Der Bundesrat hat in seiner 901. Sitzung am 12. Oktober 2012 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Absicht der Kommission, einen einheitlichen Rechtsrahmen für die in der EU tätigen Verwertungsgesellschaften zu etablieren und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen durch Verwertungsgesellschaften für die Online-Nutzung von Urheberrechten an Musikwerken zu regeln. Er begrüßt daher die Initiative der Kommission, mit dem vorliegenden Richtlinienvorschlag die Führung, Beaufsichtigung und Transparenz von Verwertungsgesellschaften zu verbessern und die Lizenzierung von Urheberrechten an Musikwerken zu fördern. Gerade wenn die in der EU ansässigen Verwertungsgesellschaften grenzüberschreitend in Konkurrenz zueinander treten sollen, ist es zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen erforderlich, gleiche Voraussetzungen für alle zu schaffen. Dies gilt umso mehr, als die von der Kommission herausgestellte grundsätzliche Anwendung der Dienstleistungsrichtlinie auf die Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften dazu führt, dass im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit jede Verwertungsgesellschaft grundsätzlich ausschließlich dem Recht ihres Herkunftslandes untersteht.
- 2. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission in ihrem Richtlinienvorschlag unter Hinweis auf Artikel 167 AEUV die Bedeutung der Wahrung kultureller Vielfalt betont. Der Bundesrat hat bereits in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass eine mögliche Konzentration von Verwertungsgesellschaften die Gefahr eines Verlusts kultureller Vielfalt mit sich bringen kann (vergleiche BR-Drucksache 047/08(B) , Ziffer 5; BR-Drucksache 306/10(B) , Ziffer 10).
- 3. Er stellt fest, dass die Belange der Verbraucherinnen und Verbraucher geschützter Inhalte in dem Richtlinienvorschlag bislang unzureichende Berücksichtigung finden. Er vertritt die Auffassung, dass die Art und Weise der Wahrnehmung und Verwertung von Rechten durch die Verwertungsgesellschaften nicht zu unangemessenen Benachteiligungen und finanziellen Belastungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher führen darf. Er spricht sich dafür aus, dieses Verhältnismäßigkeitsgebot durch entsprechende Regelungen im Richtlinienvorschlag ausdrücklich zu verankern.
- 4. Der Bundesrat bittet zu prüfen, ob der Richtlinienvorschlag ein hinreichendes Maß an gleichen Tätigkeitsvoraussetzungen für in der EU ansässige Verwertungsgesellschaften vorsieht. Für den Fall, dass die Vorgaben des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes (UrhWahrnG) auch nach Inkrafttreten einer dem Vorschlag entsprechenden Richtlinie bestehen bleiben sollen, erscheint dies mit Blick auf einige wesentliche Elemente des UrhWahrnG fraglich. Es erscheint fraglich, ob der Richtlinienvorschlag bereits überzeugend Verwertungsgesellschaften von Lizenzagenturen unterscheidet. Diese Abgrenzung muss trennscharf gelingen, weil der Richtlinienvorschlag Lizenzagenturen nur einem Teil der Bestimmungen unterwirft. Im deutschen Urheberrechtswahrnehmungsrecht geschieht dies durch die Kriterien der treuhänderischen Rechtewahrnehmung bzw. durch die Vorgabe, dass Verwertungsgesellschaften keine Gewinne erzielen dürfen. Ferner gewährt § 11 Absatz 1 UrhWahrnG einen klageweise durchsetzbaren Anspruch auf Einräumung von Nutzungsrechten zu angemessenen Bedingungen, während Artikel 15 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags einen solchen Kontrahierungszwang nicht vorsieht und lediglich bestimmt, dass Verwertungsgesellschaften nach Treu und Glauben Verhandlungen über die Lizenzierung führen. Auch die Transparenz der Tarife geht nach § 13 Absatz 2 UrhWahrnG (Veröffentlichung im Bundesanzeiger) weiter als in Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe a des Richtlinienvorschlags (Bereitstellung auf Anfrage).
Weitere Aspekte, in denen der Richtlinienvorschlag womöglich hinter den Standards des UrhWahrnG zurückbleibt, betreffen sowohl den Gesichtspunkt der gleichen rechtlichen Voraussetzungen als auch die Frage des Erhalts kultureller Vielfalt. So ist fraglich, ob Artikel 5 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags den Verwertungsgesellschaften einen ähnlich weitreichenden Wahrnehmungszwang auferlegt wie § 6 Absatz 1 UrhWahrnG. Auch hinsichtlich der Tarifgestaltung könnte es zu wesentlich ungleichen Bedingungen kommen. Während die Verwertungsgesellschaften nach § 13 Absatz 3 Satz 4 UrhWahrnG auf religiöse, kulturelle und soziale Belange der zur Zahlung Verpflichteten angemessene Rücksicht nehmen sollen, orientiert sich Artikel 15 Absatz 2 Satz 2 des Richtlinienvorschlags insoweit allein am Marktwert der Rechte.
- 5. Der Bundesrat bittet weiterhin zu prüfen, ob der Richtlinienvorschlag das Ziel, die kulturelle Vielfalt durch die Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften zu fördern, hinreichend verwirklicht. Zwar geht der Richtlinienvorschlag an mehreren Stellen (Erwägungsgrund 20, Artikel 11 Absatz 2, Artikel 20 Absatz 1 und 3) davon aus, dass Verwertungsgesellschaften soziale, kulturelle und Bildungsleistungen erbringen. Entsprechende Vorgaben enthält der Vorschlag jedoch nicht, so dass solche Leistungen entweder auf nationalem Recht (vgl. § 7 Satz 2, §§ 8 und 13 Absatz 3 Satz 4 UrhWahrnG) beruhen oder freiwillig erbracht werden.
- 6. Vor allem die Artikel 6 und 7 des Richtlinienvorschlags gehen von einer mitgliedschaftlichen Verfasstheit von Verwertungsgesellschaften aus. Nicht alle Verwertungsgesellschaften sind aber in der Rechtsform des Vereins errichtet. Der Bundesrat bittet daher in den weiteren Verhandlungen zu prüfen, ob die Vorgaben des Richtlinienvorschlags für alle Verwertungsgesellschaften, unabhängig von ihrer Rechtsform, tauglich sind.
- 7. Der Bundesrat setzt sich für mehr Transparenz bei der Verwertung der Urheber- und verwandten Schutzrechte ein und spricht sich dafür aus, in Artikel 8 des Richtlinienvorschlags eine öffentliche Kontrolle der Verwertungsgesellschaften vorzusehen. So könnte vorgegeben werden, dass die Aufsichtsgremien paritätisch durch Rechteinhaber auf der einen Seite und Vertreter anerkannter Verbraucherverbände auf der anderen Seite besetzt werden.
- 8. Es erscheint außerdem fraglich, ob der Richtlinienvorschlag das Ziel erreicht, die Zersplitterung des Repertoires auf Verwertungsgesellschaften und eine Vielzahl von Lizenzagenturen zu beenden und damit einen Lizenzerwerb durch einen One-Stop-Shop zu ermöglichen. Denn es fehlen Anreize für die großen Musikverlage, ihre Repertoires wieder in die Verwertungsgesellschaften einzubringen.
- 9. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.