Der Bundesrat hat in seiner 873. Sitzung am 9. Juli 2010 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die als Fortsetzung des Grünbuchs vom Februar 2009 mit der Vorlage eingeleitete offene Konsultation zur künftigen Politik für das transeuropäische Verkehrsnetz.
- 2. Er nimmt die diesbezüglichen Vorschläge der Kommission zur Kenntnis. Hinsichtlich der Schwerpunkte europäischer Verkehrspolitik verweist er auf seine Stellungnahme vom 16. März 2010 zur Mitteilung der Kommission "EUROPA 2020 - Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum" (BR-Drucksache 113/10(B) , Ziffer 57).
- 3. Der Bundesrat begrüßt, dass an die Stelle der unspezifischen "konzeptionellen Säule" aus dem Grünbuch "TEN-V: Überprüfung der Politik" eine Reihe von Projektkriterien sowie die Orientierung an der Verknüpfung von zentralen und intermediären Knotenpunkten getreten sind. Dies entspricht der Forderung des Bundesrates zu dem Grünbuch, wonach Maßnahmen Priorität genießen sollen, die hoch wertschöpfende Zentren und Metropolregionen verbinden (BR-Drucksache 130/09(B) , Ziffer 7).
- 4. Der Bundesrat begrüßt darüber hinaus die Vorgehensweise der Kommission, zur Erarbeitung einer nachhaltigen Politik für das TEN-V grundsätzliche Überlegungen und Vorstellungen über die Hauptelemente der Methodik der Planung und Ausgestaltung zu präsentieren und durch eine weitere Konsultation interessierte und fachkundige Kreise einzubinden.
- 5. Nach Auffassung des Bundesrates ist es unverzichtbar, dass die aktuellen 30 vorrangigen Vorhaben auch nach der TEN-V-Revision im Fokus der Bemühungen auf europäischer Ebene stehen müssen. Eine erhebliche Ausweitung im Zuge der Definition des von der Kommission vorgeschlagenen "Kernnetzes" birgt die Gefahr einer "Verwässerung", die auf Grund der erheblichen Unterfinanzierung der derzeitigen Projekte abzulehnen ist.
- 6. Im Hinblick auf die Erwägung, Europäische Koordinatoren auch für "Pakete kleinerer Maßnahmen" zu bestellen, hält der Bundesrat an seiner Auffassung fest, dass weitere Koordinatoren nur für Vorhaben in Frage kommen, deren europäischer Nutzen demjenigen der bisher berücksichtigten Vorhaben gleichkommt (BR-Drucksache 130/09(B) , Ziffer 29).
- 7. Der Bundesrat unterstützt das Ziel der EU, einen bestmöglichen Einsatz des Finanzbeitrags der EU im Hinblick auf die Ziele der Leitlinien zu erreichen. Die Einrichtung eines europäischen Finanzierungsrahmens darf aber jedenfalls nicht dazu führen, dass Entscheidungen über nationale Investitionen auf europäischer Ebene präjudiziert werden können.
- 8. Der Bundesrat hält den von der Kommission erwogenen "integrierten europäischen Finanzierungsrahmen" für nicht ausgereift. Die Vermischung der Prioritätensetzungen verschiedener Instrumente (TEN-Haushaltslinie, Kohäsions- und Strukturfonds) birgt die Gefahr, dass die Finanzierungsgrundlagen intransparenter werden und die Orientierung am europäischen Mehrwert insbesondere grenzüberschreitender Eisenbahnstrecken im TEN-V unterlaufen wird. Stattdessen erneuert der Bundesrat seine Bitte an die Bundesregierung, eine Dotierung der TEN-Haushaltslinie mitzutragen, die eine zeitgerechte Umsetzung der vorrangigen Vorhaben ermöglicht (BR-Drucksache 130/09(B) , Ziffer 25).
- 9. Der Bundesrat betont, dass der Klimaschutz und die ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekte der Nachhaltigkeit strategisch so in die europäische Infrastrukturpolitik aller Verkehrsträger integriert werden müssen, dass die EU ihre Ziele im Hinblick auf die Verringerung der CO₂-Emissionen erreichen kann. Er verweist dazu auf seine Stellungnahme vom 18. September 2009 (BR-Drucksache 603/09(B) ) und spricht sich erneut für ein ambitioniertes Minderungsziel für die verkehrsbedingten Klimagasemissionen aus, verbunden mit einer Strategie zur gezielten Steuerung der motorisierten Verkehrsnachfrage.
- 10. Die politische Neuausrichtung der TEN-V ist daher sachgerecht und sollte auf die im Rahmen der EU-Nachhaltigkeitsstrategie im Juni 2006 beschlossenen Ziele des Europäischen Rates (Entkopplung des Wirtschaftswachstums von der Verkehrsnachfrage, Verlagerung von Verkehr auf umweltfreundliche Verkehrsträger, Steuerung der Verkehrsnachfrage über die Kosten des Verkehrs einschließlich einer Internalisierung externer Kosten, Maßnahmen zur Verringerung der Umweltauswirkungen des wachsenden Flug- und Schiffsverkehrs) ausgerichtet werden.
- 11. Der Bundesrat befürwortet die im Ergebnis des Grünbuchs weiter zu verfolgende strukturelle Option 3 für die Ausgestaltung der TEN-V, bestehend aus einem umfassenden Netz auf der Grundlage der bestehenden TEN-V-Karten und einem intermodalen "Kernnetz", das noch festgelegt werden muss und dessen Prioritäten der Schienenverkehr, nachhaltige Wasserwege und Häfen sowie ihre Anbindung an die Logistikknoten sind. Der Ausbau der Infrastruktur mit den richtigen Schwerpunkten kann dazu beitragen, die Effizienz des Verkehrssystems insgesamt zu verbessern und Umweltbelastungen, Staus und wirtschaftliche Verluste zu reduzieren. Der Bundesrat stellt zustimmend fest, dass bisher umweltfreundliche Verkehrsträger in der Liste der vorrangigen Projekte überproportional berücksichtigt werden, und plädiert dafür, dass die Kommission diese Proportionen bei der Realisierung der Projekte auch künftig sicherstellt.
- 12. Nach Ansicht des Bundesrates bedarf es bei der Planung des Kernnetzes bzw. des vorrangigen Netzes durch die Kommission einer detaillierten Betrachtung der zu erwarteten Verkehrsnachfrage, wobei neben der wirtschaftlichen Entwicklung und der Entwicklung des Weltrohölpreises politische Maßnahmen zur Nachfragesteuerung durch Infrastrukturentgelte an Bedeutung zunehmen. Da verkehrspolitische Maßnahmen erheblichen Einfluss auf die nationalstaatlichen Verkehrsprognosen und damit auf die Verkehrsmengen und die Verteilung auf die Verkehrsträger haben und diese wiederum maßgebliche Eingangsgrößen für den Nutzen von Verkehrsinvestitionen sind, ergibt sich bei der transnationalen Verkehrsinfrastrukturplanung europäischer Harmonisierungsbedarf. Vor diesem Hintergrund wird die Notwendigkeit einer europäischen Koordinierung der Verkehrsnachfrageprognosen für den internationalen Luft- und Seeverkehr sowie den transeuropäischen Landverkehr gesehen. In diesem Kontext verweist der Bundesrat erneut auf seine Stellungnahme zur "Europa 2020"-Strategie und hält eine optimierte Abstimmung der europäischen und nationalen Verkehrswegeplanungen im Rahmen einer nachhaltigen Mobilitätsstrategie für zielführend, die klare Schwerpunkte auf die grenzüberschreitenden Eisenbahnstrecken im Netz der TEN-V und auf die intermodalen Knotenpunkte (vor allem zwischen Schiene und See-/Binnenhäfen) setzen sollte.
- 13. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, dass die Kommission ihre Anstrengungen intensiviert, um eine bessere Koordination der territorialen Entwicklung (Territoriale Agenda der EU und Grundsatz des territorialen Zusammenhalts) und der Verkehrsplanung sicherzustellen, indem durch eine bessere Vernetzung der Regionen Rücksicht auf die regionale Erreichbarkeit genommen wird. Er plädiert dafür, vorrangigen Vorhaben im Bereich der wichtigsten Schienenachsen zur grenzüberschreitenden Anbindung der neuen Mitgliedstaaten und von Drittstaaten besondere Priorität zukommen zu lassen.