COM (2018) 135 final; Ratsdok. 7403/18
Der Bundesrat hat in seiner 968. Sitzung am 8. Juni 2018 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Bemühungen der Kommission, den Abbau von Risiken für die Finanzstabilität innerhalb der EU engagiert voranzutreiben.
- 2. Der Abbau des Bestandes an notleidenden Krediten (nonperforming loans, NPLs) ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, um die Stärkung der Banken-union erreichen zu können. Obwohl in den letzten Jahren die Gesamtquote an notleidenden Krediten in der EU zurückgegangen ist, ist das Volumen noch immer höher als vor der Finanzkrise. Außerdem bestehen erhebliche Unterschiede innerhalb der Mitgliedstaaten. Daher bittet der Bundesrat die Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, dass in Abstimmung mit der Aufsicht tatsächlich alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen werden, um eine Reduzierung der Risikopositionen in den Bankbilanzen erreichen zu können.
- 3. Die Stärkung des Sekundärmarkts kann ein wirksames Instrument zur Erreichung dieses Ziels sein. Der Bundesrat erkennt an, dass die Problematik Ansätze auf verschiedenen Ebenen erfordert.
- 4. Er erachtet die vorgesehene Einführung einheitlicher Standards in Bezug auf Kreditdienstleister zur Harmonisierung des Sekundärmarktes in der EU als sinnvoll. Besonderen Wert legt er aber auch auf den angedachten Schutz von Verbraucherrechten bei der Veräußerung notleidender Kredite (inklusive Wahrung der bestehenden Verbraucherrechte).
- 5. Der Bundesrat sieht Nachbesserungsbedarf in Bezug auf die Reichweite der Meldepflicht für Kreditkäufer. Insbesondere ist unklar, ob eine solche weltweite und zeitlich unbeschränkte Meldepflicht im Hinblick auf das Ziel der Sekundärmärkte tatsächlich sinnvoll ist.
- 6. Darüber hinaus unterstützt er die Kommission in ihrem Ziel, den Kreditgebenden in Mitgliedstaaten, in denen dies notwendig ist, zügige und effektive Möglichkeiten zur Verwertung ihrer Sicherheiten zur Verfügung zu stellen.
- 7. Der Bundesrat sieht die Regelungen zur beschleunigten außergerichtlichen Realisierung von Sicherheiten in Artikeln 23 fortfolgende des Richtlinienvorschlags vor dem Hintergrund möglicher resultierender Konsequenzen für die betroffenen Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer und deren weitere Gläubiger kritisch.
- 8. Gleichwohl ist er der Auffassung, dass das vorgeschlagene "Accelerated Extrajudicial Collateral Enforcement"-Verfahren (beschleunigte außergerichtliche Sicherheiten-Verwertung - AECE-Verfahren; Artikel 23 bis 33 des Richtlinienvorschlags) zwar einen Beitrag zum Abbau künftiger notleidender Kredite leisten kann. Weil abzuwarten bleibt, wie groß dieser Effekt ist, sollten aber weder die parallelen Verfahren zurückgestellt noch die bewährten Verfahren in vielen Mitgliedstaaten gefährdet werden. Im Einzelnen:
- a) Langwierige gerichtliche Auseinandersetzungen zur Sicherheitenverwertung, wie sie nach Darstellung der Kommission die Realisierung der Darlehensforderungen für den Kreditgebenden in einigen Mitgliedstaaten erschweren, werden durch den Vorschlag nicht vermieden. Denn auch die Vorgaben im Richtlinienvorschlag zur Durchführung des außergerichtlichen Verwertungsverfahrens werden gerichtliche Auseinandersetzungen - zum Beispiel zur Wertfeststellung - nicht verhindern. Das Ausgangsproblem, welches den Anlass für den Vorschlag bildete, wird also nicht beseitigt. Daher bietet das AECE-Verfahren auch keine wirkliche Erleichterung für die Verwertung des notleidenden Kredits auf dem Sekundärmarkt.
- b) Es besteht zudem die Gefahr, dass Mitgliedstaaten davon absehen, ihr Rechtssystem zur Forderungsdurchsetzung grundlegend zu reformieren, und sich stattdessen auf die Umsetzung des Richtlinienvorschlags, der als Lösung des NPL-Problems von der Kommission vermittelt wird, beschränken. Die aktuell zum Beispiel in Italien angestoßenen Gesetzesvorhaben stellen eine Lösung im bestehenden nationalen Recht dar und sollten daher konsequent weiter verfolgt werden.
- c) Die Schaffung des AECE-Verfahrens darf nicht dazu führen, dass die Bankenaufseher die Besicherung per AECE-Verfahren zum Maßstab für die Bewertung des Umgangs von Banken mit NPLs machen. Dies könnte - ohne Not - das AECE-Verfahren zu einem Standard für die Besicherung von Unternehmenskrediten in der EU entwickeln. Das kann nicht gewollt sein, zumal das AECE-Verfahren in vielen Mitgliedstaaten keinen wesentlichen Vorteil zu bestehenden Instrumenten bietet und es auch in den nationalen Rechtsrahmen (Gerichtsverfahren et cetera) eingebettet (und damit innerhalb der EU unterschiedlich) sein wird.
- d) Das AECE-Verfahren kann daher allenfalls dazu dienen, die Symptome der hohen NPL-Bestände anzugehen. Der Hebel, um künftig NPLs entgegenzuwirken, darf aber nicht punktuell am Symptom, sondern muss vielmehr an der Ursache langwieriger Gerichtsverfahren angesetzt werden, um einen effektiven Umgang der Kreditgebenden mit einem notleidenden Kredit zu ermöglichen. Ohne ein funktionsfähiges Justizsystem in den Mitgliedstaaten mit Entscheidungen innerhalb angemessener Fristen kann eine effektive Sicherheitenverwertung für die Kreditgebenden nicht erreicht werden. Hier sind die Mitgliedstaaten gefragt.
- 9. Es ist davon auszugehen, dass Banken künftig entsprechende Vereinbarungen zur außergerichtlichen Verwertung standardmäßig - gegebenenfalls sogar ohne notarielle Beurkundung - mit den Kreditnehmenden treffen werden (vergleiche Artikel 23 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags). Die Kreditnehmenden wären gezwungen, darauf einzugehen, um den entsprechenden Kredit zu erhalten. Damit würden die Kreditgebenden einen direkt vollstreckbaren Titel haben, ohne dass die Kreditnehmenden möglicherweise durch einen Notar über die möglichen Folgen dieser Vereinbarung informiert und gewarnt werden. Der Bundesrat ist deshalb der Auffassung, dass auch künftig zwingend eine notarielle Beurkundung der Vereinbarung notwendig sein soll.
- 10. Soweit ein Unternehmen mehrere Kreditgebende hat und nur bestimmte Kreditgebende eine entsprechende Vereinbarung zur außerordentlichen Verwertung getroffen haben, wird dies zwingend zu einem Ungleichgewicht der Verhandlungspositionen der Kreditgebenden untereinander führen. Die Kreditgebenden, die eine außergerichtliche Verwertungsklausel im Vertrag vereinbart haben, können die gesicherten Vermögensgegenstände verwerten; diese werden jedoch dem Unternehmensschuldner zur Bedienung der anderen Kreditverpflichtungen fehlen. Der Bundesrat bittet deshalb, zu überprüfen, wie ein solches Ungleichgewicht verhindert werden kann.
- 11. Artikel 23 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags legt fest, dass der Unternehmensschuldner nach Erhalt der Mitteilung des Kreditgebenden nicht mehr über die als Sicherheit verpfändeten Vermögenswerte verfügen darf. Die Verwertung der Sicherheiten wird in der Regel betriebsnotwendige Vermögensgegenstände wie Maschinen, Warenlager, Forderungen oder Grundstücke betreffen. Der Bundesrat befürchtet, dass durch die Verwertung der Sicherheiten das Unternehmen oftmals in seiner Existenz gefährdet und die Arbeitsplätze der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedroht würden. In diesem Zusammenhang bittet er zudem, klarzustellen, ob der Begriff des "Verfügens" im Sinne des deutschen Sachenrechts auszulegen oder in anderer Weise zu interpretieren ist.
- 12. Der Richtlinienvorschlag enthält in erster Linie Rechte der Kreditgebenden, die Rechte des Unternehmensschuldners beschränken sich im Wesentlichen auf die Anfechtungsrechte im Sinne des Artikels 28 des Richtlinienvorschlags. Ein ausgewogeneres Gleichgewicht zwischen den Rechten von Kreditgebenden und Unternehmensschuldner, beispielsweise durch eine frühzeitige Einschaltung eines neutralen Amtsträgers in das Verfahren, wäre aus Sicht des Bundesrates deshalb wünschenswert.
- 13. Der Bundesrat bittet, zu regeln, dass ein außergerichtliches Verwertungsverfahren mit Insolvenzantragstellung durch einen Schuldner oder Gläubiger endet. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Vermögenswerte, die zur Fortführung und Sanierung im Gesamtinteresse des Unternehmens und der Gläubiger sowie zum Erhalt von Arbeitsplätzen benötigt werden, vorhanden sind.
- 14. Auf EU-Ebene sollte aus Sicht des Bundesrates ein genereller Ansatz verfolgt werden, um effiziente, zügige und rechtssichere Möglichkeiten zur Sicherheitenverwertung zu gewährleisten. Hierzu gehört jedenfalls eine angemessene europäische Mindestharmonisierung des Insolvenzrechts.
- 15. In Deutschland bestehen insbesondere mit den Instrumenten der Sicherungsübereignung und -abtretung, des Eigentumsvorbehalts und der Bestellung von Grundpfandrechten bei Immobilien verbunden mit notariellen Urkunden mit Zwangsvollstreckungsunterwerfung angemessene und funktionierende Verwertungsmöglichkeiten für Kreditgläubiger. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, jegliche Nachteile für das gewachsene deutsche Kreditsicherungsrecht und die damit gewährleistete Sicherheit und Leichtigkeit des Rechtsverkehrs auszuschließen.
- 16. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, diese Anliegen bei den weiteren Beratungen des Richtlinienvorschlags auf EU-Ebene zu berücksichtigen.