900. Sitzung des Bundesrates am 21. September 2012
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Finanzausschuss (Fz) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass mit der Überarbeitung der Verordnung (EG) Nr. 332/2002 eine Präzisierung der Instrumente und Verfahren zur Gewährung von finanziellem Beistand zur Bekämpfung von Zahlungsbilanzkrisen in Nicht-Euro-Mitgliedstaaten vorgenommen wird.
- 2. Dies kann grundsätzlich einen Beitrag zur Wiederherstellung und Erhaltung makroökonomischer Stabilität außerhalb der Eurozone leisten. Der Bundesrat hält es jedoch nicht für sachgerecht, dass dabei nunmehr ein mit der EFSF bzw. dem ESM weitgehend identisches Verfahren zum Beistand in Zahlungsbilanzkrisen mit der Begründung etabliert werden soll, die Wettbewerbsgleichheit zwischen Euro- und Nicht-Euro-Mitgliedstaaten zu gewährleisten.
- 3. Der Bundesrat sieht in der Überarbeitung der Verordnung durch Anpassung von Modalitäten an die bereits im Rahmen des Schutzschirms zur Bekämpfung der Eurokrise geschaffenen Instrumente grundsätzlich einen geeigneten Weg zur Bekämpfung von Zahlungsbilanzkrisen sowie zur Wiederherstellung und Erhaltung makroökonomischer Stabilität außerhalb der Eurozone. Damit kann ein Gleichklang europäischer Stabilisierungspolitik innerhalb und außerhalb der Eurozone erreicht werden.
- 4. Denn Nicht-Euro-Mitgliedstaaten haben anders als die Euro-Mitgliedstaaten das Instrument des flexiblen Wechselkurses als Anpassungsmechanismus zur Verfügung.
- 5. Der Bundesrat gibt zu bedenken, dass die Mitgliedstaaten, deren Währung nicht der Euro ist, nicht in ein System fester Wechselkurse eingebunden sein müssen. Sie dürften damit grundsätzlich über einen Anpassungsmechanismus verfügen, um mögliche Zahlungsbilanzungleichgewichte wieder auszugleichen.
- 6. Der Bundesrat betont, dass sämtliche Instrumente äußerst restriktiv einzusetzen sind. Insbesondere ist bei allen Finanzhilfen an Nicht-Euro-Staaten sicherzustellen, dass die Gewährung von Hilfen in jedem Fall an strenge Auflagen geknüpft ist und nur als Ultima Ratio, d.h. als Hilfe zur Selbsthilfe, gewährt werden kann, nachdem der Mitgliedstaat seine eigenen Ressourcen vollständig ausgeschöpft hat und die Stabilität der EU insgesamt gefährdet ist. Dies ist entsprechend in der Verordnung zu verankern. Ergänzend ist auch eine Beteiligung des IWF zwingend vorzusehen.< /li>
- 7. Der Bundesrat begrüßt insbesondere die Verschärfung von Bedingungen für die Gewährung von etwaigen Hilfen in Form von Darlehen oder Kreditlinien sowie die vorgesehene strengere Überwachung von Anpassungsprogrammen. Besonders hervorzuheben ist dabei, dass nunmehr Hilfen ausgesetzt werden können, wenn die von betroffenen Mitgliedstaaten in detaillierter Form vorzulegenden Anpassungsprogramme nicht in dem erforderlichen Maße umgesetzt werden.
- 8. Der Bundesrat hält die bereits in den Vorgänger-Verordnungen angelegten Hilfsmöglichkeiten in Form von Darlehen oder Kreditlinien grundsätzlich für geeignet um Zahlungsbilanzkrisen zumindest kurzfristig zu bekämpfen.
- 9. Der Bundesrat fordert in diesem Zusammenhang auch eine Klarstellung, dass mit der neuen Verordnung keine Aufstockung der bisherigen Fazilität mit einer maximalen Gesamtsumme von 50 Mrd. Euro verbunden ist. Artikel 2 Absatz 3 der deutschen Fassung des Verordnungsvorschlags lässt hier den Interpretationsspielraum zu, dass nunmehr Darlehen oder Kreditlinien lediglich je Mitgliedstaat auf 50 Milliarden Euro begrenzt sein können. Diese Interpretationsmöglichkeit ist zu beseitigen. Die Beibehaltung der bisherigen Gesamtsumme ist schließlich auch zur Wahrung des Verschuldungsverbots der EU unerlässlich.
- 10. In diesem Zusammenhang geht der Bundesrat davon aus, dass das Hilfsvolumen für alle Mitgliedstaaten außerhalb der Eurozone zusammen wie bisher auf insgesamt 50 Mrd. Euro begrenzt und der an den EU-Beiträgen orientierte Haftungsanteil der Mitgliedstaaten unverändert bleiben soll. Dies sollte auch ausdrücklich klargestellt sein.
- 11. Der Bundesrat betont, dass finanzielle Hilfen kein Ersatz für notwendige Haushaltskonsolidierungen und Strukturreformen oder ggf. notwendige Wechselkursanpassungen sein können. Reformauflagen sind daher in allen Fällen von finanziellem Beistand verbindlich vertraglich festzulegen. Dies ist im vorliegenden Verordnungsvorschlag insbesondere im Fall der Gewährung von Kreditlinien nicht ausreichend sichergestellt.
- 12. Nach Auffassung des Bundesrates ist es jedoch nicht auszuschließen, dass es aufgrund unterschiedlicher Handhabungen innerhalb und außerhalb des Euroraumes im Rahmen einer Hilfevergabe zu Ungereimtheiten oder Verwerfungen kommen kann, für die möglichst zeitnah Vorsorgemaßnahmen entwickelt werden sollten.
- 13. So ist darauf zu verweisen, dass für auf Basis dieser Verordnung vergebene Hilfen alle EU-Mitgliedstaaten haften, für im Rahmen des Schutzschirmes vergebene Hilfen etwa aus der EFSF oder später dem ESM aber nur die Mitgliedstaaten der Eurozone. Letztere unterliegen damit im Gegensatz zu den Mitgliedstaaten außerhalb der Eurozone einer Doppel-Haftung.
- 14. Zudem bedarf es einer Klärung, zu welchem Zinssatz mögliche Darlehen an betroffene Mitgliedstaaten vergeben werden können. Nach dem Verordnungsvorschlag, der hierzu keine klare Aussage trifft, ist davon auszugehen, dass die Kommission die von ihr aufgenommenen Darlehen mit unverändertem Zinssatz weiterreicht. Aufgrund der sehr guten Bonität der EU insgesamt dürften für EU-Darlehen jedoch niedrigere Zinssätze zu erreichen sein als für den Durchschnitt der Mitgliedstaaten, aber auch als für Kredite, die durch die EFSF oder den ESM vergeben werden. Die Hilfe empfangenden Mitgliedstaaten außerhalb der Eurozone erhielten damit einen besonderen Vorteil gegenüber den übrigen Mitgliedstaaten und insbesondere gegenüber den im Euroraum Hilfe empfangenden Mitgliedstaaten. Dieser Vorteil besteht auch gegenüber Staaten, die Garantiegeber sind, sich aber gleichzeitig am Kapitalmarkt auf höherem Niveau finanzieren müssen. Hierzu bedarf es einer Klärung der konkreten Vorgehensweise, z.B. mit dem Ziel von Zinszuschlägen, damit die Anreizfunktion von Verzinsungen am Kapitalmarkt nicht völlig ausgeblendet wird.
- 15. Die Behebung von ungünstigen Finanzierungsbedingungen des hilfesuchenden Landes allein kann kein Grund für die Gewährung von Finanzhilfen sein. Deshalb sollte klargestellt werden, dass die Hilfen nicht genutzt werden dürfen, um Zinsdifferenzen völlig einzuebnen.
- 16. Darüber hinaus müssen auch signifikante Ansteckungseffekte auf andere Mitgliedstaaten eine zwingende Voraussetzung für Finanzhilfen sein. Dies sollte explizit in der Verordnung festgeschrieben werden.
- 17. Der Bundesrat empfiehlt, die Gewährung von Finanzhilfen der Gemeinschaft an Nicht-Euro-Staaten, analog zum ESM, an die Einführung von Umschuldungsklauseln ("CAC-Klauseln") bei neu emittierten Staatsanleihen zu knüpfen.
- 18. Im Zuge der Überarbeitung der Verordnung ist darauf hinzuwirken, dass die Gewährung von Finanzhilfen sowie die Änderung von makroökonomischen Anpassungsprogrammen nur durch einen einstimmigen Ratsbeschluss erfolgen können. Die bislang in dem Verordnungsvorschlag lediglich vorgesehene qualifizierte Mehrheit (Artikel 3 Absatz 4, 8 und 10; Artikel 5 Absatz 4) wahrt nicht die Interessen aller Mitgliedstaaten.
- 19. Insgesamt muss nach Auffassung des Bundesrates für alle Rettungsmechanismen innerhalb wie außerhalb der Euro-Zone gelten, dass hiermit keine Schritte in eine Haftungs- und Transferunion verbunden sind. Jeder Mietgliedstaat muss für seine Schulden selbst haften.
- 20. Im Übrigen geht der Bundesrat davon aus, dass die Bundesregierung, wie auch bisher bei sich auf Artikel 352 AEUV stützenden EU-Regelungen üblich, zeitnah einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegt.