Der Bundesrat hat in seiner 963. Sitzung am 15. Dezember 2017 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat bedauert, dass bis zum Europäischen Rat vom Oktober 2017 in wesentlichen Bereichen eines möglichen Austrittsabkommens noch keine Einigung erzielt werden konnte. Er begrüßt jedoch, dass der Europäische Rat beschlossen hat, dass sich die EU-Mitgliedstaaten intern auf die zweite Verhandlungsphase über die Ausgestaltung des künftigen Verhältnisses vorbereiten sollen.
- 2. Aus Sicht des Bundesrates ist es von höchster Wichtigkeit, dass der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU in geordneten Bahnen abläuft und dass das Vereinigte Königreich hierbei zunächst seiner Verantwortung für die ordnungsgemäße Beendigung einer jahrzehntelangen gemeinsamen Zusammenarbeit gerecht wird. Dazu gehört auch eine rechtzeitige und tragfähige Verständigung über die finanzielle Entflechtung.
- 3. Der Bundesrat setzt sich für eine zügige Einigung zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich sowohl über die Abwicklung des Austritts - einschließlich etwaiger Übergangsregelungen - als auch über die Ausgestaltung des künftigen Verhältnisses ein. Die seit dem Referendum bestehende Ungewissheit über die künftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich stellt für alle Betroffenen eine erhebliche Belastung dar.
- 4. Er hebt hervor, dass der "Brexit" bei denjenigen Bürgerinnen und Bürgern, die ihre Lebensplanung im Vertrauen auf die fortbestehende EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs aufgebaut haben, nicht zu Verwerfungen führen darf. Der Bundesrat spricht sich daher für eine bestmögliche Gewährleistung des Status und der Rechte derjenigen Bürgerinnen und Bürger der EU und des Vereinigten Königreichs aus, die im Austrittszeitpunkt von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben.
- 5. Der Bundesrat bekräftigt die Einschätzung aus seiner Entschließung vom 31. März 2017 (BR-Drucksache 235/17(B) ), wonach sich der Austritt auf zahlreiche Materien auswirken wird, bei denen innerstaatlich die Mitwirkung des Bundesrates erforderlich ist, bei denen die Länder innerstaatlich zuständig sind oder die Einrichtung ihrer Behörden bzw. ihre Verwaltungsverfahren oder Länderinteressen betroffen sind. Die Länder haben in zahlreichen vom "Brexit" betroffenen Bereichen (beispielhaft: polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, Wissenschaft und Forschung, Bildungskooperation) originäre eigene Zuständigkeiten und Interessen, die in den Verhandlungen Berücksichtigung finden müssen. Dies gilt in besonderer Weise für Verhandlungen über das zukünftige Verhältnis der EU zum Vereinigten Königreich.
- 6. Aufgrund der historisch tiefen gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zum Vereinigten Königreich haben die deutschen Länder ein großes Interesse an einer weiterhin engen Zusammenarbeit. Die EU muss deshalb offen sein für eine ambitionierte Form der zukünftigen Zusammenarbeit auf der Grundlage einer ausgewogenen Balance von Rechten und Pflichten.
- 7. Der Bundesrat unterstreicht, dass die Verhandlungen sich am übergeordneten Interesse der EU an der Sicherung des Zusammenhalts der Union orientieren müssen. Es muss sichergestellt sein, dass die Errungenschaften der europäischen Einigung nicht gefährdet werden. Er betont zudem, dass ein Nicht-EU-Mitglied nicht über die gleichen Rechte und Vorteile verfügt wie ein EU-Mitglied.
- 8. Er ist der Auffassung, dass die künftigen Handelsbeziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich einen möglichst freien Austausch von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen gewährleisten sollten, wie dies auch mit anderen Drittstaaten der Fall ist. Es muss darauf hingearbeitet werden, dass ein entsprechendes "levelplayingfield" geschaffen wird. Gleichzeitig muss gewährleistet sein, dass auch weiterhin die hohen EU-Standards beispielsweise beim Umwelt-, Agrar- und Verbraucherschutz, in den Bereichen Soziales, Gesundheit und Sicherheit, beim Schutz der Privatsphäre sowie beim Arbeitsrecht gelten und das staatliche Recht zur Regulierung erhalten bleibt. Dabei muss die Integrität und Funktionalität des EU-Binnenmarktes der EU-27 sichergestellt bleiben. Der reibungslose Handel innerhalb der EU ist von vorrangiger Bedeutung.
- 9. Der Bundesrat spricht sich darüber hinaus dafür aus, auf eine funktionierende Zusammenarbeit der Justiz- und Sicherheitsbehörden mit dem Vereinigten Königreich auch nach dem Austritt aus der EU hinzuwirken. Insbesondere dient eine effektive justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen auch dem gemeinsamen Ziel einer verbesserten Bekämpfung des internationalen Terrorismus.
- 10. Der deutschbritischen Zusammenarbeit im Bereich Forschung und Wissenschaft kommt innerhalb Europas eine herausragende Rolle zu. Diese Zusammenarbeit möchten die deutschen Länder weiter pflegen. Der Bundesrat befürchtet in diesem Zusammenhang, dass die Unsicherheit über die zukünftige Rolle des Vereinigten Königreichs schon jetzt zu einer verminderten Kooperation mit britischen Partnern in Programmen der EU führen könnte.
- 11. Auch im Bildungsbereich ist das Vereinigte Königreich für die deutschen Länder ein wichtiger Partner. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, dass grenzüberschreitende Kooperation und Mobilität von Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden zwischen EU-Staaten und dem Vereinigten Königreich auch in Zukunft unbürokratisch möglich bleiben.
- 12. Er bittet die Bundesregierung, die Länder in der zweiten Verhandlungsphase enger einzubeziehen als bisher. Dies bezieht sich insbesondere auf die Teilnahme der Bundesratsbeauftragten an den Sitzungen und Seminaren der Ratsarbeitsgruppe. Er bedauert, dass dies in der Vergangenheit nicht gewährleistet wurde, obgleich Themen erörtert wurden, die laut Tagesordnung Länderzuständigkeiten berühren oder wesentliche Interessen der Länder betreffen.
- 13. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich bei der Festlegung der deutschen Verhandlungsposition bei Themen, die Länderzuständigkeiten oder wesentliche Interessen der Länder betreffen, mit den Ländern abzustimmen, die Anliegen der Länder in den Verhandlungen einzubringen und die Länder hierüber zu informieren.
- 14. Er behält sich vor, im weiteren Verlauf der Verhandlungen zu den genannten und weiteren Sachthemen erneut Stellung zu nehmen.