Der Bundesrat hat in seiner 842. Sitzung am 14. März 2008 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat unterstützt grundsätzlich das Anliegen der Kommission, den grenzüberschreitenden Wettbewerb bei der Vergabe bestimmter öffentlicher Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit zu verbessern.
- 2. Der Bundesrat sieht wie die Kommission die Notwendigkeit, insbesondere die Freistellungsmodalitäten bei der Beschaffung von Leistungen im Bereich der Verteidigung und Sicherheit neu zu regeln. Dabei sollten aber auch die auf europäischer Ebene formulierten Ziele zum Abbau der Bürokratie eine maßgebliche Rolle spielen.
- 3. Der Bundesrat stellt fest, dass das Ziel der EU, Recht zu vereinfachen und Verwaltungsaufwand zu verringern, mit dem vorliegenden Vorschlag für eine eigenständige Vergabekoordinierungsrichtlinie im Bereich der Verteidigung und Sicherheit nicht erreicht wird.
- 4. Der Bundesrat bedauert, dass der Vorschlag zu einer weiteren Aufspaltung der Regelungen im Bereich der Vergabe öffentlicher Liefer-, Dienst- und Bauaufträge führt, was zu Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Anwendung der künftig in zwei Richtlinien - samt Artikel 296 EGV - normierten Beschaffungsgrundlagen und deren Ausnahmetatbestände führen würde.
- 5. Der Bundesrat lehnt daher den von der Kommission zur Diskussion gestellten Vorschlag ab, Inhalt und Grenzen des Artikels 296 EGV bzw. des Artikels 14 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge (ABl. EU (Nr. ) L 134, S. 14) durch ein spezifisch auf Verteidigungsaufträge bzw. auf Aufträge im Bereich der Sicherheit ausgelegtes neues Legislativinstrument zu reglementieren. Er betont erneut - vgl. BR-Drucksache 778/04(B) - seine Auffassung, dass eine neue Richtlinie mit Artikel 5 Abs. 3 EGV nicht vereinbar ist.
- 6. Der Bundesrat stellt fest, dass die beabsichtigten Ziele der Kommission auch durch eine weitergehende Ergänzung der schon bestehenden Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG (ABl. L 134 vom 30. April 2004, S. 114) realisiert werden sollten. Der Erlass der beabsichtigten Richtlinie sollte deshalb unterbleiben.
- 7. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, für den Fall, dass die Kommission an dem Vorschlag für die Richtlinie festhalten sollte, im weiteren Verfahren dafür einzutreten, dass parallel auch eine Anpassung der Richtlinie 2007/66/EG vom 11. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates im Hinblick auf die Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge (ABl. L 335 vom 20. Dezember 2007, S. 31) erfolgt. Artikel 1 dieser Rechtsmittelrichtlinie erfasst bisher nur die klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG, die durch den vorliegenden Vorschlag in Artikel 44 lediglich mit einer Änderung des Artikels 10 in Bezug genommen ist. Der von der Kommission vorgelegte Vorschlag enthält aber keine eigenständigen Regelungen zum Rechtsschutz oder zu Nachprüfungsverfahren im Hinblick auf die von der beabsichtigten Richtlinie erfassten Vergabeverfahren. Das heißt, durch die Verweisung von Artikel 1 Abs. 1 der Richtlinie 2007/66/EG auf die Ausnahmetatbestände der Artikel 10 bis 18 der Richtlinie 2004/18/EG werden die gesamten Sonderregelungen der neuen Richtlinie in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit von der Geltung der Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG ausgenommen und sind damit nicht justiziabel. Der bisherige Artikel 10 der Richtlinie 2004/18/EG erfasste im Verteidigungsbereich aber nur Artikel 296 EGV. Insbesondere über die Generalklausel in Artikel 1 Satz 1 Buchstabe d der geplanten Richtlinie (z.B. sensible Informationen, Schutz vor Terrorismus, organisierte Kriminalität) wird der rechtschutzfreie Raum der geplanten Richtlinie gegenüber dem jetzigen Zustand für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit massiv ausgeweitet. Ohne eine gleichzeitige Anpassung der Rechtsmittelrichtlinie 2007/66/EG würde somit zwar das materielle Vergaberecht modifiziert, gleichzeitig würden aber die Möglichkeiten der Nachprüfung der Einhaltung dieser neuen Regularien verkürzt. Dies könnte bewirken, dass der vorgelegte Vorschlag nicht zu einer Verbesserung der Vergabe von Aufträgen in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung führt, sondern das genaue Gegenteil erreicht wird.
- 8. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung ferner, im Sinne einer besseren Rechtsetzung im weiteren Verfahren darauf hinzuwirken, dass eine Richtlinie in diesem Bereich keine Überregulierung einzelner Merkmale enthält. So ist etwa die Definition der Begriffe "Terrorismus" und "Kriminelle Vereinigung" in Artikel 2 des Richtlinienvorschlags entbehrlich. Sie werden in dem Richtlinienvorschlag neben einer Erwähnung in Erwägungsgrund 41 nur noch in Artikel 30 verwendet. Dort sind sie aber mit dem Bezug auf bestehende Legislativakte bereits eindeutig und anders definiert als in Artikel 2 des Richtlinienvorschlags.
- 9. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, bei den Verhandlungen über den Richtlinienvorschlag darauf hinzuwirken, dass dieser um eine dem Artikel 14 Vergabekoordinationsrichtlinie (VKR-Richtlinie 2004/18/EG) entsprechende Vorschrift ergänzt wird, die unbeschadet der Artikel 29, 30 und 31 des Vorschlags gilt.
Der Richtlinienvorschlag berücksichtigt die Sicherheits- und Geheimschutzinteressen der Mitgliedstaaten nur unzureichend, weil bislang nicht gewährleistet ist, dass der Vorschlag eine Anwendung des deutschen Sicherheitsüberprüfungsrechts zulässt.
Nach den Sicherheitsüberprüfungsgesetzen von Bund und Ländern ist eine Person, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll, zuvor einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen. Eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit übt aus, wer mit einer Vielzahl von Verschlusssachen in Berührung kommt (Geheimschutz) oder an einer sabotagegefährdeten Stelle innerhalb einer lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtung beschäftigt werden soll (vorbeugender personeller Sabotageschutz). Durch die Sicherheitsüberprüfung wird geprüft, ob tatsächliche Anhaltspunkte Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen, Zweifel an seinem Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung oder die Besorgnis einer Erpressbarkeit begründen. Im Rahmen dieser Prüfung werden nicht nur etwaige rechtskräftige Verurteilungen, sondern auch Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, des Bundeskriminalamts und der Nachrichtendienste des Bundes berücksichtigt.
Artikel 14 VKR nimmt Aufträge, die der Geheimhaltung unterliegen oder bestimmte Sicherheitsmaßnahmen erfordern, ausdrücklich vom Anwendungsbereich der VKR aus. Eine vergleichbare Vorschrift enthält der Richtlinienvorschlag nicht. Er bestimmt in Artikel 1 lediglich, dass die Richtlinie unbeschadet des Artikels 296 EGV gelten soll. Der Anwendungsbereich des Artikels 296 EGV ist aber deutlich enger als der des Artikels 14 VKR und erfasst die Belange des Sicherheitsüberprüfungsrechts nicht. Auch nach Artikel 13 und 14 des Vorschlags wäre eine nationale Umsetzungsnorm, die die Sicherheitsüberprüfungsgesetze von Bund und Ländern für anwendbar erklärt, mit der Richtlinie kaum vereinbar, weil Artikel 29 Abs. 1 des Vorschlags die Überprüfung der Eignung der Bewerber wohl abschließend regelt. Danach können Bewerber offenbar nur nach den Voraussetzungen der Artikel 30 und 31 ausgeschlossen werden, die im Wesentlichen rechtskräftige Verurteilungen voraussetzen.
Es ist nicht nachvollziehbar, warum bei nicht sicherheitsrelevanten öffentlichen Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen über Artikel 14 VKR im Ergebnis höhere Anforderungen an die Zuverlässigkeit der Bewerber gestellt werden können, als bei besonders sensiblen Aufträgen in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit. Im Übrigen sollte es nicht von der Auslegung des Artikels 296 EGV abhängen, ob nationale Umsetzungsnormen für Vergaben in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit, die auf die Sicherheitsüberprüfungsgesetze verweisen, insoweit auf Artikel 296 EGV gestützt werden können. Eine eindeutige entsprechende Regelung im Richtlinienvorschlag erscheint daher geboten.