Brüssel, den 20.04.2012
COM (2012)2100 final
Sehr geehrter Herr Bundesratspräsident,
im Namen der Kommission danke ich dem Deutschen Bundesrat für seine detaillierte Stellungnahme zum Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung im Hinblick auf die Erleichterung der grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen in Zivil- und Handelssachen, { KOM (2011) 445 endgültig}.
Die Kommission hat zu den in Ihrer Stellungnahme angesprochenen Punkten folgende Bemerkungen:
Die Kommission hat eine Bewertung der Folgen ihres Vorschlags auf die Grundrechte vorgenommen, um sicherzustellen, dass die vorgeschlagenen Regelungen die in der Charta verankerten Rechte und Grundsätze in keiner Weise beeinträchtigen.
Der Verordnungsentwurf schafft einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Gläubiger, denen an einem einfachen, schnellen und kostengünstigen Verfahren zur Sicherung ihrer Ansprüche gelegen ist, solange kein rechtskräftiges Urteil ergangen ist, und den Interessen der Schuldner, die Anspruch auf Schutz vor der missbräuchlichen Anwendung von Beschlüssen zur vorläufigen Kontenpfändung haben.
Letzteres wird durch die Verschärfung der Bedingungen für den Erlass eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung (EuBvKpf) erreicht - d.h. das Gericht kann vom Gläubiger die Hinterlegung einer Sicherheitsleistung verlangen, wobei die Haftung des Gläubigers für jeden dem Schuldner zugefügten Schaden nach nationalem Recht ausgelöst werden kann - sowie durch wirksamere Rechtsbehelfe (Gerichtsstandswahl und Rechtsbehelfsfristen beispielsweise sind wichtige Bestandteile des Schuldnerschutzes). Je strikter die Bedingungen allerdings gestaltet werden, desto schwieriger wird es für die Gläubiger, eine Kontenpfändung zu erwirken.
Des Weiteren hat sich die Kommission sehr um eine einfache inhaltliche Ausgestaltung des Legislativvorschlags bemüht. Eindeutige Formulierungen und hinreichend einfache Verfahren sollen die Verordnung benutzerfreundlich und die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts überflüssig machen.
Herrn Horst Seehofer
Präsident des Bundesrats
Leipziger Straße 3 - 4
D-10117 Berlin
Allerdings ist ein gewisses Maß an Einzelvorschriften eine Vorbedingung für die Schaffung eines eigenständigen, einheitlichen Verfahrens, das nicht systematisch auf das nationale Recht verweist. Erlauben Sie mir den Hinweis, dass die einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften aufgrund der Vielfalt an nationalen Vollstreckungsverfahren, die die Eintreibung von Forderungen in einem anderen Mitgliedstaat derzeit erschweren, nicht zwangsläufig weniger komplex sind. Mit ihrer Initiative, d.h. der Schaffung eines eigenständigen Verfahrens, das in allen Mitgliedstaaten einheitlich angewandt wird, geht es der Kommission in erster Linie darum, die grenzüberschreitende Eintreibung von Forderungen zu erleichtern.
Nach Artikel 3 ist der Anwendungsbereich der vorgeschlagenen Verordnung auf Sachen mit grenzüberschreitendem Bezug beschränkt. Diese Bestimmung definiert Fälle mit grenzüberschreitendem Bezug in "negativer" Weise, indem sie festlegt, unter welchen Umständen kein grenzüberschreitender Bezug gegeben ist. Diese Vorgehensweise lehnt sich direkt an das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen an.
Die Kommission möchte den Anmerkungen des Bundesrats zu einzelnen Bestimmungen des Vorschlags die folgenden Bemerkungen anfügen:
Artikel 6 Absatz 2 bietet dem Antragsteller zwei alternative Möglichkeiten; es hängt vom jeweiligen Fall ab, welcher Gerichtsstand der vorteilhaftere ist. In der Praxis ist es häufig bequemer, den Schuldner an dem Ort zu verklagen, an dem die Entscheidung vollstreckt werden soll, auch wenn Fälle denkbar sind, in denen die Zuständigkeit des Fachgerichts vorzuziehen wäre. Aus diesem Grunde ist es ratsam, dass der Gläubiger den Erlass eines EuBvKpf auch bei einem Gericht in dem Mitgliedstaat beantragen kann, in dem das Bankkonto belegen ist. Die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen sollte sich mithilfe von Artikel 20 des Legislativvorschlags, der die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen dem mit dem Antrag auf Erlass eines EuBvKpf befassten Gericht und dem mit dem Hauptsacheverfahren befassten Gericht regelt, umgehen lassen.
Der EuBvKpf soll ohne vorherige Anhörung des Schuldners erlassen werden können (Artikel 10), damit der " Überraschungseffekt" der Maßnahme erhalten bleibt. Dieser Punkt muss deshalb ausdrücklich geregelt werden, weil der auf Sicherung gerichtete Beschluss zwar in vielen Mitgliedstaaten ohne vorherige Anhörung des Schuldners erlassen wird, in einigen Mitgliedstaaten aber Ermessenssache des Gerichts ist. Ohne eine entsprechende Bestimmung würden die Vorgehensweisen der Mitgliedstaaten stark voneinander abweichen. Der Vorschlag enthält zudem Bestimmungen, die ein angemessenes Maß an Schuldnerschutz beim Verfahren ohne vorherige Anhörung des Schuldners gewährleisten. Der Antragsteller kann allerdings auch ein Verfahren mit vorheriger Anhörung des Schuldners beantragen. Bei weiteren abstrakt formulierten Ausnahmeregelungen bestünde die Gefahr, dass Gerichte in Mitgliedstaaten, in denen Verfahren ohne vorherige Anhörung des Schuldners bislang nicht üblich sind, diese Regelungen weit auslegen, wodurch diese eine kontraproduktive Wirkung hätten.
In Artikel 7 sind die zwei wichtigsten Bedingungen für den Erlass eines EuBvKpf festgelegt: 1) Die Forderung muss gegenüber dem Antragsgegner begründet sein, 2) es muss die Gefahr bestehen, dass ohne den Beschluss die spätere Vollstreckung unmöglich oder sehr erschwert würde. Diese Bedingungen entsprechen der Vorgehensweise der meisten Mitgliedstaaten, obwohl sie im innerstaatlichen Recht vielleicht nicht genau in der gleichen Weise definiert sind. Da es extrem schwierig wäre, sich auf gemeinsame objektive Erfüllungskriterien zu einigen, ist es ratsam, die Bewertung von Einzelfällen dem Gericht zu überlassen.
In Artikel 12 ist vorgesehen, dass das Gericht die Hinterlegung einer Sicherheitsleistung durch den Antragsteller verlangen kann, um sicherzustellen, dass der Antragsgegner Ersatz für einen etwaigen erlittenen Schaden erhält. Bei der Ausarbeitung des Vorschlags erwog die Kommission die Aufnahme einer Verpflichtung zur Hinterlegung einer Sicherheitsleistung in die vorgeschlagene Verordnung Man kam jedoch zu dem Ergebnis, dass diese Vorschrift zusammen mit anderen Vorschriften (z.B. Haftungsvorschriften, Verpflichtung zur Offenlegung nachteiliger Umstände) den Gläubiger von der Inanspruchnahme des Kontenpfändungsverfahrens abhalten würde. Darüber hinaus haben die Gerichte durch die Ermessensvorschrift die Möglichkeit, gegebenenfalls auf die Sicherheitsleistung zu verzichten. Diese Regelung scheint auch mit den einschlägigen Rechtsvorschriften der meisten Mitgliedstaaten im Einklang zu stehen.
In Artikel 17 ist geregelt, wie Kontoinformationen des Schuldners eingeholt werden können. Diese Kontoinformationen werden gemäß Artikel 16 zum Ausfüllen des Antragsformulars benötigt. Dabei haben die Mitgliedstaaten die Wahl zwischen zwei Verfahren: Entweder beschaffen sie sich die Informationen direkt bei den Banken oder sie greifen auf die in öffentlichen Registern gespeicherten Informationen zurück. Das zuletzt genannte Verfahren lehnt sich an Artikel 61 der Unterhaltsverordnung an. Die Kommission sieht in dem Rückgriff auf dieses Verfahren keinen Widerspruch, zumal es in den nordischen Ländern gut funktioniert. Hinzu kommt, dass - wie in einer Fallstudie zum genannten Folgenabschätzungsbericht erläutert - auch Unterhaltsberechtigte eventuell von der Möglichkeit, einen Antrag auf Erlass eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung zu stellen, Gebrauch machen möchten.
Die Kommission teilt die Ansicht des Bundesrats, dass Fristen zwar ein Problem darstellen, aber notwendig sind. In der Verordnung sind für die verschiedenen Phasen des Verfahrens bestimmte Fristen vorgesehen. Diese Fristen sind wichtig, da sie sowohl die Effizienz der einstweiligen Maßnahme als auch den Schutz der Schuldnerrechte gewährleisten. Die Fristen wurden im Vorfeld mit einer Gruppe privater Sachverständiger (Vertreter von Banken und Gerichten, Gerichtsvollzieher und Rechtsanwälte aus verschiedenen Mitgliedstaaten) erörtert und vereinbart. In Artikel 44 ist eine "Ausweichklausel" für die Situationen vorgesehen, in denen die Einhaltung der Fristen aufgrund außergewöhnlicher - nachzuweisender -Umstände nicht möglich ist. Würde ein Mitgliedstaat allerdings systematisch von den geltenden Fristen abweichen, wäre dies nicht akzeptabel.
Die Haftung der Banken für die Ausführung des EuBvKpf (Artikel 26) ist ein ähnlich sensibles Thema. Eine Bank, der ein EuBvKpf zugestellt wurde, ist verpflichtet, den Beschluss unverzüglich auszuführen und einen Betrag zu sperren, der dem im Beschluss angegebenen Betrag entspricht. Gelder des Antragsgegners, die den in dem EuBvKpf genannten Betrag übersteigen, dürfen nicht angetastet werden. Durch diese Einschränkung wird die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme gewährleistet.
Die Kommission hat die Vorschläge des Bundesrats zu Artikel 28 (Vorläufige Pfändung mehrerer Konten) mit Interesse zur Kenntnis genommen. Auch die vorgeschlagenen Änderungen an den Standardformularen in den Anhängen werden im Rahmen der Erörterungen mit den Unionsgesetzgebern sorgfältig geprüft werden.
In Artikel 24, der die Zustellung des EuBvKpf an die Bank regelt, wird zwischen zwei Situationen differenziert: Befinden sich das Erlassgericht und die Bank in demselben Mitgliedstaat (Artikel 24 Absatz 2), erfolgt die Zustellung an die Bank nach dem Recht dieses Mitgliedstaats. Erfolgt die Zustellung grenzüberschreitend (Artikel 24 Absatz 3), gilt die Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 - mit dem Unterschied, dass die zuzustellenden Schriftstücke vom Ursprungs gericht oder vom Antragsteller unmittelbar der zuständigen Behörde im Vollstreckungsmitgliedstaat übermittelt werden, die sie wiederum der Bank oder dem Antragsgegner zustellt.
Artikel 27 sieht vor, dass die Bank die zuständige Behörde und den Antragsteller binnen drei Tagen unter Verwendung des Formulars in Anhang III darüber unterrichtet, ob beziehungsweise inwieweit Gelder auf dem Konto des Antragsgegners vorläufig gepfändet wurden. Die zuständige Behörde leitet die Erklärung binnen eines Arbeitstages an die Person oder Behörde weiter, die die Zustellung gemäß Artikel 24 Absatz 3 Buchstabe a beantragt hat (d.h. entweder an den Antragsteller oder das Gericht in einem anderen Mitgliedstaat, das den Beschluss erlassen hat). Diese Regelung würde bei der in Artikel 24 Absatz 2 aufgeführten Situation normalerweise nicht zur Anwendung kommen, da die Zustellung in diesem Fall nach dem innerstaatlichen Recht erfolgt.
Ähnlich wie in Artikel 24 wird auch in Artikel 25 bei der Zustellung des EuBvKpf an den Antragsgegner zwischen Antragsgegnern, die ihren Wohnsitz im Ursprungsmitgliedstaat haben - in diesem Fall erfolgt die Zustellung nach dem Recht dieses Mitgliedstaats - und Antragsgegnern, die ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat haben, der weder Ursprungsmitgliedstaat noch Vollstreckungsmitgliedstaat ist - in diesem Fall erfolgt die Zustellung gemäß der Verordnung über die Zustellung von Schriftstücken - unterschieden. Die Kommission hat zur Kenntnis genommen, dass geklärt werden muss, welche Aufgaben den zuständigen Behörden in derartigen Fällen zukommen.
Artikel 5 Absatz 2 und Abschnitt 2 des Vorschlags beziehen sich auf Fälle, in denen der Antragsteller bereits einen Titel erwirkt hat, der in dem Vollstreckungsmitgliedstaat, in dem das Bankkonto belegen ist, von Rechts wegen vollstreckbar ist. In diesem Fall kann die Anwendung des Europäischen Verfahrens einen Mehrwert bewirken, z.B. um festzustellen, wo der Antragsgegner Vermögen hat und die Einleitung von Vollstreckungsverfahren daher sinnvoll ist, oder um Gelder in Mitgliedstaaten sicherzustellen, in denen die Vollstreckungsverfahren langwierig sind. Unter den Voraussetzungen des Artikels 14 und von Abschnitt 2 erhält der Antragsteller auf Antrag automatisch einen EuBvKpf, ohne dass weitere Bedingungen erfüllt sein müssen. Dadurch wird der Gefahr einer Verschiebung von Vermögen durch den Antragsgegner vorgebeugt. Hinter dieser Regelung steht der Gedanke, dass der Antragsteller bereits berechtigt ist, den in dem Titel ausgewiesenen Betrag in vollem Umfang einzuziehen. Demzufolge hat er umso mehr einen Anspruch auf Erlass eines EuBvKpf. Dieses Vorgehen steht im Einklang mit Artikel 47 der Verordnung (EG) Nr. 044/2001 ("Verordnung Brüssel I"), wonach die Vollstreckbarerklärung mit der Befugnis einhergeht, Maßnahmen zur Sicherung zu ergreifen. Aus diesen Gründen ist eine Artikel 9 (Prüfung des Antrags) entsprechende Bestimmung nicht mehr erforderlich.
Ich hoffe, ich konnte die in der umfassenden Stellungnahme des Bundesrates angesprochenen Punkte klären, und freue mich auf eine Weiterführung unseres politischen Dialogs zu diesen und anderen Fragen.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Maros Vizepräsident