ist ebenfalls nicht zu erwarten. Dies ist einerseits darauf zurückzuführen, dass die durch CEPOL angebotenen Trainingsmaßnahmen in erster Linie dezentral und damit ressourcenschonend durch das europaweite Netzwerk der nationalen Polizeiakademien durchgeführt werden, und andererseits durch den Umstand bedingt, dass die administrativen Kernaufgaben von CEPOL, z.B. im Bereich Personalwesen, auch in einer fusionierten Behörde wahrgenommen werden müssten.
- 8. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Ausgestaltung der polizeilichen Aus- und Weiterbildung in den Mitgliedstaaten der nationalen Souveränität unterliegt und die EU in diesem Handlungsfeld daher kein Mandat hat, das in der polizeilichen Aus- und Weiterbildung zu vermittelnde Grundwissen über die EU-Dimension der Strafverfolgung zu definieren bzw. verbindlich festzulegen und die Umsetzung der entsprechenden Aus- und Weiterbildungsinhalte auf Ebene der Mitgliedstaaten zu bewerten bzw. die Implementierung der entsprechenden Standards zu überwachen. Wie auch im Bereich der regionalen und bilateralen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten kann die EU in diesem Handlungsfeld vielmehr lediglich unverbindliche Unterstützungsangebote unterbreiten, deren Nutzung und Umsetzung im Ermessen der Mitgliedstaaten liegt.
- 9. Das aktuelle CEPOL-Mandat ist auf die Fortbildung von "hochrangigen polizeilichen Führungskräften" sowie von "Polizeibeamten, die eine Schlüsselrolle bei der Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität spielen" beschränkt. Allein schon aus Kapazitätsgründen sieht der Bundesrat das Erfordernis, die durch CEPOL durchgeführten oder koordinierten Weiterbildungen auch zukünftig nur an die bisherige Zielgruppe sowie sonstige, mit Aufgaben im Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit betraute polizeiliche Spezialisten zu adressieren.
- 10. Der Bundesrat unterstützt die Intention der Kommission, eine Entsendung von Strafverfolgungsbediensteten in zivile Missionen der EU an die vorherige verpflichtende Teilnahme an adäquaten Vorbereitungsschulungen zu knüpfen. Durch ein solches Vorgehen würde den Belangen der Bürgerinnen und Bürger in den jeweiligen Missionsgebieten, aber auch den Interessen des Mandatgebers und der Missionsteilnehmer verstärkt Rechnung getragen. Der Bundesrat geht dabei davon aus, dass die Aus- und Fortbildungsveranstaltungen für diese Missionen auch weiterhin in qualifizierten und zertifizierten Kompetenzzentren der Mitgliedstaaten durchgeführt werden.
- 11. Durch den Verordnungsvorschlag wird gemäß Artikel 3 der Zuständigkeitsbereich von Europol sehr weit geöffnet. Eine Zuständigkeit von Europol sollte jedoch auch zukünftig nur dann gegeben sein, wenn zwei oder mehr Mitgliedstaaten in der Weise betroffen sind, die aufgrund des Umfangs, der Bedeutung und der Folgen der Straftaten ein gemeinsames Vorgehen der Mitgliedstaaten erfordert.
- 12. Der Vorschlag räumt Europol in Artikel 6 die Möglichkeit ein, die Mitgliedstaaten um die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen zu ersuchen. In Artikel 6 Absatz 4 des Verordnungsvorschlags wird den Mitgliedstaaten eine bisher nicht vorhandene Frist zur Begründung von nicht stattgegebenen Europol-Ersuchen durch die Mitgliedstaaten auferlegt. Der Bundesrat lehnt die Festsetzung einer derartigen Frist ab.
- 13. Der Verordnungsvorschlag sieht in Artikel 7 vor, dass in jedem Mitgliedstaat eine nationale Stelle errichtet oder benannt wird, die als Verbindungsstelle zwischen Europol und den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und den Aus- und Fortbildungseinrichtungen für Strafverfolgungsbedienstete dient. Mithin soll in jedem Mitgliedstaat eine Beamtin bzw. ein Beamter zur Leitung der nationalen Stelle ernannt werden. Bisher war für Europol die nationale Stelle das Bundeskriminalamt und für CEPOL der zentrale Ansprechpartner die Deutsche Hochschule der Polizei. Im Falle einer Zusammenlegung von Europol und CEPOL darf es daher zu keiner Vermischung der jeweiligen Zuständigkeiten von Bund und Land kommen.
- 14. Die Wahrnehmung der Interessen der Länder bei Europol erfolgte bisher über die Teilnahme des vom Bundesrat beauftragten Ländervertreters für den Europol-Verwaltungsrat als sogenannter Sachverständiger. Nähere Einzelheiten hierzu regelt das Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses des Rates 2009/371/JI vom 6. April 2009 zur Errichtung des Europäischen Polizeiamts (Europol-Gesetz). Da eine Verordnung gemäß Artikel 288 Absatz 2 AEUV allgemeine Geltung besitzt und in allen ihren Teilen verbindlich ist sowie in jedem Mitgliedstaat unmittelbare Geltung besitzt, muss auch die Ländervertretung bei den Verhandlungen zum vorliegenden Verordnungsvorschlag ausreichend berücksichtigt werden. In Artikel 17 Absatz 4 und 5 ist vorgesehen, wann und unter welchen Voraussetzungen eine Teilnahme von Beratern und Sachverständigen an den Sitzungen des Europol-Verwaltungsrates erfolgen kann. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Ländervertretung ausreichend gewährleistet sein muss und ein durch den Bundesrat benannter Vertreter der Länder an den Sitzungen des Verwaltungsrates als sogenannter Sachverständiger teilnehmen kann.
- 15. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
C
- 16. Der Finanzausschuss und der Rechtsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.