COM (2018) 640 final; Ratsdok. 12129/18
Der Bundesrat hat in seiner 972. Sitzung am 23. November 2018 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat teilt das Anliegen des Verordnungsvorschlags, die Verbreitung terroristischer Inhalte zu verhindern. Terroristischen Straftaten muss so frühzeitig und effektiv wie möglich vorgebeugt werden. Einen wichtigen Schritt dazu stellen Maßnahmen gegen terroristisches Gedankengut dar, das über moderne Kommunikationswege des Internets verbreitet wird.
Der Bundesrat begrüßt daher grundsätzlich das Bestreben der Kommission, einen Gesetzgebungsvorschlag zur Verbesserung der Erkennung und Entfernung von Online-Inhalten zu unterbreiten, die zu terroristischen Handlungen anstiften.
Nach dem im Jahr 2015 eingerichteten EU-Internetforum sowie dem von Instagram, Google+, Snapchat und Dailymotion in diesem Jahr unterzeichneten Verhaltenskodex stellt der Verordnungsvorschlag die erste verbindliche Maßnahme im Bereich der Bekämpfung terroristischer Online-Inhalte dar.
- 2. Der Kommission ist ferner zuzustimmen, dass terroristische Inhalte in den ersten Stunden ihrer Online-Präsenz aufgrund der rapiden Geschwindigkeit ihrer Verbreitung am schädlichsten sind.
- 3. Der Bundesrat bezweifelt allerdings, dass sich der Verordnungsvorschlag auf die von der Kommission beanspruchte Rechtsgrundlage des Artikels 114 AEUV stützen lässt. Diese Rechtsgrundlage trägt nur Sekundärrecht, das dem Aufbau eines Binnenmarkts von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital dient. Vorliegend stehen indessen sicherheitspolitische Maßnahmen und Regelungen inmitten, um die zuständigen Behörden in ihrem Kampf gegen den Terrorismus zu unterstützen. Dies ist von der gewählten Rechtsgrundlage nicht gedeckt.
- 4. Der Bundesrat bemängelt im Übrigen, dass der Verordnungsvorschlag den personellen und sachlichen Aufwand der Wirtschaft nicht ausreichend würdigt. Für Hosting-Dienste sind die Entfernung innerhalb einer Stunde, die Schaffung eines Beschwerdemechanismus sowie die Erfüllung der Berichtspflichten mit erhöhten Kosten für die Verwaltung und das Personal verbunden. Um die Speicherdauer zu gewährleisten, bedarf es gegebenenfalls zusätzlicher Speicherkapazität. Es besteht die Gefahr, dass nur große Dienstleister den Anforderungen der vorgeschlagenen Verordnung gerecht werden können. Dies gilt insbesondere, da Aufwand und Kosten auch nicht durch automatisierte Systeme niedrig gehalten werden können, da in diesen Fällen eine manuelle Überwachung vorgeschrieben wird. Aus diesen Gründen und aufgrund der beträchtlichen Sanktionshöhe ist mit Widerstand seitens der Unternehmen bzw. der Wirtschaft gegen die vorgeschlagene Verordnung zu rechnen.
- 5. Er hält es zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit für geboten, für kleine und mittlere Unternehmen Ausnahmen in Bezug auf die gemäß Artikel 4 Absatz 2 des Verordnungsvorschlags vorgesehene einstündige Reaktionsfrist auf behördliche Entfernungs- oder Sperrungsanordnungen zu schaffen. Die zur Erfüllung der entsprechenden Pflichten erforderliche Einrichtung eines 24-Stunden-Dienstes würde schon wegen der Schaffung der personellen Kapazitäten eine übermäßige wirtschaftliche Belastung darstellen.
- 6. Der Bundesrat spricht sich aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und zur Vermeidung von Widersprüchen mit geltendem EU-Recht dafür aus, Artikel 4 Absatz 2 des Verordnungsvorschlags an Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 2000/31/EG vom 8. Juni 2000 über den elektronischen Geschäftsverkehr auszurichten. Dadurch wäre den stark unterschiedlichen personellen wie organisatorischen Kapazitäten von Hostingdiensteanbietern Rechnung getragen, ohne das Schutzniveau abzusenken. Gerade kleine und mittlere Unternehmen verfügen nicht über die Möglichkeit, einen 24-Stunden-Betrieb einzurichten, der jederzeit auf Ersuchen der Behörden reagieren kann.
- 7. Aus Sicht des Bundesrates bestehen Bedenken, ob die Pflicht zur Ergreifung proaktiver Maßnahmen nach Artikel 6 des Verordnungsvorschlags mit Artikel 15 der Richtlinie 2000/31/EG vereinbar ist. Anbieter von Diensten obliegt keine allgemeine Verpflichtung, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder aktiv nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tat hinweisen. Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe b des Verordnungsvorschlags geht jedoch seiner Formulierung nach ausdrücklich davon aus, dass zu den gegebenenfalls von Hostingdiensteanbietern zu ergreifenden proaktiven Maßnahmen auch solche Maßnahmen gehören, mit denen terroristische Inhalte überhaupt erst ermittelt werden. Der Bundesrat bittet, diesen Widerspruch aufzuklären.
- 8. Er regt an, Artikel 6 Absätze 3 und 4 des Verordnungsvorschlags dahingehend zu überarbeiten, dass die Auswahl der zu ergreifenden zusätzlichen spezifischen proaktiven Maßnahmen alleine dem Hostingdiensteanbieter überlassen wird, um diesen bei der Entwicklung eigener, auf das jeweilige Diensteangebot zugeschnittener Maßnahmen nicht einzuschränken. Eine behördliche Auferlegung einer zusätzlichen spezifischen proaktiven Maßnahme könnte nämlich dazu führen, dass bessere proaktive Instrumente zur Erkennung terroristischer Inhalte nicht entwickelt und genutzt würden.
- 9. Der Bundesrat bittet um Prüfung, ob der Verordnungsvorschlag zur Etablierung eines effizienteren Verfahrens zur Entfernung oder Sperrung terroristischer Inhalte darüber hinaus im Einzelnen wie folgt angepasst werden sollte:
- - Aus seiner Sicht sollte erwogen werden, ob das gemäß Artikel 10 des Verordnungsvorschlags vorgesehene Beschwerdemanagement dahingehend geändert werden sollte, dass Beschwerden von Inhalteanbietern gegen vollzogene Entfernungs- und Sperrungsanordnungen nicht bei den Hostingdiensteanbietern, sondern bei den zuständigen Behörden einzulegen sind. Nach dem Verfahrenskonzept des Verordnungsvorschlags agieren die Hostingdiensteanbieter bei Entfernungsanordnungen lediglich als "verlängerter Arm" der Behörden, welche ihrerseits über das Vorliegen eines terroristischen Inhalts entschieden haben. Zur Vermeidung widersprechender Entscheidungen seitens des Hostingdiensteanbieters einerseits und der zuständigen Behörde andererseits sowie auf Grund der gemäß Artikel 4 Absatz 4 des Verordnungsvorschlags vorgesehenen Regelung, dass Hostingdiensteanbieter nur auf Antrag über die Gründe einer Entfernungsanordnung in Kenntnis gesetzt werden, erscheint es sachgerecht, das Beschwerdeverfahren allein bei den zuständigen Behörden einzurichten.
- - Er regt an, im Interesse einer einheitlichen Rechtsanwendung den Begriff der zuständigen Behörde zu präzisieren und so viele Befugnisse wie möglich bei einer Behörde zu bündeln. Dies gilt insbesondere für die Befugnisse gemäß Artikel 17 Absatz 1 Buchstaben a bis c des Verordnungsvorschlags, da die Voraussetzung für ihre Anwendung ein einheitliches Verständnis von terroristischen Inhalten seitens der staatlichen Stelle ist.
- 10. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, diese Positionen im weiteren Verfahren auf EU-Ebene vorzubringen und darauf hinzuwirken, dass die hoheitlichen Rechte der Länder gewahrt werden.
- 11. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.