Der Bundesrat hat in seiner 873. Sitzung am 9. Juli 2010 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die Digitale Agenda als Teil der Strategie Europa 2020; der Bundesrat begrüßt vor allem das Ziel, aus einem digitalen Binnenmarkt einen nachhaltigen und sozialen Nutzen zu ziehen.
- 2. Der Bundesrat verweist auf seine Stellungnahme zu der Mitteilung der Kommission: Europa 2020 - Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum" vom 16. März 2010 (BR-Drucksache 113/10(B) ) die Digitale Agenda betreffend.
- 3. Der Bundesrat hält die vorgesehenen Aktionsbereiche der Digitalen Agenda für grundsätzlich geeignet, um das Oberziel der Digitalen Agenda zu erreichen.
- 4. Der Bundesrat hält aber die Bewertungen der Kommission zu den Defiziten der digitalen Märkte teilweise für zu pauschal. Insbesondere dann, wenn die Kommission aus derartigen Bewertungen einen Handlungsbedarf auf EU-Ebene postuliert, ist eine detailliertere Begründung erforderlich.
- 5. Zum Thema "Stärkung des Binnenmarkts für Telekommunikationsdienste" (Ziffer 2.1.4) sieht der Bundesrat keinen weiteren Handlungsbedarf über den gerade erst geänderten Rechtsrahmen hinaus. Dieser Rechtsrahmen muss zunächst in den Mitgliedstaaten umgesetzt und angewandt und zu einem späteren Zeitpunkt evaluiert werden, bevor Änderungen vorgeschlagen werden.
- 6. Zum Thema "Schneller und ultraschneller Internetzugang" (Ziffer 2.4) hat der Bundesrat erhebliche Bedenken gegen das Kapitel 2.4.1 "Garantierte universelle Breitbandversorgung mit steigenden Geschwindigkeiten". Die Formulierung gemeinsamer Ziele ist grundsätzlich sinnvoll, bedarf aber zuvor einer gründlichen Bestandsaufnahme und Abwägung, insbesondere bezüglich der Frage, ob eine verpflichtende Auferlegung für alle Mitgliedstaaten sinnvoll und zielführend ist. Des Weiteren wird die Vorlage eines "gemeinsamen Rahmens" in diesem Zusammenhang nicht für erforderlich gehalten. Ebenso wird kein Handlungsbedarf über den geltenden Rechtsrahmen für die Frequenzpolitik hinaus gesehen. Schließlich können "nationale Breitbandpläne" und weitere Aktivitäten nicht von der Kommission vorgeschrieben werden, sondern liegen in der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Umgekehrt hält es der Bundesrat vor dem Hintergrund der von der Kommission selbst formulierten ehrgeizigen Ziele für dringend erforderlich, dass das Beihilferecht im Breitbandbereich reformiert und wesentlich unbürokratischer und praxisnäher (unter Einschluss von mehr Freiheitsgraden der Mitgliedstaaten) ausgestaltet wird.
- 7. Zum Thema "Verbesserung der digitalen Kompetenzen, Qualifikationen und Integration" (Ziffer 2.6) sind die übergeordneten Maßnahmen der Kommission zur Verbraucherinformation über neue Medientechnologien und Kampagnen zur Imagebildung der IT-Berufe und zur Bewusstseinsbildung zu begrüßen. Maßnahmen, die in die Schul- und Ausbildungssysteme der einzelnen Mitgliedstaaten eingreifen, sollten die unterschiedlichen Bildungspolitiken und -systeme in den einzelnen Mitgliedstaaten und deren Zuständigkeitsverteilung, in Deutschland die Hoheit der Länder, berücksichtigen. Dies betrifft im Einzelnen die langfristige Politik für digitale Qualifikationen und Kompetenzen sowie das elektronische Lernen in nationalen Maßnahmen zur Modernisierung des Bildungssystems.
- 8. Der Bundesrat erwartet, dass die aus der Mitteilung der Kommission resultierenden Aktivitäten nicht zu einer Mehrbelastung der öffentlichen Haushalte führen. Dies betrifft sowohl die Kofinanzierung von möglichen Programmen durch öffentliche Haushalte als auch Aktivitäten, wie formale Berichtspflichten, bei denen zusätzliche Verwaltungskosten entstehen, die der angestrebten Verwaltungsvereinfachung und dem Bürokratieabbau entgegenstehen.
- 9. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, bei den Beratungen auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, dass zusätzliche finanzielle Belastungen der Länder vermieden werden.
- 10. Der Bundesrat begrüßt die Absicht der Kommission, zur Vereinfachung der Klärung, Verwaltung und grenzüberschreitenden Lizenzierung von Urheberrechten eine Rahmenrichtlinie für die kollektive Rechteverwertung vorzulegen. Eine europaweite Lizenzierung urheberrechtlich geschützter Inhalte befürwortet der Bundesrat aber nur insoweit, als diese unabweisbar ist, um den Zugang zu Online-Inhalten zu erleichtern. Er erinnert in diesem Zusammenhang an seine Stellungnahme vom 14. März 2008 zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über kreative Online-Inhalte im Binnenmarkt - BR-Drucksache 047/08(B) , Ziffer 5. Jedenfalls außerhalb des Online-Bereichs ist ein Bedürfnis für eine paneuropäische Lizenzierung nicht ersichtlich. Auch bei der Ausgestaltung im Online-Bereich gilt es im Auge zu behalten, dass eine europaweite Lizenzierung durch einzelne Verwertungsgesellschaften zu einer Konzentration von Verwertungsgesellschaften und damit zum Verlust kultureller Vielfalt führen kann.
- 11. Der Bundesrat begrüßt Überlegungen zur Erleichterung der Digitalisierung und Verbreitung verwaister Werke, erinnert aber auch insoweit an seine Stellungnahme vom 14. März 2008 zur Mitteilung der Kommission über kreative Online-Inhalte im Binnenmarkt (a. a. O., Ziffer 4). Es ist sicherzustellen, dass dem Befund eines verwaisten Werks hinreichend sorgfältige Bemühungen zur Ermittlung des Urhebers vorangegangen sind und dass der Urheber für den Fall seiner späteren Feststellung eine angemessene Vergütung erhält.
- 12. Zu den in der Mitteilung dargestellten Überlegungen der Kommission im Bereich des Vertragsrechts sowie in Bezug auf kollektive Rechtsschutzinstrumente hat sich der Bundesrat unlängst in anderem Zusammenhang geäußert. Er verweist insoweit auf seine Stellungnahmen vom 7. Mai 2010 zum Arbeitsprogramm der Kommission für 2010 - BR-Drucksache 188/10(B) , Ziffern 49 und 50 - sowie vom 4. Juni 2010 zum Aktionsplan zur Umsetzung des Stockholmer Programms - BR-Drucksache 246/10(B) , Ziffern 29 und 30.
- 13. Der Bundesrat begrüßt das in der Digitalen Agenda für Europa genannte Ziel, zur Entwicklung und zur Einführung grenzüberschreitender Online-Dienste eine bessere Zusammenarbeit der Verwaltungen in Europa anzustreben und grenzübergreifende Dienste für die elektronische Identität und Authentifizierung ins Auge zu fassen. Der Bundesrat weist zugleich darauf hin, dass die Justiz in Deutschland unter Beteiligung aller Länder und des Bundes ein elektronisches Identitätssystem - auf der Basis abgestimmter Standards - entwickelt hat. Dieses System ist unter dem Namen D.I.M (Distributed Identity Management) in die EU-Gremien eingebracht worden. In Deutschland wird es unter dem Namen S.A.F.E. (Secure Access to Federated eJustice/eGovernment) eingeführt. Der Bundesrat bittet die Kommission, bei ihren weiteren Maßnahmen darauf zu achten, dass die damit getätigten Investitionen auch auf EU-Ebene mindestens durch die Beachtung der mit S.A.F.E./D.I.M. realisierten offenen Schnittstellen geschützt werden.